Jesuit in Kolumbien: Hoffnung auf Wandel
Brigitte Schmitt, Bogotá
Kolumbien hatte nach der Corona-Krise wieder eine relative Stabilität erreicht, bis Kämpfe zwischen Rebellengruppen wieder aufflammten und zehntausende Menschen im Nordosten aus ihren Häusern fliehen mussten. Daraufhin rief Präsident Gustavo Petro den Ausnahmezustand in der Region aus.
Doch auch auf politischer Ebene ist die Lage in Kolumbien derzeit instabil. Nachdem es in der Regierung heftige Kritik an seinem Kurs gab, hat der erste linksgerichtete Präsident Anfang Februar sein Kabinett umgebildet und sieben Minister entlassen. Die Kirche verfolgt dies mit Sorge.
Bischöfe fordern mehr Einsatz gegen die Gewalt
Bei ihrer Jahresversammlung im Januar verurteilten die Bischöfe Kolumbiens die neu aufgeflammte Gewalt. Sie forderten die Regierung in Bogotá auf, „wirksame Antworten" auf die anhaltende humanitäre und soziale Krise des Landes zu finden.
Doch nicht nur die Bischöfe wollen Antworten, auch die Bürger wünschen sich einen Wandel. Im Gespräch mit Radio Vatikan schildert der Jesuit Jorge Serrano Ordoñez, wie groß die Hoffnungen der Menschen sind. Serrano Ordoñez ist Pfarrer der Gemeinde Nuestra Señora de la Soledad in Bogotá. Die Lage in Kolumbien mit seinen rund 52 Millionen Einwohnern sei unübersichtlich:
„Wir gehen von einem Extrem ins andere. Da gibt es einen schlechten Bürgermeister. Dann taucht ein anderer Mann auf, den keiner kennt, der aber viel verspricht. Dann gibt es Wahlen. Die Leute wählen aber nicht für ihn, sondern gegen das vorhergegangene Desaster. Als Bürger, als Kolumbianer, erwarten wir immer, dass die verworrene Situation, in der wir leben, nur von einem Außerirdischen, einem Götterboten, einem Messias, einem Transformer, einem Alien gelöst werden kann.“
Wirtschaftliches Potential
Zu den Herausforderungen in Kolumbien gehört auch massive soziale Ungleichheit. Trotz eines großen wirtschaftlichen Potenzials dank Rohstoffreichvorkommen an Kohle, Gas und Erdöl sind Teile der Bevölkerung arm. Die Wirtschaftsdaten sahen zuletzt günstig aus, so gab es mehr Wachstum und weniger Inflation. Die Regierung hat angekündigt, mehr fürs Klima tun zu wollen und setzt auf erneuerbare Energien.
Wichtigsten Wirtschaftspartner des lateinamerikanischen Landes sind die USA. Wie sich die Lage mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Vor wenigen Wochen kam es zu einem ersten Kräftemessen zwischen Trump und Petro: Washington forderte die Regierung in Bogotá auf, illegale kolumbianische Einwanderer zurückzunehmen, ansonsten drohten Strafzölle. Petro blieb wenig übrig, als klein beizugeben.
Das Beispiel von Donald Trump hat ein Pendant in Kolumbien, sagt Pater Serrano:
„Es gibt einen Kandidaten namens Mauricio Arango, der ein Milliardär wie Trump ist, der viel Wohltätiges tut und der sagt, dass Gott ihn gebeten hat, Kolumbien zu retten. Wie Trump. Er hat keine Partei, keine politische Geschichte. Er hat sein Geld in einem Investmentfonds gemacht, verkaufte sein Unternehmen, und jetzt hat er Millionen, die er für karitative und philanthropische Zwecke ausgibt. Die Kolumbianer, reich wie arm, würden sofort für ihn stimmen."
Sicherheit gegen Geld
Die Arbeitslosenquote steht in Kolumbien offiziell bei zehn Prozent. Doch diese Zahl kommt nur zustande, weil sich viele Familien im informellen Sektor, also durch den Verkauf von Plätzchen, Süßigkeiten, Handyhüllen, Plüschtieren, ja sogar einem Becher Kaffee an den Mautstellen der Autobahnen, über Wasser halten. Und wer keinen Job hat, der bedient sich: Vom Taschendiebstahl bis zur Entführung ist alles möglich. Und doch bescheinigen die Kolumbianer, dass das Leben „sicherer“ geworden sei.
