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Generalaudienz: Die Katechese im Wortlaut

Wir dokumentieren an dieser Stelle den Wortlaut der Ansprache, die der Papst bei seiner Generalaudienz gehalten hat, in einer Arbeitsübersetzung von Radio Vatikan.

Alle Wortmeldungen des Papstes in amtlicher deutscher Fassung werden auf der 

 

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag und herzlich willkommen!

Wir setzen unsere Katechesenreihe zum Thema „Unterscheidung“ fort. Wir haben gesehen, wie wichtig es ist, auf das zu hören, was in uns vorgeht, damit wir auf der Welle der Emotionen des Augenblicks keine voreiligen Entscheidungen treffen, die wir bereuen, wenn es zu spät ist. Wir müssen auf das hören, was in uns vorgeht, und dann Entscheidungen treffen.

Trostlosigkeit als „Weckruf der Seele“ 

In diesem Sinne kann sogar der geistige Zustand, den wir Trostlosigkeit nennen, eine Gelegenheit zum Wachstum werden. Denn ohne ein bisschen Unzufriedenheit, ohne eine gesunde Traurigkeit, die gesunde Fähigkeit, die Einsamkeit anzunehmen – mit sich selbst allein sein zu können, ohne wegzulaufen – riskieren wir, immer an der Oberfläche der Dinge zu bleiben und nie mit der Mitte unseres Daseins in Kontakt zu kommen. Die Trostlosigkeit ist wie ein „Weckruf der Seele“: wenn man traurig ist, ist das wie ein Weckruf der Seele. Sie hält uns wach, fördert Wachsamkeit und Demut und schützt uns davor, zum Spielball unserer Launen zu werden. All das sind unabdingbare Voraussetzungen für ein Vorankommen im Leben, und damit auch im spirituellen Leben.

„Wenn man seine Gefühle nicht versteht und lebt, dann wird man unmenschlich und gleichgültig gegenüber dem Leid der anderen“

Eine vollkommene, aber „sterile“ und gefühllose Gelassenheit macht uns aber – wenn sie zum Kriterium unserer Entscheidungen und unseres Verhaltens wird – unmenschlich. Wir müssen die Gefühle berücksichtigen, denn wir sind Menschen, und die Gefühle sind Teil unseres Menschseins. Wenn man seine Gefühle nicht versteht und lebt, dann wird man unmenschlich und gleichgültig gegenüber dem Leid der anderen, ja auch unfähig, unser eigenes Leid zu akzeptieren. Und eine solche „vollkommene Gelassenheit“ kann auch nicht auf dem Weg der Gleichgültigkeit erreicht werden. Eine sterile emotionale Distanz - ,Ich mische mich nicht ein, ich gehe auf Distanz‘ - ist kein Leben. Das ist, als würden wir uns in ein geschlossenes Labor setzen, damit wir keinen Mikroben und Krankheiten ausgesetzt sind.

Sterile Distanz ist kein Leben

„Das ist, als würden wir uns in ein geschlossenes Labor setzen, damit wir keinen Mikroben und Krankheiten ausgesetzt sind.“

Für viele heilige Männer und Frauen war die innere Unruhe der entscheidende Anstoß, ihr Leben zu ändern. Die künstliche Gelassenheit geht da nicht, dazu bringt die gesunde Unruhe eines Herzens, das einen Weg sucht. Das war der Fall bei Augustinus von Hippo, Edith Stein, Giuseppe Benedetto Cottolengo und Charles de Foucauld. Für wichtige Entscheidungen fordert das Leben einen Preis: einen Preis, der für niemanden unerreichbar ist.

Die wichtigen Entscheidungen gibt es nicht in der Lotterie, nein, sie haben einen Preis, und man musst diesen Preis zahlen. Es ist ein Preis, den man mit dem Herzen zahlen musst, es ist ein Preis für die Entscheidung, ein Preis für die Mühe, die man auf sich nimmt. Das ist nicht gratis. Aber es ist ein Preis, der für jeden erschwinglich ist. Wir alle müssen diesen Preis zahlen, um aus dem Zustand der Gleichgültigkeit herauszukommen. Der Zustand der Gleichgültigkeit wirft uns zu Boden, immer.

