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Der Petersplatz bei der feierlichen Verkündigung des Dogmas im November 1950 Der Petersplatz bei der feierlichen Verkündigung des Dogmas im November 1950 

Pius XII. und Maria: So entsteht ein Dogma

Vor genau siebzig Jahren startete Pius XII., ohne es zu wissen, eine Tradition: Der Papst besuchte die Mariensäule in der Nähe der Spanischen Treppe in Rom, um der Gottesmutter am Hochfest ihrer „unbefleckten Empfängnis“ seine Aufwartung zu machen.

Die Aktion des Pacelli-Papstes vom 8. Dezember 1953 gehörte zu dem von ihm ausgerufenen „Marianischen Jahr“. Sein Nachfolger Johannes XXIII. aber wiederholte den Gang zur Säule nach seiner Wahl 1958 – jedes Jahr am 8. Dezember. Seither gehört diese Geste fest zum Programm von Päpsten im Monat Dezember.

Ins Gedächtnis eingeschrieben hat sich Pius XII. aber vor allem durch einen anderen Akt der Marienverehrung: Am 1. November 1950 verkündete er das Dogma von der Aufnahme Mariens in den Himmel – mitten im Heiligen Jahr. Es war das erste Mal in der Geschichte, dass sich ein Pontifex in dieser Form auf die 1870 vom proklamierte päpstliche Unfehlbarkeit stützte.

Eine Petition aus dem spanischen Valencia im Archiv des heutigen Glaubensdikasteriums
Eine Petition aus dem spanischen Valencia im Archiv des heutigen Glaubensdikasteriums

Eine historische Premiere

Dabei handelte er, wie Matthias Daufratshofer betont, keineswegs aus dem Bauch heraus. Der Theologe von der Uni Münster weist im Interview mit Radio Vatikan darauf hin, dass Pius (der manchmal als „Il papa della Madonna“ bezeichnet wird) zuerst einmal das Gespräch mit Theologen gesucht und im Heiligen Offizium (dem heutigen Dikasterium für die Glaubenslehre) um Rat gefragt hatte.

„Ist es überhaupt opportun, so ein Dogma zu verkünden?“

„Hier ist, und das finde ich spannend, zunächst gefragt worden: Ist es überhaupt opportun, so ein Dogma zu verkünden? Und zweitens: Ein Dogma muss gemäß dem Konzil von Trient in der Tradition und in der Heiligen Schrift verankert sein. So war es bei frühkirchlichen Dogmen. Bei der ‚Assumptio‘ Mariens ist das ein bisschen schwierig. Das heißt, wir haben die ersten acht Jahrhunderte keine richtigen Zeugnisse, und auch in der Heiligen Schrift kommt die ‚Assumptio‘ nicht klar zum Ausdruck.“

Matthias Daufratshofer, Uni Münster
Matthias Daufratshofer, Uni Münster

Millionen von Petitionen aus aller Welt

Allerdings – Pius wollte das Dogma, das hatte er schon kurz nach seiner Wahl 1939 seiner Entourage anvertraut. Er wusste wohl, dass schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts Millionen entsprechender Petitionen den Heiligen Stuhl erreicht hatten. „Es sind über 6 Millionen Petitionen weltweit nach Rom geschickt worden, und Pius XII. hat eine Spezialkommission damit beauftragt, diese Petitionen zu sortieren. Letztendlich haben zwei Jesuiten, Wilhelm Hentrich und Rudolf Walter von Moos, diese Petitionen gesammelt und einen Teil davon herausgegeben. Eine Grundlage für die weitere Arbeit, sub secreto sancti officii, für dieses Mariendogma.“

„Das eigentliche Argument hat der Papst neu erfunden“

Noch im Herbst ’39 (in Europa brach da gerade der Weltkrieg aus) wandte sich Pius XII. sich an das Heilige Offizium; dort beauftragte man den Jesuiten Franz Hürth von der Gregoriana, die Sache in die Hand zu nehmen. Der trug zusammen, dass sich in der Kirche immer stärker die Gewissheit herausgebildet hatte, dass Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden ist.

