Weshalb ein ukrainischer Soldat Priester wurde
Svitlana Dukhovych und Mario Galgano - Vatikanstadt
Petro Mandziak ist ein Priester der Eparchie Stryi der ukrainisch griechisch-katholischen Kirche. Im Augenblick hat er viel zu tun. Als Seelsorger kümmert er sich um die Familien, die ihre Angehörigen im Krieg verloren haben. Seine eigene Erfahrung hilft ihm dabei, die richtigen Worte zu finden: Er verbrachte eineinhalb Jahre an der Front im Osten des Landes.
Er selber hatte wie die meisten ukrainischen Soldaten vor dem Eintreffen an der Front einen vorgefertigten Brief verfasst gehabt, den er an seine Ehefrau und Tochter gerichtet hatte. Heute will er gerne daraus vorlesen:
?Hallo, meine Lieben! Wenn ihr diesen Brief lest, bedeutet das, dass Gott mich zu sich gerufen hat“, so beginnt der Abschiedsbrief, den Petro Mandziak an seine Frau und seine kleine Tochter schrieb, als er an der Front in der Ostukraine war, für den Fall, dass er sterben würde. Aber er nahm den Brief dann mit, als er nach Hause zurückkehrte. ?Die Jungs haben mich sehr dafür gescholten, diesen Brief nicht weggeworfen zu haben, weil die Leute in der Armee sehr abergläubisch sind. Aber ich bin gläubig, ein Christ, und wenn Gott mich nach Hause bringt, möchte ich meiner Frau meine Gedanken mitteilen“, sagte er im Interview mit Radio Vatikan.
Er ging, um das Leben zu verteidigen
Seine Geschichte, die des heutigen griechisch-katholischen Priesters in der Diözese Stryi, sei ein Zeugnis für die Gnade Gottes: eine Geschichte, die er teilen wollte, um zu zeigen, wie Gott - oft auf völlig unerwartete Weise - in unserem Leben wirkt, wenn wir auf seine Stimme hören, sagt Petro Mandziak.
Der heute 33 Jahre alte Ukrainer schloss 2016 sein Studium am griechisch-katholischen Priesterseminar in Lemberg ab und kam im selben Jahr nach Rom, um an der Päpstlichen Akademie Alfonsiana zu studieren. Nach dem Erwerb des Lizentiats in Moraltheologie kehrte er 2019 in die Ukraine zurück, heiratete und begann, für den ukrainischen Postdienst ?Nova Poshta“ zu arbeiten. Im Februar 2022, nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine, trat er zunächst der Territorialverteidigung bei und entschied sich im Juni desselben Jahres, freiwillig in die Streitkräfte einzutreten.
?Wir verfolgten ständig die Nachrichten und sahen, wie die Russen einfach auf Zivilisten schossen“, erinnert sich Pater Petro, was ihn dazu veranlasste, an die Front zu gehen: ?Da wurde einem klar, dass man als gesunder und normaler Mensch gehen sollte, um diejenigen zu schützen, die sich nicht selbst schützen können. Und generell habe ich in meinem Leben immer versucht, sowohl als Bürger des Landes als auch als Christ aktiv zu sein. Das heißt, wie das frühere Oberhaupt der griechisch-katholischen Kirche Andrej Scheptyzkyj sagte, ist es wichtig, dass wir nicht lauwarm sind: dass wir entweder heiß oder kalt sind, denn es gibt nichts Schlimmeres als ´Lauwarmkeit´. Ich habe diesen Ruf in meinem Herzen gespürt und bin ihm gefolgt. Ich bin nicht dorthin gegangen, um zu töten, absolut nicht. Ich ging hin, um das Leben zu verteidigen.“
Nach einer kurzen Ausbildungszeit ging Petro als Teil einer Angriffseinheit an die Front. Er nahm an den Kämpfen um Soledar teil, wo er im Oktober 2022 verwundet wurde. ?Im Krieg kann jeder das finden, wofür er gekommen ist“, sagt der ehemalige Soldat. ?Wenn jemand mit Angst gekommen ist, wird er dieser Angst dort begegnen; wenn jemand aus Rache gekommen ist, wird er immer eine Gelegenheit zur Rache finden. Ich zum Beispiel bin gekommen, um Frieden und Liebe unter meine Brüder zu bringen, um ihnen eine Stütze zu sein, die Hand Gottes, die im Krieg da sein kann.“
Die Realität des Krieges lässt einen alle Masken ablegen
Petro konnte seine Unterstützung für seine Kameraden bei der Schlacht in den Artemsil-Salzminen in Soledar unter Beweis stellen. Aufgrund der deutlichen Überlegenheit der russischen Streitkräfte wurden 4 seiner 20 Mann starken Truppe getötet und 11 verwundet, aber die übrigen unverletzten Männer, darunter Petro, konnten alle Verwundeten vom Schlachtfeld holen.
