Rom: Weltkriegs-Soldaten in deutschsprachiger Kirche werden identifiziert
Pope: Frau Scheer, wie kommt es dazu, dass 450 Soldaten des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs in einer Krypta von Santa Maria dell‘Anima begraben sind?
Tamara Scheer: Wer durch Italien fährt, kennt die Abzweigung auf den Straßen mit den Kreuzen. Fährt man das entlang, kommt man meist zu den vielen Militärfriedhöfen, von denen viele aus dem Ersten Weltkrieg stammen. Einen solchen Ort sogar mit 450 österreichisch-ungarischen Soldaten gibt es auch in Rom, und zwar unter der Kirche Santa Maria dell‘Anima. Dies aber erst seit 1937, als der damalige Rektor Alois Hudal es geschafft hat, die italienischen Behörden und den Vatikan zu überzeugen, dass die sterblichen Überreste dieser Soldaten (an die Anima) überführt werden. Seit drei Jahren haben wir ein Projekt laufen, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Lebensgeschichten dieser 450 Soldaten aufzuarbeiten, da tatsächlich der allergrößte Teil von ihnen bislang als nicht identifiziert gegolten hat. Das bedeutet, dass in den 1920 Jahren die Familien nichts von ihrem Schicksal erfahren haben. Die meisten von ihnen mussten für tot erklärt werden.
Pope: Anima-Rektor Hudal scheiterte mit seinem Versuch, einzig die sterblichen Überreste deutsch klingender österreichischer Katholiken vom Campo Verano in die Anima zu überführen. Warum wäre ihm das ein Anliegen gewesen?
Tamara Scheer: Tatsächlich handelt es sich bei den Soldaten, die heute in der Krypta der Anima bestattet sind, nicht um jene, die Rektor Hudal 1937 im Sinn gehabt hatte. Eigentlich wollte Hudal eine rein deutsche Kriegergedächtnisstätte in seiner Kirche errichten und wandte sich deshalb auch an die deutsche und die österreichische Botschaft in Rom. Während die österreichische sofort einer Überführung der Soldaten vom Campo Verano (an die Anima) zustimmte, bekam er einen Negativbescheid von deutscher Seite. Die meinten, es gebe bereits genug Begräbnisstätten für deutsche Soldaten. Hudal hatte aber nicht alle österreichisch-ungarischen Soldaten im Sinn, sondern nur jene, die er für „deutsch“ hielt. Es gibt auch heute noch im Archiv von Santa Maria dell‘Anima eine Liste aller Soldaten, wobei einige Namen blau unterstrichen sind. Es sind meist jene Namen, die deutsch klingen, und die hatte Hudal eigentlich im Sinn. Als er diese Liste den italienischen Behörden zusandte, bekam er allerdings als Antwort, dass man diese nicht extra separieren konnte, weshalb ihm alle sterblichen Überreste übersandt wurden.
Pope: Was haben Sie bis jetzt über diese Soldaten herausfinden können? Wer waren sie?
Tamara Scheer: Tatsächlich sind es österreichisch-ungarische Soldaten, sie entstammen allen Nationalitäten, also nicht nur der deutschen, sondern es sind auch Slowenen darunter, Polen, Ruthenen – also aus der heutigen Ukraine -, Serben, Ungarn und Rumänen. Sie spiegeln wirklich die damalige österreichisch-ungarische Armee wider. Auch das Alter ist breit gestreut. Der jüngste, den wir gefunden haben, war 18 Jahre alt, der älteste 46. Sie sind auch nicht alle Katholiken, ja nicht einmal Christen. Wir wissen mit Bestimmtheit, dass sich einige Muslime unter ihnen befinden. Muslime kämpften in der österreichisch-ungarischen Armee meist bei den Bosniaken, also sie stammten aus Bosnien-Herzegowina. Es dürften auch einige Juden darunter sein.
Spanische Grippe häufigste Todesursache
Pope: Was ist mit ihnen passiert? Konkret, wie sind sie gestorben?
Tamara Scheer: Sie sind nicht an der Front gefallen, sondern sie wurden zumeist an der italienischen Front gefangen genommen, kamen in die Kriegsgefangenenlager rund um Rom und in Rom selbst, und sie waren zumeist im Arbeitseinsatz. Heute wissen wir, dass die meisten von ihnen an den Folgen der Spanischen Grippe gestorben sind.
Pope: …die 1918 bis 1920 weltweit mindestens 20 Millionen Menschen tötete, Italien war schwer von dieser Pandemie betroffen. Wie gehen Sie bei der Identifizierung vor? Wie schwierig ist das in diesem zeitlichen Abstand?
Tamara Scheer: Tatsächlich hätte man vor zehn Jahren eine solche Identifizierung oder Recherche zu den Lebensgeschichten der Soldaten nicht machen können. Wir haben sehr davon profitiert, dass gerade in den letzten Jahren sehr viele Quellen aus unterschiedlichsten Archiven digitalisiert worden sind und online zugänglich gemacht wurden. Wir begannen ja während der Pandemie. Es war für uns relativ einfach, von unseren Computern aus zu recherchieren. Es gibt beispielsweise Verlustlisten, wo immer verletzte Gefangene verlautbart wurden. Da findet man schon sehr viele Informationen. Aber es hat auch die Stadt Rom in den letzten Jahren die Sterbebücher der Stadt digitalisiert. Und hier konnten wir auch noch mal sehr viel über diese Soldaten erfahren, also wie alt sie waren, woher sie stammten und in welchem Militärspital in Rom sie verstorben sind. Und neben den Archiven in den Ländern des ehemaligen Österreich-Ungarn gibt es noch sehr viele Quellen in Rom zu heben.
Pope: Worin sehen Sie die Botschaft dieses ungewöhnlichen Soldatengrabes und Ihrer Identifizierungsarbeit heute, wo wieder ein Krieg in Osteuropa tobt?
Tamara Scheer: Es war vor etwas mehr als zwei Jahren, als der russische Krieg auf die Ukraine begann, als wir in die intensive Phase der Identifizierung und Recherche gekommen sind. Und es war schon ein bedrückendes Gefühl, dass man einerseits sieht, dass es manchmal 100 und mehr Jahre braucht, um eine Familie zu sagen, was in den letzten Wochen und Monaten mit ihrem Familienangehörigen passiert ist, bevor er gestorben ist, wo er begraben ist. Und gerade wenn man die Nachrichten dann nebenbei immer so mitbekommen hat, war es schon sehr, sehr traurig, weil man das Gefühl hat, man kämpft gegen Windmühlen. Ein Menschenleben ist in einer Sekunde ausgelöscht. Was es aber bedeutet, dann das Schicksal zu recherchieren, aber auch was es für die zurückgebliebenen Familien bedeutet, das sehen wir in diesem Projekt.
, einschließlich der Namensliste der bereits identifizieren Soldaten.
(vatican news – gs)
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