Radio-Akademie (4): Christen in Syrien und Libanon
Ein Reporter von Radio Vatikan, Jean-Charles Putzolu, ist im Herbst 2021 nach Damaskus, Aleppo, Homs und Beirut gereist, um die Kirche(n) im Zweistrom- und im Zedernland zu besuchen. Unsere Radio-Akademie bietet ungewöhnliche Einblicke in zwei Länder, die von Krieg und Krise geprägt sind - aber nicht nur...
Ein psychiatrisches Krankenhaus steht vor dem Aus
Wir sind in Beirut, der Hauptstadt des Libanon. Genauer gesagt: in einem nördlichen Vorort. Von hier aus kann man die Überreste des Hafens nach der verheerenden Explosion vom August 2020 sehen. Damals starben über 200 Menschen, mehr als 300.000 mussten ihre Häuser verlassen.
Hier liegt das , in dem 800 Patienten mit psychischen Erkrankungen untergebracht sind. Jeder von ihnen braucht eine spezielle, fast ständige Betreuung. Das Krankenhaus beschäftigt mehr als 300 Mitarbeiter, darunter Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger.
65 Franziskanerinnen halten das St. Joseph’s Hospital am Laufen. Direktorin ist Schwester Jeannette, die uns in ihrem Büro empfängt.
„Das größte Problem, das die derzeitige Krise mit sich bringt, betrifft das Personal. Wir finden kein kompetentes Personal mehr, weil wir nicht mehr die Gehälter zahlen können, wie sich das eigentlich gehört. Und das Gesundheitsministerium zahlt eigentlich für jeden Kranken pro Tag lediglich zwei Dollar pro Tag – aber seit über einem Jahr haben wir vom Gesundheitsministerium gar nichts mehr bekommen.“
Hilfe für die am stärksten vernachlässigten Menschen
1952 hat der selige Pater Jacques Haddad, ein Kapuziner (geboren 1875, gestorben 1954, im Juni 2008 in Beirut seliggesprochen), die Einrichtung gegründet. Er wollte nicht länger hinnehmen, dass Behinderte und psychisch Kranke, darunter viele Kinder, von ihren Familien einfach im Stich gelassen werden. Haddad begründete 1930 auch die Gemeinschaft der „Franziskanerinnen vom Kreuz des Libanon“, die heute im ganzen Land 25 medizinische, soziale und pädagogische Zentren betreiben.
Die Schwestern wollen vor allem den Ärmsten helfen, doch die schwere Wirtschaftskrise im Libanon zwingt sie in die Knie. Das St. Joseph’s Hospital steht vor dem Aus, wenn nicht noch ein Wunder geschieht. Schon wegen der Corona-Pandemie hat die Einrichtung ihre Bettenzahl von 1.000 auf 800 herunterschrauben müssen.
„Durch die Krise sind die Preise gestiegen, und mittlerweile reicht es hinten und vorn nicht mehr. Wir können nicht mehr weitermachen! Wir hoffen auf Hilfe aus dem Ausland, auf die Vorsehung; wir sind in einer sehr schwierigen Lage… Arzneimittel, Essen, Heizöl, Gehälter, Personal, alles – wir brauchen einfach alles! Jeden Tag haben wir nur noch eine Stunde lang Strom, darum sind wir auf Generatoren angewiesen, und die kosten ein Heidengeld! Das Heizöl dafür kostet 710 Dollar pro Tonne, und wir brauchen jede Woche 15 Tonnen, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Man gibt uns das Heizöl aber nur, wenn wir jeden Monat mit Dollar bezahlen…“
Längst muss das St. Joseph’s Hospital auf seine Rücklagen zurückgreifen, um die Kosten zu decken. Ohne Hilfe kann die Einrichtung nur noch ein paar Monate lang weitermachen – dann droht die Schließung. Für die Patienten wäre das eine Katastrophe. Die meisten würden wohl buchstäblich auf der Straße landen.
Bei Medikamenten haben sich die Preise verdreifacht – mindestens
„Viele haben keine Familie mehr“, sagt Schwester Jeannette. Außerdem gibt es viele Fälle von „gefälschten Informationen“, wie sie das ausdrückt. „Familien vertrauen uns ihre Kinder an, und dann kommt es häufiger vor, als man denkt, dass uns falsche Namen, falsche Adressen und falsche Telefonnummern gegeben werden“. Leider betrifft das gerade die schwersten Fälle. Vor allem aber ist es die finanzielle Zwangslage, die der Ordensfrau Sorgen bereitet.
