ÃÛÌÒ½»ÓÑ

Papst Franziskus Papst Franziskus 

Papst rechnet Deutschland zu „3 Covid-Erfahrungen meines Lebens"

Drei Erfahrungen existenzieller Einsamkeit hat Papst Franziskus in seinem Leben gemacht. Eine davon, die mittlere, war sein Aufenthalt in Deutschland 1986. Das erzählt der Papst in einem neuen Interviewbuch, das an diesem Montag auf Italienisch erscheint. Viel für seine Aufgabe in Rom gelehrt habe ihn auch Ludwig von Pastors monumentale „Geschichte der Päpste“.

Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Seine Oberen hatten den argentinischen Jesuitenpater Bergoglio 1986 im Alter von fast 50 Jahren nach Deutschland geschickt, wo er sein Deutsch verbessern und promovieren sollte. Seine Sprachkenntnisse vertiefte der spätere Papst am Goethe-Institut in Rothenburg ob der Tauber sowie in Frankfurt; die Promotion sollte er nie abschließen.

Zum Nachhören - was der Papst zu seinem Deutschlandaufenthalt sagt

Seine Zeit in Deutschland nennt der Papst in dem Buch „Wage zu träumen!“ den „Covid der Vertreibung“. Es sei zwar eine „freiwillige Vertreibung“ gewesen, aber er habe sich in Deutschland „völlig fehl am Platz“ gefühlt und Heimweh empfunden. In Frankfurt ging er häufig zum Friedhof spazieren, weil man von dort aus die startenden und landenden Flugzeuge sehen konnte. Besonders gut erinnert sich der heutige Papst, bekennender Fußballfan, an den Tag, nachdem Argentinien die Fußball-WM gewann:

Die Einsamkeit des Nicht-Dazugehörens

„Ich ging in meine Sprachschule und niemand sagte etwas, bis eine junge japanische Frau aufstand und VIVA ARGENTINA auf die Tafel schrieb. Alle fingen an zu lachen. Dann kam der Lehrer herein, sagte, sie solle das wegwischen, und das war's. Es war ein Alleinsein im Triumph, den man nicht teilen kann, die Einsamkeit des Nicht-Dazugehörens, des Aus-dem-Gleichgewicht-geworfen-Werdens. Du wirst von dort weggenommen, wo du bist, und an einen Ort geschickt, den du nicht kennst. Und auf diesem Weg lernst du, was wirklich wichtig ist an dem Ort, den du zurückgelassen hast.“

Papst Franziskus am Fenster während des Corona-Lockdowns in Rom
Papst Franziskus am Fenster während des Corona-Lockdowns in Rom

„Ich konnte sehr harsch sein. In Córdoba bekam ich die Quittung dafür, und das war richtig so“

Die anderen beiden Covid-Situationen, die Franziskus in dem Buch vertieft, sind seine lebensbedrohliche Krankheit als Seminarist und seine Zeit in der argentinischen Stadt Córdoba 1990 bis 1992. In Córdoba wirkte Pater Bergoglio als einfacher Beichtvater, nachdem er zuvor in jungen Jahren Provinzoberer der Jesuiten und Rektor des Studienhauses Colegio Maximo de San José gewesen war. Nach äußeren Vorstellungen war die Versetzung nach Córdoba also ein Abstieg.

In seinem Buch stellt Franziskus eine Verbindung zwischen diesen Stationen her: „Ich habe bestimmt einige gute Dinge getan, aber ich konnte sehr harsch sein. In Córdoba bekam ich die Quittung dafür, und das war richtig so.“ In diesen knapp zwei Jahren habe er das Haus praktisch nicht verlassen, höchstens um zur Post zu gehen, ein Lockdown, noch ehe das Wort 2020 allgegenwärtig wurde. Eine Zeit der Stille, des geistlichen „Nachreifens“ und der Lektüre – und das habe ihm gutgetan, wie Franziskus hervorhebt.

„Wenn du einmal diese Papst-Geschichte kennst, dann kann dich wenig von dem, was im Vatikan und der Kirche heute passiert, noch schockieren“

Unter anderem sei ihm dort die Fähigkeit des Gebets gegeben worden. Außerdem habe er „alle 37 Bände“ eines alten, kirchenhistorischen Standardwerks durchgelesen: „Die Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters“ des österreichischen Gelehrten Ludwig von Pastor. Heute sehe er eine Vorsehung darin, dass er sich ausgerechnet in dieses sperrige Werk vertieft habe, sagte der Papst. „Es war, als ob Gott mich mit einer Art Impfung vorbereitet hätte. Wenn du einmal diese Papst-Geschichte kennst, dann kann dich wenig von dem, was im Vatikan und der Kirche heute passiert, noch schockieren. Es hat mir sehr geholfen!“

Jorge Mario Bergoglio in seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires
Jorge Mario Bergoglio in seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires

„Ich muss mich bei der Leitung der Kirche davor hüten, in dieselben Fehler zu verfallen, die ich als Ordensoberer hatte“

Der Covid von Córdoba sei für ihn „eine wirkliche Läuterung“ gewesen. „Er hat mir größere Toleranz, Verständnis, Fähigkeit zur Vergebung und eine neue Empathie für die Machtlosen geschenkt“, erklärte der Papst. Darüber hinaus Geduld. Diese entstehe ja aus der Einsicht, „dass Wandel organisch geschehen muss“. Und Franziskus reflektiert an dieser Stelle über seine Rolle als Papst. Er müsse „immer noch vorsichtig sein. … Ich muss mich bei der Leitung der Kirche davor hüten, in dieselben Fehler zu verfallen, die ich als Ordensoberer hatte.“

 Das neue Papstbuch

 â€žWage zu träumen!“ hat Papst Franziskus zusammen mit seinem englischen Biografen Austen Ivereigh geschrieben. In dem Buch übt das Kirchenoberhaupt deutliche Kritik an den Denk- und Handlungsweisen, die zum Entstehen der gegenwärtigen globalen Krise beigetragen haben. Die Coronapandemie verschärft seiner Ansicht nach die schon zuvor präsenten Fehlentwicklungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Wie schon in seiner Enzyklika „Fratelli tutti“ und zuletzt bei dem Event „Economy of Francesco“ fordert der Papst eine grundsätzliche Neuausrichtung der Gesellschaft. Der Referenzpunkt ist dabei nicht Wirtschaftswachstum, sondern im Gegenteil der Blick auf benachteiligte Menschen und auf die Schöpfung.

Auf Deutsch erscheint „Wage zu träumen!“ von Papst Franziskus im Verlag Kösel und kommt am 4. Dezember in den Handel.

(vatican news)

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

23. November 2020, 09:18