Radio-Akademie (2): Christen in Syrien und Libanon
Ein Reporter von Radio Vatikan, Jean-Charles Putzolu, ist im Herbst 2021 nach Damaskus, Aleppo, Hassaké, Homs und Beirut gereist, um die Kirche(n) im Zweistrom- und im Zedernland zu besuchen. Unsere Radio-Akademie bietet ungewöhnliche Einblicke in zwei Länder, die von Krieg und Krise geprägt sind - aber nicht nur...
170 km südlich von Aleppo, auf halbem Weg nach Damaskus, liegt Homs. Hier arbeitet schon seit Jahrzehnten eine Jesuiten-Gemeinschaft. Sie hat während des Krieges einen hohen Preis gezahlt : 2014 wurde Pater Franz Van Der Lugt von Dschihadisten getötet. Heute bemühen sich die Jesuiten, nicht ohne Schwierigkeiten, jungen Menschen in der Stadt Hoffnung zu bieten.
Als hätte der Krieg erst gestern aufgehört
Homs war lange Zeit der Knotenpunkt der großen Handels- und Industriestraßen Syriens. Die Stadt ist auch ein Tor zum benachbarten Libanon; hier starten außerdem die Hauptrouten zu den syrischen Küsten am Mittelmeer. Die drittgrößte Stadt Syriens mit rund 700.000 Einwohnern vor dem Krieg ist eine der am stärksten beschädigten Städte des zehnjährigen Konflikts. Ganze Stadtviertel verwüstet, wie ausgeweidet – als hätte der Krieg erst gestern aufgehört.
Wieviele Menschen heute noch in Homs leben ? Schwer zu sagen. Verlässliche Statistiken gibt es nicht. Immerhin weiß man, dass auf der anderen Seite, im Libanon, anderthalb Millionen Menschen – vor allem Syrer – in den Flüchtlingslagern leben.
Ein Grab in Kreuzesform
Bei den Jesuiten in Homs treffen sich fast täglich junge Christen, aber auch Muslime, um an Aktivitäten der ignatianischen Pfarrei teilzunehmen. Pater Vincent de Beaucoudrey empfängt uns in dem kleinen viereckigen Innenhof, in dem 2014 Pater Franz die Kehle durchgeschnitten wurde. Der Niederländer hatte beschlossen, trotz der islamistischen Eroberung in Homs zu bleiben. Seine Gefährten haben ihn am Ort seines Martyriums begraben, das Grab hat die Form eines Kreuzes.
Pater Vincent berichtet uns von den Schwierigkeiten der jungen Leute, mit denen die Jesuiten zu tun haben. Es fehlt an Arbeit, Perspektiven und Hoffnung. ?Wir leben mit ihnen, so weit wir können“, sagt er. ?Wir versuchen, ihnen spirituell zu helfen, und natürlich leiden wir mit ihnen.“
Basketball spielen gegen die Hoffnungslosigkeit
Die Arbeit der Jesuiten erreicht etwa tausend junge Leute. Diese spielen hier Basketball oder Fußball oder auch Theater, feiern Feste. Woanders im zerstörten Homs gibt es kaum Platz für sowas. Wenn wir nicht wären, könnten diese jungen Leute sich nirgends treffen, sagt Pater Vincent. Aber auch Momente des Betens und des Zuhörens bieten ihnen die Jesuiten an.
Die Arbeit mit den jungen Leuten ist für Pater Vincent belastend. Eigentlich sei es doch das Charisma der Jesuiten, Menschen bei Entscheidungen auf ihrem Lebensweg zu helfen. Aber die jungen Leute hier in Homs hätten nichts zu entscheiden, sie hätten null Aussichten. Sie könnten keine Wahl für ihr Leben treffen, denn alle Auswege seien ihnen versperrt. Am Ende des Tunnels – kein Licht.
Die Studenten finden sich, so erzählt der Pater, oft in Studiengängen wieder, die sie gar nicht interessieren. Die meisten haben ihr Studium danach ausgesucht, ob sie da irgendwie mit dem Bus oder zu Fuß hinkommen. Nach dem Studium stehen sie vor dem Nichts, und das wissen sie. Wenn sie Glück haben, finden sie einen Gelegenheitsjob. Die sozialen Angebote bei den Jesuiten bieten ihnen ein bisschen Ablenkung, mehr nicht.
Der Jesuit fragt: Wie kann man ihnen helfen, wenn sie sich entscheiden müssen, ob sie ins Ausland gehen oder den Militärdienst leisten sollen? Militärdienst, das bedeutet, mehrere Jahre in der Armee zu bleiben – bis zu sieben oder acht Jahre, weil das Land im Krieg ist. Wenn sie zu mir kommen und mich fragen, ob sie bleiben oder gehen sollen, bin ich nicht in der Lage, eine Antwort zu geben. Ich kann ihnen nur sagen, dass sie auf sich aufpassen sollen. Und dass Gott sie begleiten möge…
Wir haben in Homs auch einen Gesprächstermin bei Jean Abdo Arbash, dem griechisch-katholischen Bischof der Stadt. Im Mai 2014, als die Islamisten aus Homs abzogen, habe es dort nur noch 20 Christen gegeben, erzählt er uns. Seitdem sei einiges wieder aufgebaut worden, und einige christliche Familien seien zurückgekehrt. Trotzdem sei die Lage heute schwieriger als in der akuten Kriegszeit.
?Während des Krieges waren immerhin die Grenzen zum Libanon offen, wir konnten uns frei bewegen. Das Schlimmste kam nach dem Krieg: mit der Wirtschaftskrise und der Pandemie, wegen der die Grenze geschlossen wurde. Außerdem haben die internationalen Sanktionen gegen Syrien dazu geführt, dass die ausländischen Unternehmen alle abgezogen sind. Sie haben uns unserem Schicksal überlassen. Wir fühlen uns wie unter Belagerung: Keine Bewegungsfreiheit, kein Geld, kein Import oder Export, hohe Preise. Die Leute sind am Ende.“
Auf einmal ist der Strom weg
Eine OP kostete vor dem Krieg 200.000 syrische Pfund – heute 2 Millionen. Während der Bischof uns das sagt, ist auf einmal der Strom weg. Sofort springt ein Generator an.
?Wir haben in Homs pro Tag nur zwei Stunden Strom. Die meisten Familien können sich keinen Generator leisten – auch kein Benzin, keinen Kühlschrank, keine Waschmaschine. Viele Kinder gehen nicht in die Schule, und die meisten Schulen liegen heute noch in Schutt und Asche. All das trägt nicht dazu bei, dass Christen hierhin zurückkommen. Vor kurzem haben 10 von unseren Familien alles verkauft, um nach Belarus zu fliegen. Die sind jetzt an der Grenze zu Polen blockiert und können nirgendwohin. Was wird aus diesen Menschen?“
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(vatican news – sk)
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