Migranten an der spanischen Südgrenze: Zwischen Hoffnung und Haft
Felipe Herrera-Espaliat, Korrespondent in Algeciras, Spanien
Abdelaziz Zeriouh war 17, als er die Grenze zwischen Nador, Marokko, und der spanischen Stadt Melilla illegal überquerte. Auf seinem Weg zur Suche einer besseren Zukunft wurde er aber bald gestoppt: Weil er ein unbegleiteter Minderjähriger war, kam er unter staatliche Vormundschaft. Als er 18 Jahre alt wurde, erhielt er eine Aufenthaltsgenehmigung für Spanien – jedoch ohne Arbeitsberechtigung. Da er nicht die Mittel hatte, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, geschweige denn zu studieren, zog er umher in verschiedene Städte der Halbinsel. Dort fand er Arbeit – auf dem so genannten Schwarzmarkt. Ohne Arbeitsgenehmigung war er Ausbeutung und prekären Arbeitsbedingungen ausgeliefert.
Eine Lage, die keinesfalls ein Ausnahmefall ist. Im Gegenteil: Sobald jemand ohne vorige Genehmigung spanisches Hoheitsgebiet betritt oder eine Grenze jenseits eines Kontrollpunkts überschreitet, gilt der- oder diejenige als irregulärer Einwanderer. Als solcher wird er gemäß dem Gesetz des Landes verwiesen, bis die Lage geklärt ist - ein Verfahren, das bestenfalls zwei bis drei Jahre dauern kann.
Während dieser Zeitspanne haben die Migranten keine sozialen Rechte und die große Mehrheit von ihnen arbeitet illegal. Darüber hinaus gerät ein hoher Prozentteil der Männer und Frauen in die Fänge der Mafia und ihres Menschenhandels – sie verdingen die Leute als Haushaltshilfen, zwingen sie zu Bettelei auf den Straßen oder Prostitution. Abdelaziz musste während der Erntezeit als Obstpflücker hart arbeiten.
Verwurzelung durch Ausbildung
Eine Gesetzesänderung vereinfacht die Lage jedoch für Migranten, die seit mehr als zwei Jahren in Spanien sind und eine Berufslehre machen wollen, so dass sie hinterher einen Arbeitsvertrag bekommen können. Die neue Regelung heißt „Arraigo per formación“ – Verwurzelung durch Ausbildung – und hat in den vergangenen zwei Jahren die Ausgabe von mehr als 15.000 Aufenthaltsgenehmigungen ermöglicht, wie aus Daten des Ständigen Beobachtungszentrums für Einwanderung in Spanien hervorgeht.
„Wenn sich die Leute verpflichten, eine Ausbildung in einem bestimmten Bereich zu machen, ermöglicht ihnen dies zunächst eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Wer dann in einem zweiten Schritt später ein Studium mit Diplom abschließt, kann darüber hinaus auch eine Arbeitserlaubnis erhalten, die es ermöglicht, Arbeit in dem spezialisierten Bereich zu finden ", erklärt Araceli Navarro, Sozialarbeiterin bei der . Die Organisation wird vom Trinitianerorden getragen und betreibt an ihrem Sitz in Algeciras eine Hotelfachschule. Abdelaziz absolvierte dort eine umfassende Ausbildung. Heute, mit 22 Jahren, ist er Kellner mit Festanstellung im , einem bekannten Fisch- und Meeresfrüchterestaurant der Stadt.
„Ich habe es geschafft, hier ein Praktikum zu machen, und es lief sehr gut, mit dem besten Chef, den ich je hatte, mit den besten Kollegen, im besten Unternehmen, in dem ich je gearbeitet habe", sagt Abdelaziz, der nicht der einzige Migrant ist, der im Restaurant arbeitet, dankbar. Alle haben einen Vertrag und die nötigen Genehmigungen. „Wichtig ist, dass sie arbeiten. Ich versuche, allen zu helfen. Es sind schon acht oder neun Leute hier gewesen, für mich zählt, dass sie sich für die Arbeit engagieren. Das ist alles, was ich verlange", sagt Juan Moreno, der Besitzer des Restaurants.
Zentrum für Migranten oder Gefängnis?
Aber es gibt nicht nur gute Nachrichten für diejenigen, die Migranten helfen. Im Januar soll in Algeciras ein neues Internierungszentrum für Ausländer (CIE) eröffnet werden, eine riesige Einrichtung, in der die Migranten aus der Region eingesperrt werden sollen, gegen die ein Abschiebeverfahren läuft.