Vor Jahren gelang es Präsident Uribe mit seiner Politik der harten Hand, das Land wieder sicherer zu machen. Dazu Pater Serrano:
„Uribe war der erste Magier dieses Jahrhunderts. Er versprach, Ordnung zu bringen. Und die Reichen sagten, prima, das wollen wir, doch sie selbst ändern nichts. Sie zahlten Unsummen an Pesos... Der Preis spielt keine Rolle, aber es gab ihnen das Gefühl, dass sie sicher von ihrem Haus zu ihren Anwesen gehen konnten, ohne entführt zu werden... Doch das hat eine Kehrseite. Jetzt verlangen die Paramilitärs mehr für die Sicherheit - der Preis steigt. Und keiner will erkennen, dass die Sicherheit unsere Verantwortung ist.“
Seit Präsident Uribe kämen und gingen „korrupte Präsidenten“, sagte der Jesuit. „Irgendwann kapieren die Leute, dass die Regierung keine Lösung für die anstehenden Probleme hat. Und die Regierungskrise, die wir jetzt haben, zeigt, dass die, die gehen mussten, nicht zur Basis um Petro gehörten.“
Migration nach und aus Venezuela
Die jüngsten Kämpfe im Norden haben das Thema der Vertriebenen, der Migranten in Kolumbien, wieder in die Schlagzeilen gebracht. Pater Jorge hat vor Jahren in Cúcuta an der Grenze zu Venezuela gearbeitet. Dort unterhalten die Scalabrinianer-Pater ein Migrantenzentrum. In Cúcuta, wo es knapp eine Million Einwohner gibt, leben etwa 220.000 Migranten, die Hälfte in prekären Verhältnissen. Der Jesuit erklärt, dass das Migrantenproblem bis in die 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts zurückreicht.
„Viele Kolumbianer flohen damals vor der Gewalt und gingen nach Venezuela, das damals ein reiches Land war. Sie verkauften dort ihre Arbeitskraft. Es war so, als ob man in die Vereinigten Staaten oder Mexiko gehen würde. Sicher, die Kolumbianer wurden malträtiert, wurden deportiert, aber kehrten immer wieder nach Venezuela zurück, weil sie dort Arbeit fanden. Heute hat sich der Spieß umgekehrt. Heute kommen die Venezolaner, die zu Hause kein Auskommen mehr finden. Und sie werden genauso misshandelt wie vorher die kolumbianischen Migranten in Venezuela.“
Heute leben und arbeiten rund 2,8 Millionen Venezolaner in Kolumbien. Viele leisten einen wichtigen Beitrag zur Wirtschaft – für die gehobene Bürgerschicht seien sie jedoch alle ,Ladrones‘, Diebe, beobachtet der Jesuit.
Pfingstkirchen
An seiner aktuellen Wirkungsstätte hat Pater Jorge andere Probleme. In seiner Gegend um die Pfarrei gibt es viele Pfingstkirchen. Sie machen inzwischen 30 Prozent aus.
„Früher hatten wir hier zehn Messen am Tag, jetzt haben wir eine Messe und 20 Leute kommen – und die meisten von ihnen sind alte Frauen. Wo sind die jungen Universitätsstudenten? Es gibt sieben Universitäten in der Umgebung. Viele Studenten leben in der Nähe.“
Die Studenten kommen aber nicht in die katholische Messe. Sie fühlen sich von anderen Kirchen angezogen, sagt der Jesuit:
„Da gibt es gleich in der Nähe die Gemeinde der Adventisten. Dort gibt es viele junge Leute, die sonntags zu zweit hinausgehen, um zu evangelisieren. Und es gibt die Gemeinde der Pius-Brüder von Lefebvre, die drei Blocks von hier eine Kirche hat. Es ist ein Haus voller junger Leute. Sie kleiden sich sehr traditionell, mit langen Röcken und mit Schleiern. Wir, die katholische Kirche, sind weder Fleisch noch Fisch. Was zum Beispiel die sexuelle Vielfalt angeht. Schwule Paare, alle, die eine andere Identität haben, fühlen sich in dieser kolumbianischen Kirche nicht angenommen.“
Pater Serrano hat deshalb bewusst begonnen, auch Homosexuelle in seiner Kirche zu begrüßen:
„Ich stehe an der Tür, ich tue das, was man in den Vereinigten Staaten, in Europa und in Spanien tut. Die Leute sehen mich, wie ich die Leute begrüße, ,auf Wiedersehen‘ oder ,guten Abend‘, ,wie geht es? Vielen Dank, dass Sie gekommen sind‘. Alle sind willkommen. Das heißt nicht, dass wir eine Liturgie für Homosexuelle anbieten, vielleicht einmal in der Zukunft. Aber wir wollen eine offene Kirche sein.“
(vatican news)
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