Ö²õ³Ù±ð°ù°ù±ð¾±³¦³ó: „Mission kann jeder, es ist wie kochen“
Pope: „Mission kann jeder, es ist wie kochen“, schreiben Sie. Wirklich jeder? Wie verstehen Sie Mission?
Neubauer: Ich glaube, es ist dringend notwendig, dass wir von der Mission als Expertentum wegkommen. Ich erlebe sehr oft, dass Menschen etwas ganz Kostbares haben, das sie geben können. Gerade die Kirche hat ja die Botschaft, dass jeder einen unendlichen Schatz in sich trägt. Den gilt es freizulegen. Wir können uns gegenseitig ermutigen, das, was an Schönem und Gutem da ist, zu hegen. Ich glaube, das trifft wirklich jeden. Ich habe viele agnostische und muslimische Freunde, bei denen ich viel Schönes und Gutes sehe, dass sie weitergeben können. Der Heilige Paulus sagt: Alles was gut, edel, wahr ist, kommt von Gott. Er hat jeden Menschen beschenkt. Wenn wir wirklich glauben, dass jeder Mensch ein Kind Gottes ist, dann ist es natürlich mehr als würdig, zu glauben, dass jeder etwas zu geben hat und auf diese Weise Mission leben kann.
Pope: Einer der wichtigsten Ausgangspunkte ist ganz einfach die Begegnung, schreiben Sie. Warum?
Neubauer: In der Botschaft geht es um die Liebe. Darum kann das Eigentliche nur von Herz zu Herz passieren. Eine Moderatorin, deren erstes Buch herausgekommen ist, die aus der Kirche aus- und dann wieder eingetreten war, wurde gefragt, wie das mit einem so weiten Graben zwischen Kirche und Welt gehe, und sie antwortete, sie verstehe die Frage nicht. Bei ihr sei das einfach von Herz zu Herz gegangen. Ich glaube, dass es das wieder zu lernen gilt – dass Jesus eine Botschaft hat, die eigentlich jeder versteht, dass nicht ein ausgewählter oder elitärer Kreis dafür bestimmt ist, sondern jeder Mensch direkten, unmittelbaren Zugang zu der Wirklichkeit Gottes hat.
Pope: Sie waren 2011 in Castel Gandolfo beim Ratzinger-Schülerkreis und haben über Ihr Verständnis von Neuevangelisierung, von Mission gesprochen. Auch Papst Benedikt der XVI. war dabei, und er nutzte einen ganz offenen Missionsbegriff. Können Sie uns schildern, wie das war?
Neubauer: Es war sehr bewegend, einen Papst zu erleben, der so demütig und herzlich zugewandt, so zuhörend und lernend war. Er hat gesagt: „Heute können wir viel lernen“, und das hat mich persönlich sehr bewegt. Er hat die ganze Gruppe – hauptsächlich emeritierte Theologie-Professoren – gefragt: „Sind wir nicht alle Suchende hier?“ Er hat ganz deutlich gemacht, dass das Entdecken dieses Weges mit Jesus, dieser Zugang zu ihm, für uns alle ein Weg des Suchens und immer wieder neu Findens ist, und dass diese Suchbewegung nie aufhört, weil sie jeden Tag eine neue Begegnung ist. Er hat ja auch selber zum Ausdruck gebracht, dass wir so evangelisieren sollen, dass andere ihr Heimweh nach Gott akzeptieren lernen, und dass gerade jene, die mit Gott ringen – auch wenn sie vielleicht Gott noch nicht als Herrn angenommen haben – oft näher am Herzen Gottes sind als diejenigen, die nur sich selbst betrachten, womit er die Kirche gemeint hat. Wenn die Kirche nur sich selbst betrachtet, kann sie nicht den Anderen sehen.
Pope: Welchen Weg weist eine solche Aussage von Papst Benedikt?
