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Liberias neugewählter Präsident Joseph Boakai in Monrovia Liberias neugewählter Präsident Joseph Boakai in Monrovia 

Liberia: Ein demokratisches Reifezeugnis

Die Republik Liberia hat seit einigen Tagen einen neuen Präsidenten. Es ist der 78-jährige Joseph Nyuma Boakai, ein früherer Vizepräsident, der sich in einer Stichwahl mit knappem Vorsprung gegen den bisherigen Präsidenten George Weah durchsetzte.

50,64 % der Stimmen für Boakai, 49,36 % für Weah: So knapp ging die Wahl aus. Beachtlich war, dass der Unterlegene sofort seine Niederlage einräumte und sich einem demokratischen Machtprozess nicht in den Weg stellte. In afrikanischen Staaten ist das keine Selbstverständlichkeit.

Die Wahl des früheren Weltklasse-Fußballers Weah hatte 2018 große Hoffnungen auf einen Wandel im Land geweckt. Der Polit-Neuling versprach den Wandel. Liberia hatte durch zwei aufeinanderfolgende Bürgerkriege und die Ebola-Epidemie von 2014-2016 sehr harte Zeiten erlebt. Nun belegt das Wahlergebnis rechnerisch eine Spaltung des liberianischen Volkes.

„Erinnerung an Bürgerkrieg ist noch sehr lebendig“

„Der Wahlkampf war im Land von einem Gefühl großer Besorgnis geprägt“, erklärte der Afrikamissionar Lorenzo Snider aus Foya gegenüber der vatikanischen Nachrichtenagentur fides. „Die Erinnerung an den Bürgerkrieg ist in den Köpfen, Herzen und Körpern vieler Menschen noch lebendig. Die Gefahr eines Rückfalls in den Konflikt wurde als sehr aktuell empfunden.“ Doch nun habe „der gesunde Menschenverstand“ gesiegt.

George Weah
George Weah

Nach der Auszählung der Stimmen erklärte der scheidende Präsident George Weah: „Meine Partei hat verloren, aber Liberia hat gewonnen“; Boakai griff diesen versöhnlichen Ton auf und dankte zunächst dem ehemaligen Präsidenten. Das Eingeständnis der Niederlage habe eine Rückkehr zu den Waffen verhindert, so der Wahlsieger. Snider nennt die Erklärung von Präsident Weah „eine Fügung“: Sie sei „der wahre Schlüssel zum Frieden“ gewesen. Auf einen Schlag habe sich im ganzen Land „Sprache geändert“, und es herrsche „ein Hauch von Frieden“. Vor allem auf lokaler und kommunaler Ebene müsse aber weiter an einer Versöhnung gearbeitet werden.

Das Straßennetz ist eines der schlechtesten in Westafrika

Nach den Feierlichkeiten wird sich der neue Präsident einer Reihe besonders komplexer Herausforderungen in einem der nach wie vor ärmsten Länder Westafrikas stellen müssen. „In Boakais Wahlprogramm“, so der Missionar, „gibt es Schwerpunktbereiche, die wahrscheinlich die dringendsten Herausforderungen des Landes darstellen: wirtschaftliche Stabilität und Infrastruktur, Reform des Gesundheitssystems, Bildung, Korruptionsbekämpfung, landwirtschaftliche Entwicklung, Rechtsstaatlichkeit und gute Regierungsführung, Kampf gegen die Ungleichheit der Geschlechter und Schutz der Kinder. Jeder dieser Punkte verdient Beachtung. So ist das Straßennetz des Landes eines der schlechtesten in Westafrika, und während der Regenzeit bleiben ganze Regionen isoliert; das Gesundheitssystem muss ausgebaut und in den Dienst der Bevölkerung gestellt werden. Während der ersten Phase der Corona-Epidemie gab es im ganzen Land nur ein einziges Lungenbeatmungsgerät.“

Anhänger des neuen Präsidenten feiern in Monrovia den Wahlsieg
Anhänger des neuen Präsidenten feiern in Monrovia den Wahlsieg

Im Bildungssystem breche regelmäßig ein Drittel der Kinder die Schule ab, und Korruption sei in fast allen Bereichen der Verwaltung endemisch. „Die langfristige Herausforderung besteht meines Erachtens darin, Liberia, das noch über sehr große Primärwaldflächen verfügt, auf einen Weg der ganzheitlichen Entwicklung zu führen, der keine Bevölkerungsgruppe zurücklässt und vor allem die Umwelt vor ausländischer Gier schützt.“

Keine Bevölkerungsgruppe zurücklassen

Auch zwei Jahrzehnte nach dem Bürgerkrieg seien die Schrecken der Gewalt und die Erinnerung an die Kindersoldaten noch sehr präsent. Eine Wahrheits- und Versöhnungskommission erstellte 2011 einen detaillierten Bericht über die Fakten und Verantwortlichkeiten sowie Vorschläge für Maßnahmen; nach Ansicht vieler Beobachter wurde dieser Bericht aber weitgehend ignoriert und hatte kaum praktische Auswirkungen. „Das Bewusstsein für die Möglichkeit und Grausamkeit eines Krieges ist bei allen Bürgern über 30 Jahren durchaus vorhanden“, sagt Snider. „Hier in Foya haben wir aufgrund von Zusammenstößen während des Wahlkampfs, bei denen zwei Menschen ums Leben kamen, eine Massenflucht der Bevölkerung erlebt.“

(fides – sk)

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26. November 2023, 10:50