Rund um die Synode: „Von der Taufe ausgehen“
Um die Zukunft der Kirche zu gestalten, brauche es einen Blick zurück, betont die Theologin, die lange Zeit Präsidentin der „Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie“ war. Aktuelle exegetische Studien zum frühen Christentum enthielten Hinweise darauf, wie es mit der Kirche weitergehen könne. Die Kirche habe sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder angepasst, Strukturen geschaffen, ein System. Das habe die Sicht auf verschiedene Bereiche geprägt, auch auf Wesen und Rolle der Frau.
„Die Ekklesiologie ist mit der Liturgie, der Sexual- und Familienethik und vor allem mit der Stellung der Frau verbunden. Es waren Geschichten über Reinheit, Geschichten über das Patriarchat. Man muss sich von diesen Perspektiven lösen und zur Bibel zurückkehren. Wir können dabei aktuell vom enormen Aufschwung der exegetischen Studien, der historischen Studien zur frühen Kirche profitieren, um einen Schritt nach vorne zu wagen.“
Thiel hat sich im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt in der Kirche in Frankreich mit Klerikalismus und Machtmissbrauch beschäftigt. In der Weltsynode sieht sie eine Chance für ein besseres kirchliches Miteinander. Papst Franziskus gehe dabei von der Gleichheit in der Taufe aus, von der aus sich verschiedene Charismen entfalteten, so Thiel:
„Die Gleichheit in der Taufe steht an erster Stelle, sie ist grundlegend, weil sie die Grundlage für die Anerkennung der Charismen bildet, zum Beispiel in den Bereichen Führung, Predigt, Liturgie. Wir sollten dies anerkennen, ohne Kleriker auf ein Podest zu stellen. Was also machen wir aus der Taufe? Hier ist es hochinteressant, was der Papst (bei der ersten Synodensitzung) im Oktober 2023 gemacht hat. Denn allein schon die Tatsache, dass alle Getauften auf der gleichen Ebene sind, ändert Dinge. Kleriker sind quasi gezwungen, sich auszutauschen, vor allem die Bischöfe, Gemeindepriester waren ja ein wenig abwesend, was man jetzt geändert hat. Bischöfe, Kardinäle, Laien auf der gleichen Ebene, alle Getauften, damit sie miteinander sprechen können."
Widerstände gegen eine synodalere Kirche sieht die erfahrene Theologin vor allem bei Bischöfen, die ihr Amt als Macht missverstehen. In solchen Kreisen gebe es „sehr großen Widerstand“ gegen eine Gewaltenteilung in jenen Amtsbereichen, die Laien eigentlich stärker mitgestalten könnten. Hier brauche es einen Gesinnungswandel, so Thiel:
„Es geht nicht darum, dass die Säkularen ,die Macht‘ übernehmen, es geht nicht darum, dass die Frauen ,die Macht‘ übernehmen. Es geht nicht um eine Revolution, die ist nicht haltbar. Es braucht eine Revolution der Herzen, eine Revolution der Mentalität. Nicht alles kann sofort getan werden, aber man muss in die Zukunft schauen.“
Marie-Jo Thiel ist Direktorin des „Europäischen Forschungszentrum für Ethik“ der Universität Straßburg in Ostfrankreich. Sie hat sich mehrfach für eine grundlegende Reform der katholischen Sexual- und Familienethik ausgesprochen, wie sie Papst Franziskus mit zwei Bischofssynoden und dem darauf aufbauenden Schreiben Amoris Laetitia von 2016 angeschoben hat. Im Kontext kirchlicher Missbrauchsfälle in Frankreich trat sie 2019 als Autorin einer umfangriechen Studie zu Missbrauch in Erscheinung.
Das Interview führte Delphine Allaire für Pope.
(vatican news – pr)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.