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Don Mattia Ferrari ist im Einsatz für Mediterranea Don Mattia Ferrari ist im Einsatz für Mediterranea 

Mediterranea-Kaplan: „Libysche Mafia stoppen!“

Der Priester Mattia Ferrari arbeitet für die italienische Nichtregierungsorganisation Mediterranea, die sich der Rettung von Migranten auf dem Mittelmeer verschrieben hat. Für seinen Einsatz erhält er Drohungen der libyschen Mafia – doch ein italienisches Gericht hat jüngst entschieden, dass diese strafrechtlich nicht relevant seien und ihnen deshalb auch nicht weiter nachgegangen werden müsste. Diese Entscheidung sorgt für Diskussionen in Italien.

Antonella Palermo und Christine Seuss - Vatikanstadt

Ein Gericht in Modena hatte befunden, dass der Priester, der seit einiger Zeit schon unter privat organisierter Bewachung zu seinem eigenen Schutz steht, praktisch selbst an seiner Situation schuld sei. In der gerichtlichen Begründung liest sich, dass ein Priester, „der in einer Weise praktiziert, die vom traditionellen Lehramt abweicht“, in gewissem Sinne mit gegenteiligen Reaktionen und sogar der Tatsache, dass er zur Zielscheibe werden könnte, rechnen müsse.

An einer anderen Stelle des gerichtlichen Dokumentes wird darauf hingewiesen, dass das Engagement in den sozialen Netzwerken natürlich auch Reaktionen hervorrufe, vor allem wenn „diejenigen, die ihr humanitäres (und im weiteren Sinn politisches) Engagement auf das Terrain der sozialen Netzwerke oder jedenfalls auf die öffentliche Bühne bringen - anders als in den traditionellen, zurückhaltenden und stillen Sphären des pastoralen Mandats -, dies tun, indem sie ihre Arbeit legitimerweise mit entschiedenen und klaren Tönen darstellen“. Ein Sprecher der libyschen Mafia, der mit Geheimdiensten mehrerer Länder in Verbindung steht, hatte Drohungen gegen den Priester ausgesprochen, der als Seelsorger für die italienische NGO Mediterranea Saving Humans tätig ist.

„Die libysche Mafia versucht, uns aus dem Weg zu räumen, damit die Migranten allein bleiben“

Ihm tue die abschlägige Entscheidung des Gerichtes außerordentlich leid, sagt uns Don Mattia, den wir telefonisch erreichten. Doch gehe es hier nicht um ihn, sondern um die Migranten, die aus der libyschen Hölle flöhen: „Die Bedrohungen hängen mit der Tatsache zusammen, dass wir diesen Menschen nahe sind. Die libysche Mafia versucht, uns aus dem Weg zu räumen, damit die Migranten allein bleiben.“ Diese Machenschaften der libyschen Mafia müssten dringend genauer untersucht werden, damit auf dem Mittelmeer wirklich Frieden einkehren könne, betont der Priester, der einen besonders eindrücklichen Rettungseinsatz gemeinsam mit einem Journalisten in Buchform gegossen hat.

„Es wird viel von einem Mittelmeer des Friedens geredet, aber solange es von Ablehnung und Schiffbrüchen geprägt ist, gibt es in unserem Meer einen radikalen Zusammenbruch der Geschwisterlichkeit“

Es war am 9. Mai 2019, als der 30-jährige Geistliche mit anderen Freiwilligen auf der Mare Jonio, einem Rettungsschiff der Mediterranea (die bisher 680 Schiffbrüchige gerettet hat), im Meer zwischen Sizilien und Libyen unterwegs war. Bei diesem Einsatz entdeckte er ein kaputtes Schlauchboot mit dreißig Migranten, die, wie sie später erzählten, aus der „Hölle“ kamen. Das daraus entstandene Werk trägt den Titel „Menschenfischer“:

„Es wird viel von einem Mittelmeer des Friedens geredet, aber solange es von Ablehnung und Schiffbrüchen geprägt ist, gibt es in unserem Meer einen radikalen Zusammenbruch der Geschwisterlichkeit. Jede Woche ertrinken jetzt Menschen, weil sie nicht gerettet werden. Fast jeden Tag werden Migranten von der so genannten libyschen Küstenwache, die größtenteils aus einer von Italien und Europa finanzierten libyschen Mafia besteht, aufgegriffen und in Lager deportiert.“ Das stelle den „Gipfel der Unmenschlichkeit“ dar, so der Priester. Denn letztlich flöhen die Menschen aus dem globalen Süden der Welt, der „noch immer vom Westen durch Neokolonialismus oder Umweltkatastrophen ausgeplündert“ werde - und würden auf diesem Weg von der Mafia gefangen genommen und in die Lager geschickt, „in denen sich unsagbare Schrecken abspielen“.