„Die Medikamente – wir brauchen ja vor allem psychiatrische Medikamente, und bei denen hat sich der Preis in der Krise, nein, nicht verdoppelt, sondern verdreifacht, oder sogar noch mehr. Viele Arzneimittel, auf die wir angewiesen sind, lassen sich außerdem nur noch schwer finden. Wenn das so weitergeht… Nein, so Gott will – wir wollen nicht schließen, wir wollen die Kranken nicht wegschicken! Aber wenn das so weitergeht, dann können wir nur noch für eine begrenzte Zeit durchhalten.“
Gitterstäbe und goldene Ohrringe
Foutine ist eine junge Pflegerin am St. Joseph’s Hospital – und für viele Patienten der einzige Kontakt, den sie zur Außenwelt haben. Wir treffen sie auf dem Gang; überall sind Gitterstäbe, von draußen scheint die Sonne rein. Foutine trägt große goldene Ohrringe. Sie erzählt:
„Es gibt viele Menschen, die unsere Patienten und deren Krankheiten stigmatisieren. Sie wollen sie nicht um sich sehen, sie wollen sie nicht am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft sehen, oder in der Familie. Sie kommen mit der Art unserer Patienten nicht zurecht und finden: Die gehören in eine Einrichtung eingewiesen, weg von der Familie.“
Aber eine Einrichtung wie das St. Joseph’s darf für Menschen mit psychischen Problemen keine Endhaltestelle sein, findet Foutine.
„Die Pflegenden hier in der Psychiatrie müssen die Beziehungen der Patienten zu ihren Familien wiederherstellen. Sie müssen sowohl bei der Familie als auch beim Patienten selbst versuchen, dafür zu sorgen, dass die Beziehungen wiederaufgenommen werden. Dabei ist es wichtig, den Patienten so zu akzeptieren, wie er ist. Weil er wertvoll ist. Und weil er darauf angewiesen ist, Menschen um sich zu haben.“
Die verschwundene Mittelschicht
Szenenwechsel. Wir besuchen das Kloster Notre Dame du Mont Carmel in Hazmieh: Das ist ein Einkehrzentrum der unbeschuhten Karmeliter für Familien. Hier treffen wir Pater Raymond Abdo, Provinzial des Ordens für Libanon und Syrien. Mit ihm reden wir über die Krise im Libanon. Sie habe viele Gründe und Facetten, sagt er – politische, wirtschaftliche, soziale.
Jedenfalls sei die Mittelschicht im Land fast vollständig verschwunden: Familien haben ihr gesamtes Einkommen verloren, sogar das Geld, das sie auf der Bank hatten, das die Frucht ihrer Arbeit war, das Ergebnis eines ganzen Lebens. Und für diejenigen, die noch einen Arbeitsplatz haben, hat der Lohn neunzig Prozent seines Wertes verloren.
Vegetarier aus Not, nicht aus Überzeugung
„Nach den Berechnungen internationaler Organisationen sind fünfundsiebzig Prozent der libanesischen Familien unter die Armutsgrenze gerutscht. Vor der Krise konnte man mit einem Gehalt von umgerechnet tausend Dollar noch ein würdiges Leben führen. Heute ist der gleiche Lohn in libanesischen Pfund nur noch 80 Dollar wert.“
Und gleichzeitig sind alle Preise für normale Lebensmittel gestiegen. Käse, Schinken oder Fleisch sind fast unerschwinglich geworden. Viele sind aus Not, nicht aus Überzeugung, Vegetarier geworden.
Dunkle Straßen, Gestank nach Generatoren
„Vielen Familien geht auf einmal das Geld zum Leben aus. Benzin, Bustickets, Telefonieren, Medikamente – alles ist zu teuer geworden, die Preise sind ins Unmögliche geklettert. Diese Leute können sich nicht mehr leisten, mit dem Auto herumzufahren, denn für eine Tankfüllung von ca. fünfundvierzig Litern braucht man achthunderttausend libanesische Pfund – das entspricht dem Grundgehalt im Libanon.“
Gerade in den Einkaufsstraßen von Beirut hat jedes zweite Geschäft aufgegeben. Luxuskleiderläden sind Secondhandläden gewichen, Bars und Restaurants sind gähnend leer. Abends sind die Straßen dunkel, weil es keinen Strom für Straßenbeleuchtung gibt. Die Geschäfte werden von privaten Generatoren beleuchtet – das ist nicht nur schlecht für die Umwelt, sondern verbreitet auch überall in der Stadt einen üblen Geruch.
Der Staat scheint nicht mehr in der Lage zu sein, die grundlegenden Dienstleistungen wie Gesundheit und Schule zu gewährleisten. „Ich hätte mir nie vorstellen können, dass es zu einer solchen Lage kommen könnte“, sagt Pater Raymond. Doch wie viele Orientalen hat er auch gleich eine Verschwörungstheorie zur Hand: „Ich habe den Eindruck“, sagt er, „dass die Lage inszeniert wird, um viele Menschen dazu zu bringen, den Libanon zu verlassen – vor allem die Christen“.
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(vatican news – sk)
Unser Video oben zeigt Eindrücke von einem Gebetstreffen für den Libanon, das Papst Franziskus im Juli letzten Jahres im Petersdom durchgeführt hat. Das Titelfoto unseres Beitrags zeigt eine Dorfschule im Zentrum Libanons, die von Ordensfrauen geleitet wird und die wir in unserer Radio-Akademie besuchen.
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