USA streichen Auslandshilfe: „Die Botschaft ist, ich bin mehr wert als du"
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Die US-amerikanische Regierung hat jüngst bis auf Weiteres alle Auslandshilfen ausgesetzt. Was bedeutet das für Ihre Arbeit im Jesuitenflüchtlingsdienst?
Michael Schöpf: Konkret haben wir am 24. Januar einen Brief von der US-amerikanischen Regierung erhalten, in dem uns mitgeteilt wurde, dass alle von ihr finanzierten Projekte sofort eingefroren werden müssen. Das betrifft neun Projekte in ebenso vielen Ländern mit einem jährlichen Gesamtvolumen von 18 Millionen Dollar.
Man muss sich das einmal vorstellen: Im Tschad etwa – wie soll eine Schule am Freitag schließen und am Montag einfach weitergeführt werden? Im Irak arbeiten wir mit traumatisierten Menschen, die einen Genozid überlebt haben. Wie soll man denen erklären, dass es am Montag niemanden mehr gibt, der mit ihnen spricht? Die Art und Weise, wie diese neue Politik umgesetzt wird, bedeutet einen plötzlichen, abrupten Einschnitt. Das Leben von mehr als 100.000 Geflüchteten wurde von einem Tag auf den anderen zum Stillstand gebracht.
Sie sind in vielen der betroffenen Länder regelmäßig unterwegs. Was steht zu erwarten, wenn die Gelder aus den USA eingefroren bleiben?
Michael Schöpf: Zunächst erwarten wir eine zweite Welle an Folgen, weil auch andere Partner betroffen sind – etwa das UNHCR und weitere Organisationen, die ebenfalls Mittel aus den USA erhalten haben. Die große Frage ist: Was passiert mit den Geldern, die bereits verplant waren? Wie entscheiden sich diese Organisationen, die Projekte fortzuführen? Ich rechne noch einmal mit einem deutlichen Anstieg des Bedarfs. Gleichzeitig steht die übergeordnete Frage im Raum: Wie geht es weiter, wenn diese Mittel dauerhaft wegfallen?
Welche Perspektiven zeichnen sich hier ab?
Michael Schöpf: Es gibt niemanden, der diese Hilfe in vollem Umfang ersetzen kann. Natürlich können die EU und einzelne Länder ihre Budgets ein Stück weit aufstocken. Aber der Anteil der USA an den weltweiten Entwicklungsgeldern liegt bei rund 40 Prozent. Dafür gibt es keinen vollständigen Ersatz. Deshalb sind die Auswirkungen nicht nur auf der Projektebene zu spüren. Sie betreffen auch die grundlegende Frage, wie sich unsere Weltordnung verändert – hin zu einer Politik, die nicht mehr wertebasiert entscheidet.
In welche Richtung entwickelt sich das Ihrer Einschätzung nach?
Michael Schöpf: Ich glaube, die Botschaft, die wir aus dem Umgang mit Entwicklungsgeldern und Flüchtlingsprogrammen mitnehmen, ist eindeutig: Die Vergabe von Mitteln wird künftig stärker an US-amerikanische Interessen geknüpft. Das bedeutet, wir treten in eine neue Weltordnung ein – meine Kollegen in Washington nennen sie „transactional“. Wer nichts zum Verhandlungstisch mitbringen kann, zählt nichts und hat keinen Platz am Tisch. Geflüchtete erleben das besonders deutlich, weil sie zu den Gruppen gehören, die nichts Materielles als Gegenleistung bieten können. Die entscheidende Frage ist: Welche Rolle spielt die menschliche Würde in dieser neuen Ordnung? Die unterschwellige Botschaft lautet: „Ich bin mehr wert als du.“ Wer nichts beitragen kann, was den eigenen Interessen dient, gilt als wertlos.
Wir erleben das in unserer Arbeit hautnah. Aktuell gibt es Diskussionen darüber, ob Ausnahmen für lebensnotwendige Maßnahmen gemacht werden – etwa bei Lebensmittel- oder Medikamentenhilfen. Doch was genau ist lebensnotwendig? Ist es nur die Nahrung, das Wasser? Oder gehört auch der Zugang zu Bildung dazu?
Die US-amerikanische Gesellschaft ist grundsätzlich spendenfreudig. Viele soziale und kulturelle Einrichtungen finanzieren sich stärker durch private Zuwendungen als in Europa. Sehen Sie bereits eine Gegenbewegung von privaten Spendern, die den Jesuitenflüchtlingsdienst jetzt verstärkt unterstützen?
Michael Schöpf: Es ist noch zu früh, um das abschließend zu beurteilen. Wir haben jedoch einen Spendenaufruf gestartet – an alle Jesuitenprovinzen und an unsere treuesten Unterstützer, von denen viele in den USA sind. Tatsächlich haben wir eine Welle der Solidarität erfahren.
Welchen Appell möchten Sie heute lancieren?
Michael Schöpf: Ich bitte alle, in dieser extremen Notsituation nach ihren Möglichkeiten zur Unterstützung beizutragen.
Zugleich möchte ich ermutigen, auch andere Flüchtlingsorganisationen zu unterstützen, die sich in einer ähnlichen Lage befinden. Wichtig ist, dass wir den Geflüchteten weiterhin ins Gesicht sehen und ihnen sagen können: Eure Würde zählt nach wie vor.
Darüber hinaus geht es um eine viel größere Frage: Eine neue, nicht wertebasierte Weltordnung soll durchgesetzt werden. Wer damit nicht einverstanden ist, sollte genau jetzt darüber nachdenken und das Gespräch mit den politisch Verantwortlichen suchen.
(vatican news – gs)
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