Französischer Philosoph Marion würdigt Benedikt XVI.
„Ich hoffe, dass die Emotion, die der Tod von Joseph Ratzinger völlig legitimerweise ausgelöst hat, jetzt nicht die fundamentale Bedeutung dieses Pontifikats verdunkelt.“ Das sagte Marion im Gespräch mit dem französischen Radiosender RCF.
Theologen-Papst und Verkünder
„Benedikt XVI. war ein Theologen-Papst, und ich bestehe darauf, dass die Theologie – als Lehre und Verkündigung des Evangeliums – ein wichtiges Charisma im Dienst der Kirche ist. Dieses Charisma hat er verkörpert, nicht nur als Universitätsprofessor, sondern auch als Papst – und das ist keineswegs ein Handicap für einen Papst, sondern seine ureigene Aufgabe.“
Damit insistiert der französische Philosoph darauf, dass man den verstorbenen Papst nicht in erster Linie als Verwalter beurteilen sollte (ein Bereich, in dem Benedikt XVI. seine Schwächen hatte), sondern als Verkünder.
„Es ist nicht so häufig, dass ein Papst in erster Linie ein Theologe ist. Nicht in dem Sinn, dass er die Wissenschaft weiterentwickelt hätte, sondern in dem Sinn, dass er die Rationalität der christlichen Offenbarung artikuliert, detailliert und verständlich gemacht hat. Und genau das hat er getan, von seiner ersten Enzyklika an.“
Glaube als „Ort der Vernunft“
„Rationalität der christlichen Offenbarung“: Damit zielt Marion auf das Kernthema im Denken Benedikts XVI., nämlich die Vereinbarkeit von Glauben und Vernunft.
„Benedikt hat uns in gewissem Sinne immer nur eine Einsicht abverlangt: nämlich dass die christliche Offenbarung nicht nur rational ist, sondern dass sie Rationalität hervorruft, ermöglicht und entwickelt. Dass sie einer der Orte der Vernunft ist. Unsere große Schwäche ist, dass wir eine zu enge Sicht der Rationalität haben“, so Marion. „Insbesondere sind unsere Zeitgenossen nicht in der Lage, die Logik der Agape, die Logik der Liebe, ernst zu nehmen. Für sie ist es ein reines Gefühl, eine Verwirrung, ein reiner Trieb, aber nicht rational.“
Kein Gegensatz zwischen Eros und Agape
Dem sei der verstorbene Papst vor allem in ) entgegengetreten: mit der These, dass es keinen Gegensatz zwischen Eros und Agape, den beiden Formen von Liebe, gibt.
„Seit dem 18. Jahrhundert und vor allem dem deutschen 19. Jahrhundert wurde ein Gegensatz gesehen zwischen dem, was auf Erotik verweist, auf die Liebe als sexuelles Verlangen und ekstatische Erfahrung, und der Agape als der selbstlosen, spirituellen, nicht fleischlichen Liebe. Das Christentum wurde weithin so wahrgenommen, als habe es die Agape bevorzugt - was Benedikt XVI. aber zurückweist. Denn dieser Gegensatz zwischen Eros und Agape ist falsch – schon allein deshalb, weil Eros im (griechischen) Alten Testament zweimal verwendet wird und weil es in der Heiligen Schrift keinen einzigen Text gibt, der Eros und Agape einander gegenüberstellt.“
Kern des christlichen Liebesgebots neu freigelegt
In der Bibel werde die Beziehung von Mann und Frau, die in erster Linie „eine erotische, fleischliche Beziehung“ sei, „nicht nur als Abbild oder Symbol, sondern als die eigentliche Gestalt der Beziehung zwischen Gott und dem Volk, das er rettet, angesehen“, so der Philosoph. Benedikt hat aus dieser Sicht mit seiner Enzyklika den Kern des christlichen Hauptgebots, nämlich der Liebe, sowie der Beziehung zwischen Gott und Mensch neu freigelegt.
„Die Einheit von Eros und Agape liegt aus der Sicht Benedikts XVI. in der Tatsache begründet, dass der Eros die strukturell liebende Dimension des menschlichen Geschöpfes ist, die biologisch - ich weiß, dass das heute vielen missfällt - und intrinsisch auf die Vereinigung mit einem anderen ausgerichtet ist. Wenn man die erotische Dimension isoliert oder nur für sich nimmt, führt das, wie wir gut wissen, zu Gewalt, zu Besitzdenken, zur Zerstörung und letztlich auch zu Pornografie und Prostitution. Darum ist unser Lieben oft nur vorübergehend, zweideutig, oft auch katastrophal.“
Der verstorbene Papst hingegen habe Eros und Agape zusammengedacht: Liebe sei nur dann Liebe, wenn man den anderen in den Mittelpunkt stelle, wenn man vor allem an den anderen denke, „auch körperlich, und von Anfang an“.
Am Wahlspruch Benedikts XVI.‘, „Mitarbeiter der Wahrheit“, findet Jean-Luc Marion besonders interessant, „dass wir in dieser Formulierung aus einem Johannesbrief nicht als Täter der Wahrheit gesehen werden“.
„Die Wahrheit ist also nicht unser Produkt, und sie ist nicht bloß das Ergebnis unseres vermeintlich neutralen Suchens und Forschens, wie die moderne Philosophie das oft darstellt. Vielmehr gibt es aus christlicher Sicht eine tiefere Beziehung zur Wahrheit, bei der die Wahrheit auf uns zukommt.“
Unbequemer Wahrheitsbegriff
Der hl. Augustinus – über den Joseph Ratzinger in den fünfziger Jahren promoviert hat – spricht in seinen „Bekenntnissen“ von einer Wahrheit, die die Dinge ins Licht setzt, gleichzeitig aber auch ihr Licht auf den Zuschauer zurückwirft – was für diesen nicht immer angenehm ist, denn jeder hat ja auch dies und das zu verbergen, so Marion. Eine Wahrheit, die uns selbst in Frage stellt: Von diesem anspruchsvollen, auch unbequemen Wahrheitsbegriff habe sich Benedikt XVI. denkerisch in die Pflicht nehmen lassen.
„Hier geschieht Wahrheit aus sich heraus, aus Gott – nicht einfach aus uns heraus. Und wir müssen eine Wahl treffen: Sind wir bereit, mit der Wahrheit zusammenzuarbeiten, uns der Wahrheit zu ergeben? Denn die Wahrheit macht uns frei, wie der Evangelist Johannes betont – frei von unseren Lügen, unseren Fehlern, frei von dem, was wir unter den Teppich kehren wollen.“
(vatican news – sk)
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