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Die Kirche als Frau: Ecclesia romana, ein Mosaik aus dem 12. Jahrhundert, das die alte Peterskirche in Rom schmückte Die Kirche als Frau: Ecclesia romana, ein Mosaik aus dem 12. Jahrhundert, das die alte Peterskirche in Rom schmückte 

Gisbert Greshake zum 90.: Über das „marianische Prinzip“ der Kirche

Papst Franziskus will die Kirche von innen reformieren, und er will Frauen mehr Raum geben. Gelegentlich spricht er in diesem Zusammenhang vom „marianischen Prinzip“ der Kirche in Ergänzung zum „petrinischen“. Der emeritierte deutsche Dogmatiker Gisbert Greshake, der an diesem Dienstag (10. Oktober) 90 Jahre alt wird, hat viel dazu gearbeitet. Wir haben eine Art Geburtstagsinterview mit ihm geführt.

Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Radio Vatikan: Herr Professor Greshake, Sie haben 2014 eine lange theologischen Studie namens Maria – Ecclesia. Perspektiven einer marianisch grundierten Theologie und Kirchenpraxis vorgelegt. Darin arbeiten Sie heraus, dass das marianische Prinzip in der Kirche verschütt gegangen ist, dabei aber die Kraft hätte, eine wirkliche Reform der Kirche zu ermöglichen. In der kürzesten Form: Was ist das marianische Prinzip der Kirche?

Greshake: Der Begriff marianisches Prinzip stammt aus der Theologie des großen Baseler Theologen Hans Urs von Balthasar. Und er stellt das marianische Prinzip dem petrinischen Prinzip gegenüber. Das klingt alles kompliziert. Es wird vielleicht einsichtiger, wenn man einen Blick tut in die Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanums. Da heißt es, dass die Kirche von Gott gewollt ist als eine komplexe Wirklichkeit. Komplex. Das wird dann ausgeführt: Die Kirche ist auf der einen Seite eine sichtbare äußere Organisation mit Ämtern, Strukturen, Gesetzen, Verwaltungen und so weiter, die dann letztlich gipfelt in das Prinzip des Petrus, ins Einheit gebende Amt des Petrus. Das ist die eine Seite der Kirche.

Radio Vatikan: Und die andere Seite?

Greshake: Die andere Seite besteht darin, dass die Kirche sozusagen eine innere Gestalt hat, und die besteht darin, dass Menschen vom Geist Gottes beseelt sind als Volk Gottes, vom Wort Gottes her leben in der Nachfolge des Herrn, ja in intimer Beziehung zu Gott. Und dafür steht das marianische Prinzip, da ja Maria in der Schrift schon uns geschildert wird als die, die sich Gott ganz zur Verfügung stellt, die vom Wort Gottes her lebt, die, wie es heißt, über das Wort Gottes nachsinnt und die die Gefährtin ihres Sohnes, also die erste Jüngerin ist. Das ist die innere Seite der Kirche. Wobei man nicht beides auseinandernehmen kann, das petrinische und das marianische Prinzip: Beides gehört zusammen. Die Kirche hat die äußere und die innere Seite, und für die innere Seite steht Maria.

Hier zum Hören:

Radio Vatikan: Welche Folgen hat das für den Glaubensvollzug?

Greshake: Das marianische Prinzip als solches hat Folgen für den Glaubensvollzug. Wir sehen es ja zurzeit sehr deutlich an der deutschen Kirche: Man fordert Reform der Kirche - völlig zurecht, die Kirche muss jederzeit erneuert werden, wie es auch das Zweite Vatikanum gesagt hat. Aber diese Forderungen nach Erneuerung der Kirche sind zurzeit vorrangig, jedenfalls hier in der Kirche in Deutschland, Reformen der petrinischen Wirklichkeit der Kirche, also der äußeren Gestalt, Strukturen, Gesetze, Üblichkeiten usw, während die Frage fast völlig ausfällt, wie Kirche von innen her sich erneuern muss, also im Sinne des marianischen Prinzips. Das heißt, wie kann es geschehen, dass Christen mehr vom Wort Gottes her leben, mehr von der Nachfolge des Herrn, mehr in der inneren Besinnung, also auf ihre Beziehung zu Gott und so weiter?

Radio Vatikan: Das marianische Prinzip wird gerne dazu herangezogen, um die Rolle der Frau in der Kirche heute anders, breiter, tiefer zu deuten. Inwiefern ist das zulässig – betrifft das marianische Prinzip nicht alle Gläubigen gleichermaßen?

Greshake: Natürlich gilt das für alle. Ich würde auch sagen, dass daraus nicht unbedingt Konsequenzen für die Frauenfrage in der Kirche, die ja existiert und die wichtig ist, gezogen werden können. Denn man wird zwar sagen müssen, dass es vielleicht - aber als Mann betone ich das mit vielen Fragezeichen - vielleicht der Frau es leichter fällt als einem Mann, vielleicht, dieses marianische Prinzip, diese Kirche von innen her, zu verwirklichen als einem Mann, der von vornherein irgendwo mehr auf das Äußere, auf das Organisatorische, Verwaltung und ähnliches bedacht ist. Aber das sage ich mit aller Vorsicht, das müssen Frauen selbst entscheiden, das können nicht Männer entscheiden.