Neubauer: Ich hatte den Eindruck, dass Papst Benedikt prophetisch schon vorausgenommen hat, was Papst Franziskus dann umgesetzt und konkret gemacht hat. Papst Benedikt hat diese innere Weite aufgemacht. Es geht um diesen Dialog, und er hat ausdrücklich gesagt, dass der Dialog nur auf einem demütigen Akt basiert. Wahrheit kann sich also nur schenken und weitergeschenkt werden. Wir besitzen sie nicht. Papst Benedikt hat ausdrücklich betont: Wahrheit haben wir nicht, wir können sie nur als Beschenkte weitergeben. Es ist ein großer Unterschied, ob ich Besitzender oder Beschenkter bin. Das macht Evangelisation so einladend und schenkt eine Begegnung von Herz zu Herz.
Pope: Wie schwierig finden Sie es, diesen kostbaren Schatz heute weiterzugeben, in einer Zeit, in der eine stark säkularisierte Welt der Kirche vorwirft, Menschen zu missbrauchen und zu manipulieren?
Neubauer: Tatsächlich ist die Wahrnehmung von Kirche eine Hürde, die es zu überwinden gilt. Dafür müssen wir uns viel mehr Zeit zum Zuhören nehmen. Das klingt fast banal, aber ich glaube, es ist unsere Herausforderung, so lange zuzuhören, bis wir verstehen können, wo das Bedürfnis des Anderen wirklich liegt. Das erinnert mich immer wieder an Philippe Pozzo di Borgo, dem Autor von „Ziemlich beste Freunde“, der gesagt hat: „Ich habe so lange zugehört, bis ich entdeckt habe, dass in jedem Menschen ein unendlicher Reichtum steckt.“ Ich glaube, dass wir davon lernen können. Dann merken wir, und diese Erfahrung mache ich sehr oft, dass es gerade bei den Menschen, die zunächst einmal praktisch gar nichts mit der Kirche zu tun haben oder ihr gegenüber misstrauisch eingestellt sind, ein unglaubliches Interesse gibt. Ich weiß, dass viele der Meinung sind, man könne nicht sagen, dass alle Menschen eine Sehnsucht nach Gott haben. Ich glaube es schon. Ich glaube, dass es ein Heimweh nach unbedingter Liebe gibt. Aber sie verbinden damit nicht gleich die Kirche.
Pope: Und wie stellt man sich darauf ein?
Neubauer: Ich glaube, dass wir das Angesicht der Kirche sein müssen, das Antlitz, das zuhört, sich zuwendet, Mitgefühl zeigt mit der Not, der Heimatlosigkeit dieser Gesellschaft. Dann werden sich die Menschen zuwenden. Ich erlebe sehr oft, dass Menschen nach sieben oder acht Jahren Freundschaft sagen: „Ich glaube dir. Ich glaube, dass es diesen Gott gibt, an den du glaubst.“ Sie wenden sich nicht unmittelbar einer kirchlichen Gemeinschaft zu, weil das schwierig ist, die Eingangstüren sind nicht zwingend offen. Ein lieber Freund hat einmal gesagt, das sei so wie in den alten Zug-Waggons, im Sechser-Abteil, einen Sitzplatz zu finden. Da sitzen zwei drin mit viel Gepäck und alles ist vollgeräumt, man macht die Tür auf und schaut rein, und die schauen halblustig zurück: „Soll ich den reinlassen oder nicht?“, und einer schiebt leicht das Gepäck weg, damit wenigstens ein Platz frei ist. Dieser Freund sagt: „Bei euch ist es so ähnlich. Man möchte eigentlich rein, weil man irgendwie Sehnsucht hat, aber man hat nicht wirklich das Empfinden, dass man willkommen ist.“ Wir müssen ganz ehrlich sein: Sind Menschen willkommen, die anders sind und anders denken als wir? Die aber Sehnsucht nach Gott haben, und diese Gesellschaft hat Sehnsucht nach Gott, hat Hunger. Das glaube ich wirklich.
Pope: Sie stellen in Ihrem Buch eine Art Werkzeugkasten für Begegnung vor, eine Liste mit sechs Punkten. Was braucht es?