Der Krieg, sagt Pater Petro, zwinge die Menschen dazu, ihre Masken abzulegen. ?Das heißt, wenn wir in unserem Leben soziale Masken aufsetzen, können wir Gott oft nicht begegnen, weil wir uns scheinbar zu sehr für die Welt einsetzen. Gott sagt uns, dass wir nicht für uns selbst leben sollen, sondern für einen anderen. Wir wissen, dass wir nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen sind, wir haben ein Bild, und wir streben nach diesem Bild, das heißt, wir streben nach diesem Bild durch die Kraft unseres Handelns. Und Christus ist der Prototyp dieses Bildes und dieser Ähnlichkeit. Christus macht uns sehr deutlich, dass er nicht für sich selbst lebt, dass er klar die Berufung erfüllt, die Gott ihm gegeben hat, und dass er weiß, wohin er geht.“
Und das habe er während des Krieges sehr deutlich gemerkt, dass man dort nicht für sich selbst leben könne, weil der Krieg keine Rücksicht auf einen nehme, fügt er an:
?Man muss im Namen von etwas und für jemanden leben. Und tatsächlich entdeckst du dort eine sehr lebendige Begegnung mit Gott, weil du nicht mehr all das ´Zeug´ hast, das du hier im Leben hast. Wenn jemand zum Beispiel Priester wird, denkt er vielleicht: ´Ich bin so stark, so angesehen. Ich bin jemand.´ Aber so etwas wie ´jemand´ gibt es nicht, man ist einfach der, der man ist. Wie der Sänger Wakartschuk in seinem Lied ´Moment´ sagt: ´Sei so, wie Gott dich kannte´, denn du stehst im Angesicht des Todes, und es gibt niemanden, der das Spiel spielt. Und tatsächlich, in diesem Moment, in völliger Nacktheit, d.h. völlig entblößt von verschiedenen sozialen Schichten, begegnet man Gott nur dort.“
Partnerschaften sind ein Lichtblick inmitten des Krieges
Die Realität des Krieges mit all ihren Tragödien werde zu einem fruchtbaren Umfeld für die Bedeutung der Geschwisterlichkeit, die, so Petro Mandziak, die christliche Mentalität widerspiegele, denn ein wahrer Bruder ?kümmert sich nicht um sich selbst, sondern um seinen Nächsten“. ?Ein Mitbruder ist jemand, der alle deine Bedürfnisse kennt, auch wenn du sie nicht verbalisierst“, sagt er. ?Das heißt, eine Person, die dich auf einer bestimmten emotionalen Ebene fühlt. Jetzt, in diesem friedlichen Leben, vermisse ich einen solchen Menschen schrecklich. Sie ist wie eine Verlängerung von dir. Es gab viele solcher Menschen, von denen viele leider schon verstorben sind. Aber als Christ glaube ich, dass ich nach meinem irdischen Leben diese großen Kosaken, große Helden, große Engel Gottes dort treffen werde.“
Es gibt keine Atheisten in den Schützengräben
Als er darüber nachdachte, wie sich der Glaube an der Front verändere, erinnerte sich der ehemalige Soldat an einen seiner Mitstreiter, der zunächst behauptete, Atheist zu sein. Nach einem weiteren schweren Gefecht kam er auf Petro zu und sagte: ?Wissen Sie, mein Atheismus ist nutzlos. Wahrscheinlich habe ich ihn gebraucht, um mich in Friedenszeiten einfach in der Gesellschaft zu behaupten. Aber als ich in diesem Schützengraben saß, erinnerte ich mich an ein Gebet, das mir meine Großmutter immer beigebracht hat.“
?Das Sprichwort 'In einem Schützengraben gibt es keine Ungläubigen' ist also eine heilige Wahrheit“, sagt Petro. ?Es ist nur so, dass man dem Tod nahe ist. Wenn ich jetzt zum Beispiel als Priester die Beichte vor dem Tod abnehme, wird der Sinn unseres Lebens deutlich, denn der Mensch versteht, dass es bereits ein Abschied ist und es keinen Sinn hat, sich auf der anderen Seite zu zeigen: Nur das, was der Mensch mitnimmt, bleibt. Deshalb weiß der Teufel diese Dinge, und deshalb ist meiner Meinung nach das schrecklichste Problem in der heutigen Welt, neben dem Krieg, die Komfortzone: dort werden wir Gott nicht begegnen. Gott ist in den Herausforderungen. Das heißt, es ist nicht Gott, der uns leiden lässt, aber leider ist der Glaube für uns so alltäglich geworden, dass wir Gott nicht anders als durch Leiden und irgendeine Art von Prüfung hören werden. Wir werden sehr wichtig, das heißt, wir denken uns: ´Ich habe Geld verdient, also bin ich jemand. Das gehört mir. Es ist kein Geschenk von Gott, aber es gehört mir.´ Und dann beginnen die Probleme. Ich versuche, alles, was um mich herum geschieht, als ein Geschenk Gottes anzunehmen, und ich muss mich als Geschenk darum kümmern.“
Die Priesterweihe
Nach seiner Verwundung in der Nähe von Soledar musste sich Petro Mandziak einige Zeit lang einer Rehabilitation unterziehen. Er erlebte am eigenen Leib, was Menschen, die von der Front zurückkehren, oft widerfährt: Unterdrückte und ?eingefrorene“ Emotionen und Gefühle, Erinnerungen an Kämpfe, Verlust von Freunden usw. werden zu einer wahren Lawine, die nicht leicht zu bewältigen ist. Als er darüber nachdachte, stellte er fest, dass es an der Front an Seelsorgern fehlte, die den Männern bei der Bewältigung dieser Probleme helfen konnten, und so beschloss er, den Weg des Priestertums einzuschlagen. Nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst wurde er im Dezember 2023 in der griechisch-katholischen Diözese Stryi zum Priester geweiht. Der Ortsbischof beschloss, Peter Mandziak zwei kleine Pfarreien anzuvertrauen, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich zu erholen und sich an den priesterlichen Dienst zu gewöhnen. Seither kümmert er sich auch um Hinterbliebene von getöteten und verwundeten ukrainischen Soldaten.
(vatican news)
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