Die Trostlosigkeit ist auch eine Aufforderung zur Unentgeltlichkeit; dazu, nicht immer und ausschließlich nur im Hinblick auf eine emotionale Befriedigung zu handeln. Die Trostlosigkeit bietet uns die Chance zu wachsen, eine reifere, schönere Beziehung zum Herrn und zu Menschen aufzubauen, die uns lieb sind; eine Beziehung, die sich nicht nur auf ein bloßes Geben und Nehmen beschränkt. Denken wir an unsere Kindheit, zum Beispiel: Als Kinder wenden wir uns oft an unsere Eltern, weil wir etwas von ihnen wollen: ein Spielzeug, Geld für ein Eis, eine Erlaubnis... Wir wenden uns ihnen also nicht um ihrer selbst willen zu, sondern wegen eines Interesses. Dabei sind das größte Geschenk doch sie selbst – unsere Eltern –, und das wird uns in der Phase unseres Wachstums immer mehr bewusst.

Beim Herrn sein, ohne ein Ziel zu verfolgen

Und genauso sind auch viele unserer Gebete: sie sind an den Herrn gerichtete Bitten um einen Gefallen, ohne ein wirkliches Interesse an Gott selbst. Wir bitten, bitten den Herrn um viele Dinge. Im Evangelium heißt es, dass Jesus oft von vielen Menschen umgeben war, die ihn um etwas baten – Heilungen, materielle Hilfe –, aber es ging ihnen nicht darum, einfach nur bei ihm zu sein. Jesus wurde von der Menge bedrängt, er selbst aber war allein. Einige Heilige, ja auch einige Künstler, haben über diese Befindlichkeit Jesu nachgedacht. Es mag seltsam, ja irreal erscheinen, den Herrn zu fragen: „Wie geht es dir?“ In Wahrheit aber ist es eine sehr schöne Art und Weise, in eine echte, aufrichtige Beziehung zu seiner Menschlichkeit, seinem Leiden, ja auch zu seiner einzigartigen Einsamkeit zu treten. Mit dem Herrn, der sein Leben bis zum Ende mit uns teilen wollte.

Es tut uns sehr gut, zu lernen, bei Ihm, beim Herrn zu sein, zu lernen beim Herrn zu sein und dabei kein anderes Ziel zu verfolgen – auf dieselbe Weise, wie es uns auch mit den Menschen ergeht, die wir lieben: Wir wollen sie immer besser kennen lernen, weil es gut ist, bei ihnen zu sein.

Liebe Brüder und Schwestern, das geistliche Leben ist keine Technik, die uns zur Verfügung steht, es ist kein Programm inneren „Wohlbefindens“, das wir selbst planen können. Nein. Es ist eine Beziehung zu dem Lebendigen Gott, die sich nicht auf unsere Kategorien reduzieren lässt. Und die Trostlosigkeit ist dann die klarste Antwort auf den Einwand, die Gotteserfahrung sei lediglich eine Form der Suggestion, eine bloße Projektion unserer Wünsche. ,Trostlosigkeit, nichts fühlen? Alles dunkel?‘ … In diesem Fall – wenn wir denken, es wäre eine Projektion unserer Wünsche, wären wir es immer, die sie programmieren, wir wären immer glücklich und zufrieden, wie eine Schallplatte, die immer wieder dieselbe Musik spielt.

Gotteserfahrung ist keine Suggestion

„Das geistliche Leben ist keine Technik, die uns zur Verfügung steht, es ist kein Programm inneren „Wohlbefindens“, das wir selbst planen können.“

Wer hingegen betet, stellt vielmehr fest, dass die Ergebnisse unvorhersehbar sind: Erlebnisse und Bibelstellen, die uns oft begeistert haben, lösen heute seltsamerweise keine Begeisterung mehr aus. Und ebenso unerwartet schenken Erfahrungen, Begegnungen und Lektüren, denen man nie Beachtung geschenkt hat oder die man lieber vermeiden würde - wie die Erfahrung des Kreuzes - immensen Frieden.

Keine Angst haben vor der Trostlosigkeit, gehen wir mit Entschlossenheit weiter, nicht fliehen, und versuchen wir, das Herz Christi, das Herz des Herrn zu finden. Und die Antwort kommt, immer. Lassen wir uns angesichts von Schwierigkeiten bitte niemals entmutigen, sondern stellen wir uns der Prüfung mit Entschlossenheit und mit Hilfe der Gnade Gottes, die uns nie im Stich lässt. Und wenn wir eine eindringliche Stimme in uns hören, die uns vom Gebet abbringen will, dann lernen wir, sie zu entlarven wie die Stimme des Verführers; und lassen wir uns nicht beeindrucken: Tun wir einfach das Gegenteil von dem, was sie uns sagt! Danke.

(vaticannews - skr/pr)

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16. November 2022, 10:03

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