In Spanien gibt es sieben solcher Zentren, in denen Menschen die Freiheit entzogen wird, auch wenn sie kein Verbrechen, sondern Ordnungswidrigkeiten begangen haben, indem sie entweder ihre Ausweispapiere nicht bei sich hatten oder über unerlaubte Wege ins Land gekommen sind. Mehrere Nichtregierungsorganisationen und kirchliche Vereinigungen haben sich gegen diese Einrichtungen ausgesprochen, die unter einem von der Polizei verwalteten Gefängnisregime stehen und in denen Migranten maximal 60 Tage bleiben können. Nach Ablauf der Frist werden sie in der Regel entweder in ihre Heimat abgeschoben oder landen auf der Straße, da die Abschiebungen nicht immer vollzogen werden.
Das neue CIE in Algeciras wird mit EU-Mitteln gebaut, die sich nach offiziellen Angaben auf mehr als 26 Millionen Euro belaufen sollen. Es wurde als vorbildliches Haftzentrum für Migranten dargestellt, da es über Erholungsbereiche sowie eine ständige medizinische und soziale Betreuung verfügen soll. Doch nichts kann eine Einrichtung menschlich machen, die wie Rechtsanwalt Jesús Mancilla, ehrenamtlicher Mitarbeiter der Stiftung „Algeciras Acoge" (Willkommen in Algeciras), sagt, unangemessen und völlig unnötig ist.
„In der Praxis funktionieren die CIE wie ein Gefängnis, in dem die Leute Haftzeiten haben, Zeiten für Freigang im Hof, Essenszeiten und zur Rückkehr in die Zelle. Dabei dürfen CIE eigentlich ihrer Definition nach keinen gefängnisähnlichen Charakter haben. Die Leute müssen wissen, dass die CIE Gefängnisse für Migranten sind!“, meint Mancilla. Daher setzt sich seine Organisation gemeinsam mit weiteren dafür ein, dass die Einrichtung, die zudem in der Nähe des Gefängnisses von Botafuegos wäre, nicht genehmigt wird.
„Ein Gebäude, das sich neben einem Gefängnis befindet, wird dadurch abgestempelt. Dieser Symbolismus macht daraus auch ein echtes Gefängnis. Für die öffentliche Meinung ist es schwierig, dass CIE dann nicht mit einem Gefängnis zu assoziieren, in dem Leute sind, die etwas Schlimmes getan haben, während es in Wirklichkeit um Menschen geht, die einfach nur ausgewandert sind auf der Suche nach einem besseren Leben“, stellt der Anwalt fest.
Welle der Fremdenfeindlichkeit befürchtet
Derzeit gibt es bereits ein weiteres CIE in Algeciras, und zwar in der früheren Haftanstalt La Piñera, ein Gefängnis, das aufgrund des prekären Bau-Zustands geschlossen worden war. Obwohl dort Platz für 60 Leute wäre, waren laut Mancilla nie mehr als 30 Migranten gleichzeitigt untergebracht. Daher ist man sehr besorgt über die Eröffnung eines neuen Zentrums, das bis zu 500 Menschen aufnehmen kann. Laut Mancilla könnten sich die Behörden gezwungen sehen, es zu füllen, um die Investitionen in Millionenhöhe zu rechtfertigen, was wiederum eine Welle der fremdenfeindlicher Verfolgungen auslösen könnte.
Die Sorgen teilt auch der Seelsorger des CIE von Algeciras, Pater Livio Pegoraro, Koordinator der Migrantenseelsorge für die Regionen Campo de Gibraltar und Ceuta. Der Skalabrinianer-Priester trifft sich wöchentlich im baufälligen Innenhof des früheren Gefängnisses mit den internierten Migranten, um mit allen, die wollen zu sprechen. Das ganze religionsunabhängig; die Mehrheit ist muslimischen Glaubens.
„Diese Menschen sind oft traumatisiert, weil sie in einer Art Gefängnis sind, getrennt von ihren Familien, ohne Arbeit und ein Lebensprojekt. Aufgrund bürokratischer Fragen werden sie in ihr Land zurückgeschickt. Unter ihnen sind Leute, die seit mehr als 30 Jahren in Spanien leben. Was bedeutet es also für sie, zurück in ihr Ursprungsland zu kehren?“, fragt Pegoraro.
Der Seelsorger hält es daher auch für falsch, die CIE als Mittel zur Regulierung des Migrantenstroms zu sehen. Migranten würden so „kriminalisiert, einfach nur, weil sie Migranten sind, obwohl die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vorsieht, dass sich jeder frei bewegen kann“, erinnert er.
Der Ordensmann bleibt jedoch optimistisch und lässt die Hoffnung nicht fahren. Er sieht die große moralische, geistliche und menschliche Kraft der Migranten, die sie durchhalten lässt. „Weder Dekrete noch Vorurteile werden die Lage ändern. Das Leben ist stärker, als alles andere”, sagt Pater Livio, der kurz zuvor noch mit großer Professionalität vom Kellner Abdelaziz Zeriouh in einem Restaurant in Algeciras bedient wurde.
Diese Reportage ist in Zusammenarbeit mit dem .
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