Mattia Ferrari mit Napolis Erzbischof Mimmo Battaglia und David Yambio, Sprecher von “Refugees in Libya”, der durch libysche Milizen gesucht wird
Mattia Ferrari mit Napolis Erzbischof Mimmo Battaglia und David Yambio, Sprecher von “Refugees in Libya”, der durch libysche Milizen gesucht wird

Verleumdung spielt der Mafia in die Hände

Genau hier setze die Arbeit von Mediterranea und aller anderen im Meer tätigen Nichtregierungsorganisationen  (NGO) an, um durch die konkrete Unterstützung für die Menschen diesen „Bruch der Geschwisterlichkeit“ wieder zu kitten. Trotz des Gegenwindes, der teils auch aus der Gesellschaft selbst kommt:

„Die auf See tätige Zivilgesellschaft ist ein großes Ärgernis für die libysche Mafia, die sehr von Ablehnungen profitiert und die NGO- Rettung wirklich ausschalten will. Die Verleumdung der NGOs ist derzeit der größte Gefallen, den wir der libyschen Mafia tun können. Deshalb ist diese Kampagne so ernst, weil sie indirekt der libyschen Mafia in die Hände spielt. Außerdem gibt es bisher keine Untersuchung, die besagt, dass die libysche Mafia und die NGOs zusammenarbeiten. Dafür gibt es keine Beweise“, echauffiert sich der Priester mit Blick auf Spekulationen, die NGOs träfen Absprachen mit den Menschenschmugglern, um von ihnen die menschliche Fracht auf offener See zu übernehmen. Dabei habe er trotz der Bekanntheit, die sein Fall erreicht habe, nicht das Gefühl, mutiger zu sein als andere Kirchenvertreter, die „mutiger“, „mehr“ und „besser“ arbeiteten als er selbst.

Die Rückkehr einer Pest

„Was wir tun, tun wir, weil wir es in unserem Herzen spüren und weil Jesus es uns gelehrt hat. Wir versuchen einfach, unserem Lehrer zu folgen. Was mich beunruhigt, ist die Rückkehr dessen, was einige Bischöfe mit einer treffenden Metapher als ,Pest‘ des Herzens bezeichnet haben: ab einem bestimmten Punkt beginnen wir, den anderen, der aus einem anderen Land kommt und andere Eigenschaften als wir hat, nicht mehr als würdig zu betrachten, als Bruder und Schwester anerkannt zu werden. Wir beginnen zu verwerfen. Es handelt sich um eine spirituelle Pandemie, die in Wellen kommt.“

„Ab einem bestimmten Punkt beginnen wir, den anderen, der aus einem anderen Land kommt und andere Eigenschaften als wir hat, nicht mehr als würdig zu betrachten, als Bruder und Schwester anerkannt zu werden“

Menschen auszusondern schade nicht nur diesen, sondern auch denjenigen, die diese Aussonderung vornähmen, betont der engagierte Priester, der jedoch auch die Komplexität des Migrationsphänomen anerkennt. „Die wirkliche Lösung besteht darin, Gerechtigkeit zu schaffen, die ihrerseits auf Volksbewegungen und einer verkörperten Geschwisterlichkeit beruht. Das braucht Zeit, aber es ist notwendig, sich in diese Richtung zu bewegen. Die in Libyen gestrandeten Menschen müssen legale und sichere Zugangswege erhalten. Das wäre das Einzige, was die Menschenhändler wirklich schachmatt setzen würde.“

Retter und Gerettete
Retter und Gerettete

Noch heute erinnere er sich eindrücklich an die Nacht, die er zum Anlass seines Buches genommen hatte, die „Nacht der Rettung“, wie er sie nennt: „Ich habe durch die Augen meiner Begleiter gesehen, dass sich die Geschichte durch Menschen verändern kann, die sich entscheiden, wirklich aufrichtig zu lieben. Ich sah dreißig Menschen, Sinnbilder für all die ausrangierten Menschen mitten im Meer, die zum Ertrinken bestimmt waren. Aber sie trafen auf junge Menschen, die sich aus freien Stücken entschieden, ihr Leben zu schenken, um das Leben dieser anderen Menschen zu retten, selbst wenn sie damit Anzeigen und ihr eigenes Leben riskierten.“

Der letzte Segen für einen Ermordeten

Die Menschen, die damals dem sicheren Tod entronnen sind, leben heute in Europa, berichtet Mattia Ferrari, der darin den Beweis sieht, dass „Liebe die Geschichte verändern kann“. Es gehöre zu seiner Mission, den Menschen im Mittelmeerraum spirituellen Beistand zu leisten, egal welcher Religion sie angehörten, betont der Priester: „Dann stehe ich in Kontakt mit Migranten in Libyen, die uns anrufen, und ich fand mich in der Situation, einem der Jungen, der nach sieben Monaten Lagerhaft von der libyschen Mafia getötet wurde, den letzten Segen zu geben. Seine Kameraden riefen uns an, weil er, Sami, den Segen erhalten wollte. Ich hatte die Ehre, wenn man das so nennen darf, ihm diesen zu spenden. Ich fühle mich, mehr noch als ein Evangelisierer, wirklich selbst evangelisiert. Durch ihr Zeugnis wird mir klar, wie wahr das Evangelium ist. Je mehr ich mit ihnen zusammen bin, desto mehr evangelisieren sie mich.“

(vatican news - cs)

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19. Dezember 2022, 14:07