Neubauer: Zunächst einmal gilt es, dankbar zu sein. Ich sage bei einer Begegnung - ob der Andere mir fremd ist, ob er Moslem ist oder Atheist – innerlich „Danke“ für diesen Menschen. Danke, dass Du ihn gemacht hast. Still natürlich...! Für mich ist jeder Mensch ein Geschenk. Jeder Mensch ist ein Geschenk. Das ist eine Wahrheit. An diese Wahrheit muss ich erst einmal heran. Wir haben dieses großartige Geschenk, dass wir Gott loben dürfen, und Lob ist immer auch Dank für mein Gegenüber. Ich kann Gott sogar im Anderen anbeten. Das sagt Mutter Teresa: „Ich begegne Christus vor allem in den Ärmsten.“ Gerade wenn jemand mir ganz fern scheint, kann ich Gott anbeten. Er spürt vielleicht eine Ferne, aber Gott ist da. Das ist das Geheimnis: Wir glauben, dass Gott da ist, in dieser Welt.
Pope: Die nächsten Schritte?
Neubauer: Die nächsten Schritte entsprechen einem guten Willen: Ich versuche, Vorurteile abzubauen, unterstelle dem Anderen nicht Böses, sondern Gutes, versuche – wie es der Heilige Ignatius sagt – die Meinung des Anderen zu retten, statt sie zu verurteilen. Wenn jemand mir Dinge sagt, die für mich schwierig sind, versuche ich zu verstehen, herauszuhören, was an Gutem darin steckt. Das ist kein „Weichspülen“ von Schwierigkeiten, sondern macht zum Teil auch Schwierigkeiten und Unterschiede offenbar. Gleichzeitig setzt es auf das Gute, darauf, dass das Gute eher siegt, bis sich dann ein Gespräch eröffnet. Dabei muss ich dem Anderen auch das Evangelium zutrauen. Ich glaube, wir sind viel zu entschuldigend mit unserer Botschaft. Weil ich glaube, dass sie letztlich einer Sehnsucht entspricht, erzähle ich ganz einfach Geschichten von Jesus, wie ich das sehe – keine Belehrung, sondern Austausch von Erfahrungen. Das finden die Menschen oft sehr interessant und ansprechend. Ich glaube, der wichtigste Schritt besteht darin, dass wir einander Gastfreundschaft gewähren und Menschen an unserem Leben teilhaben lassen – und selbst auch teilhaben am Leben der Anderen. Zusammenfassend würde ich sagen, ein guter Dialog und echte Gastfreundschaft würde uns in unserer Mission sehr helfen.
Pope: Das klingt, als sei Ihr Programm auch eine Schule für geglücktes Leben.
Neubauer: Ja. Das haben Sie schön gesagt. Denn ich glaube, unser Glaube ist ein Glück, das wir erfahren dürfen. Wir teilen das Glück und lassen andere Menschen daran teilhaben. Die Engländer sagen gerne „Belonging before Believing“, also „Dazugehören, bevor ich zum Bekenntnis, zum Glauben finde“. Wir haben es vielfach anders gemacht, haben gesagt: „Zuerst müsst ihr mal an die Lehre herankommen und dann sagen wir euch, ob ihr auch dazugehören dürft.“ Dass es umgekehrt ist, lehrt uns das Evangelium. Jesus lässt Menschen teilhaben an der Freundschaft, an der Mahlgemeinschaft mit ihm. Die Jünger regen sich auf und sagen, wie kannst du dich mit denen abgeben? Aber der Andere kann eben nur erfahren, dass Gott Liebe ist, wenn wir etwas von dieser unbedingten Liebe teilen, diese Freundschaft anbieten, mit jemandem das Leben teilen. Das bedeutet, zu lernen, ein gutes Leben zu führen.
Die Fragen stellte Gudrun Sailer. Mission Possible: Praxis-Handbuch für Dialog und Evangelisation ist erschienen im Verlag Herder.
(vatican news)
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