Papst Pius XII. (1939-58)
Papst Pius XII. (1939-58)

„Das heißt, Experten, Theologen haben dazu geforscht und sind weitergekommen. Aber das eigentliche Argument, das der Papst neu erfunden hat, ist jetzt der Konsens des Weltepiskopats. Der Papst hat das ordentliche Lehramt der Bischöfe befragt, und die haben mit 98 Prozent gesagt: Ja, wir wollen das Dogma! Und das ist das eigentliche Argument.“

Radio Vatikan: Hintergründe zum Mariendogma Pius XII.' von 1950

Der zwölfte Pius nahm Maß am neunten: Der Vorgänger hatte 1854 das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens definiert. „Und hier sind die Begründungsinstanzen neu erfunden worden: das heißt, der Weltepiskopat und in gewisser Weise - was wir erst seit dem Zweiten Vatikanum so kennen - der sensus fidelium… Der Druck von der Basis war so groß, und dem hat sich der Papst gebeugt. Und das heißt, diese beiden sind als Hauptargumente in die Dogmatisierungsbulle aufgenommen worden.“

Kreuzgang im Gebäude des Glaubensdikasteriums
Kreuzgang im Gebäude des Glaubensdikasteriums

Forscher war überrascht von der Fülle des Archivmaterials

Daufratshofer hat sich detailliert mit dem Prozess der Dogmatisierung beschäftigt, und zwar anhand von Archivmaterial.

„Seit der Öffnung des vatikanischen Archivs für das Pontifikat Pius XII.‘ am 2. März 2020 habe ich dort gearbeitet – und war erst einmal völlig überrascht von der Menge an Akten, die für das Mariendogma im Archiv liegen: 25 Meter Aktenmaterial! Außerdem bin ich fündig geworden im Archiv der Gregoriana, im privaten Nachlass von Franz Hürth, Mitglied der geheimen Vorbereitungskommission; und drittens im ‚Archivio Apostolico Vaticano‘ in den Beständen des Staatssekretärs. Ja, und dann ist es wie Goldgräberarbeit –ich habe versucht, die Akten zu sortieren, abzuschreiben und dann auszuwerten.“

Im Archiv der vatikanischen Glaubensbehörde
Im Archiv der vatikanischen Glaubensbehörde

98 Prozent der Bischöfe in aller Welt sagten auf Pius‘ Anfrage aus Rom hin Ja zum Dogma. Was im Umkehrschluss bedeutet: Zwei Prozent des Weltepiskopats hatten Bedenken.

„Letztendlich hat der Papst entschieden“

„Ja, diese zwei Prozent gibt es natürlich. Aber man hat gesagt: 98,2 Prozent sind die absolute Mehrheit und der ‚Consensus unanimus‘. Das heißt, das reicht aus, um es zu dogmatisieren. Wenn wir in die geheimen Vorbereitungsarbeiten schauen, sehen wir aber, dass es auch große Vorbehalte gegenüber dem Dogma gab; Konsultoren, Mitglieder der Vorbereitungskommission, haben gesagt: Ich sehe das kritisch. Sollen wir das wirklich dogmatisieren? Und letztendlich hat der Papst entschieden. Der Papst als unfehlbarer Lehrer der Kirche hat entschieden: Ich werde das Dogma nach der Konsultation der Bischöfe herausgeben und verkünden.“

Einband einer Zusammenstellung von Petitionen aus Venezuela
Einband einer Zusammenstellung von Petitionen aus Venezuela

Pius änderte handschriftlich den Text

Dabei war Pius XII. aber durchaus klar, dass es eine Herausforderung bedeutete, das Dogma nach innen wie nach außen zu vermitteln. Der deutsche Forscher macht das an der Apostolischen Konstitution „Munificentissimus Deus“ fest, zu der der Papst noch kurz vor der Proklamierung des Dogmas von Hand Argumente hinzufügte.

„Genau diese beiden Ergänzungen, die Papst Pius XII. noch im August 1950, das heißt in letzter Sekunde, vorgenommen hat, sind die entscheidenden. Pius XII. hat nämlich gesehen, dass es in der letzten Überarbeitungsstufe im sechsten ‚Progetto‘ der Dogmatisierungsbulle kein biblisches Argument gab, es war bei der letzten Überarbeitung gestrichen worden... Nun hat Pius XII. gesagt: Genesis 3, 15 muss rein, denn wir brauchen ein Schriftargument, und wir brauchen noch mehr von der Tradition. Das heißt, Thomas von Aquin musste herhalten, der Gewährsmann schlechthin. So etwas muss in einer päpstlichen Bulle natürlich auftauchen. Wir haben also wirklich die handschriftlichen Ergänzungen, die er mit fein säuberlicher Schrift selbst verfasst hat, im Archiv vorliegen. Und die geben natürlich Rückschlüsse darüber, was der Papst denkt – und vor allem, wie ein Dogma entsteht…“

(vatican news – sk)

Petitionen im Archiv des Glaubensdikasteriums
Petitionen im Archiv des Glaubensdikasteriums

* Der Artikel stützt sich auf Material von Maria Milvia Morciano.
 

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08. Dezember 2023, 08:37