Radio Vatikan: Franziskus hat in einem Interview letztes Jahr die marianische der petrinischen Dimension der Kirche gegenübergestellt, die Priesterweihe der petrinischen Dimension zugeordnet und damit die Frauenweihe abgelehnt, aber zugleich die marianische Dimension in der Kirche als weitaus bedeutsamer bezeichnet als die petrinische. Darüber hinaus hat Franziskus in dem Interview von einer dritten Dimension gesprochen, nämlich der Kirchenverwaltung, die aber – so Franziskus - nichts mit Theologie zu tun hat, sondern einfach Verwaltung ist, und da müssten mehr Frauen hin, weil sie besser verwalten, sagt der Papst. Wie ordnen Sie diese Dreiteilung ein? Lässt sich Kirchenverwaltung denn nicht auch als Teil kirchlichen Handelns begreifen?

Greshake: Ja, das sehe ich auch so! Ich würde allerdings trotzdem sagen, man kann hier zwei Dinge differenzieren. Gerade das Petrinische in der Kirche nämlich ist sehr abhängig von Zeit, Situation, Geschichte. Das heißt: Die äußere Struktur der Kirche ist wandelbar und muss wandelbar sein. Und wenn die äußere Struktur wandelbar ist, dann gilt das erst recht für die Verwaltung, die für mich zur äußeren Struktur, also zum petrinischen Prinzip der Kirche gehört. Ich würde die aber nicht als dritte Dimension verstehen, sondern als Teil der petrinischen Dimension der Kirche, die aber einen größeren Grad von Wandelbarkeit aufweist als - sagen wir - die Ämterstruktur und solche Dinge mehr. Aber nicht als dritte Dimension, so zumindest würde ich das nicht sehen. Es gibt interessanterweise bei von Balthasar, auf den ja diese beiden Prinzipien zurückgehen, tatsächlich noch eine dritte Dimension. Und die nennt er das Johannes-Prinzip, das johanneische Prinzip in der Kirche. Das ist für ihn eine Vermittlung von beidem, er denkt an Amtsträger, die ganz und gar vom Marianischen her durchdrungen sind, die also ihr Amt und möglicherweise Verwaltung und anderes mehr, was dazu gehört, ganz aus dem Marianischen heraus, aus dem Leben, vom Wort Gottes her verwirklichen.

Radio Vatikan: In Deutschland haben sich im Zug der Reformdebatte zwei katholische Frauen-Initiativen gegründet, die sich auf Maria berufen. Maria 2.0 ist reformorientiert und schaut dabei sehr genau auf die Strukturfrage; Maria 1.0 versteht sich als marianisch in dem Sinn, dass die Gottesmutter in ihrem Gehorsam und in ihrem Glauben Vorbild für Katholikinnen ist. Haben beide Bewegungen auf je eigene Art ein verkürztes Marienbild?

Greshake: Nach meiner Meinung ist Maria 2.0 eher dem Petrinischen zuzuordnen, denn sie dringen auf Veränderungen und Erneuerungen im Sinne der Struktur der Kirche. Wie übrigens auch die deutsche Kirche mit ihrem synodalen Weg im Grunde gar nicht merkt - oder die Leute, die das in extremer Form vertreten -, dass sie im Grunde sich dauernd im petrinischen Bereich der Kirche bewegen, also bei äußeren Strukturveränderungen. Während Maria 1.0 fast ausschließlich oder ausschließlich sogar auf diese innere Erneuerung der Kirche drängt und nicht sieht, dass auch die äußere Struktur der Kirche der Erneuerung bedarf. Also genau das, was das Zweite Vatikanum sagt: Die Kirche ist eine komplexe Wirklichkeit, nicht zusammengesetzt aus zwei Bereichen Marianisches, Petrinisches, sondern die müssen sich durchdringen. Man kann das eine nicht vom anderen lösen. Man kann nicht auf äußere Strukturen allein setzen, und man kann nicht auf innere allein setzen, sondern beides gehört einfach unauflöslich zusammen. Und insofern sehe ich tatsächlich, dass zwischen Maria 1.0 und Maria 2.0 totale Einseitigkeiten herrschen.

Radio Vatikan: Sie werden jetzt 90 Jahre alt, liegen also von der Generation her zwischen Papst Benedikt XVI. und Papst Franziskus, der bald 87 wird. Zwei recht verschiedene Päpste, welcher von ihnen versteht das Marianische der Kirche besser?

Greshake: Das ist gar nicht so leicht zu sagen. Auf der einen Seite, theologisch gesehen hat im Sinne einer wissenschaftlichen Theologie gerade der Ratzinger-Papst sehr viel beigetragen zu dieser Kurzfassung: Maria ist die Kirche. In Maria erscheint das, was Kirche in ihrer Vollgestalt, in ihrer tiefsten Gestalt ist. Man wird das mit unterschiedlichen Akzenten sehen müssen. Der Ratzinger-Papst hat auf seine Weise und das heißt gerade auch auf theologische Weise, wenn Sie so wollen, wissenschaftlich-theologische Weise, Nützliches beigetragen zu diesem Thema Maria-Kirche. Er hat herausgestellt, deutlicher als manche andere vor ihm, dass die Vollgestalt der Kirche in Maria sichtbar wird. Maria-Kirche, das ist eines seiner großen Themen.

Radio Vatikan: Und Papst Franziskus?

Greshake: Papst Franziskus demgegenüber ist ja ohnehin nicht ein Verfechter der, wenn man so will, wissenschaftlich traditionellen Theologie. Er setzt mehr auf kirchliche Praxis. Und das ist das für mich das Großartige, dass er sagt: Wir müssen wegkommen von Räsonieren allein, sondern wir müssen mehr auf das Tun des Glaubens setzen. Die Wahrheit muss getan werden, nicht einfach nur bedacht werden. Und in diesem Sinn kann man sicher sagen, dass Papst Franziskus durch die Betonung der Praxis durchaus etwas vom marianischen Prinzip berührt, nämlich: Der Glaube muss - wie der Glaube Mariens und der Glaubensvollzug Mariens - wirklich in die Tat umgesetzt werden und nicht einfach nur in ein Bedenken, in einen Wahrhaben-Wollen, in einen Glauben im Sinne des theoretischen Annehmens.

Radio Vatikan: In Rom tagt die Generalversammlung der Bischofssynode. Was erhoffen Sie sich von diesem Treffen?

Greshake: Offen gestanden habe ich da keine sehr großen Erwartungen. Ich glaube viel eher, dass das Thema Synodalität, das in der Kirche in Deutschland ja durchaus aufgrund des synodalen Weges bekannt geworden ist, zunächst einmal auch weltkirchlich viel mehr aktualisiert werden muss, also sich drehen muss um den Glaubensvollzug der Kirche. Ich erwarte mir nicht irgendwelche großen Reformen äußerer Art, die man sozusagen in einen Satz zusammenfassen kann, sondern zunächst einmal erwarte ich mir nur, dass der kirchliche Hintergrund für das, was Synodalität ist, sich verbreitert, auch in den Kirchen Afrikas, Asiens und so weiter. Wir dürfen ja nicht vergessen, wir stehen in einer Weltkirche und nicht einfach nur in einer Kirche einiger westlicher Länder. Insofern: Konkrete Erwartungen verbinde ich kaum damit. Aber die Hoffnung, dass die synodale Idee sich in der Kirche verbreitet.

Radio Vatikan: Gelegentlich heißt es, die deutschsprachige Theologie habe heute ihre einstige Bedeutung eingebüßt. Teilen Sie diese Einschätzung?

Greshake: Ja, die teile ich durchaus. Die Theologien, über die man früher die Nase gerümpft hat, Theologien in Amerika, den Vereinigten Staaten usw., haben heute zum Teil ein viel größeres Gewicht als das, was wir in Deutschland darbieten können. Ich erinnere auch nur daran, dass etwa in den 50er Jahren die französische Theologie mindestens gleichwertig war wie die deutsche Theologie mit Rahner und Balthasar und so weiter, aber auch die hat ihr Gewicht verloren. Demgegenüber werden allmählich auch Theologien aus Indien interessanter, generell aus dem asiatischen Bereich, aus dem amerikanischen Bereich. Die deutsche Theologie spielt vielleicht noch eine kleine Rolle, aber international hat sie ihren Rang verloren. So sehe ich das jedenfalls.

Radio Vatikan: Woran liegt das?

Greshake: Es hängt vielleicht auch damit zusammen, dass die deutschsprachige Theologie einen ungeheuren Theorieschub genommen hat. Das heißt, dass gerade jüngere Theologen wohl meinen, sie müssten sich auch wissenschaftlich beweisen, gerade an den Universitäten, dass sie einen hohen Grad an Theoriefähigkeit aufweisen, auch gegenüber anderen Wissenschaften. Was aber dazu führt, dass die Theologie als eine Wissenschaft, die letztlich dem Glauben zu dienen hat, die die Glaubenswelt aufzuschlüsseln hat, verloren gegangen ist. Was ich immer wieder bei Studenten höre, ist auch, dass sie etwas vermissen im Theologiestudium, nämlich dass dabei irgendetwas für ihren persönlichen Glauben herauskommt. Und das hängt für mich zusammen mit der ungeheuren Theorie-Priorität der deutschsprachigen Theologie.

Maria-Ecclesia. Perspektiven einer marianisch grundierten Theologie und Kirchenpraxis, von Gisbert Greshake ist 2014 bei Pustet erschienen. Eine leicht lesbare Zusammenfassung legte Greshake selbst 2016 vor: Maria ist die Kirche: Aktuelle Herausforderung eines alten Themas (Topos Taschenbücher). 

(vatican news – gs)

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09. Oktober 2023, 08:13