Theologin: „Orthodoxie in Kasachstan sucht Neutralität“
Gudrun Sailer – Vatikanstadt
Pope: Der Religionskongress in Nur-Sultan, zu dem Papst Franziskus nächste Woche reist, findet im Drei-Jahresrhythmus statt, der erste war 2003. Welchen Stellenwert hat dieser Kongress im entlegenen Kasachstan im interreligiösen Dialog auf einer Weltebene? Ist das groß oder klein?
Regina Elsner: Der Kongress ist groß angelegt und zielt darauf, Religionsgemeinschaften zusammenzubringen, die sonst nicht unbedingt an einem Tisch sitzen. Da sind einige muslimische Gemeinschaften dabei, jüdische Gemeinschaften, auch kleinere Religionsgemeinschaften. Initiator ist Kasachstan, die kasachische Regierung und auch der Vatikan, auf dessen Initiative das Ganze schon zurückgeht.
Pope: Was bedeutet der Papstbesuch für den interreligiösen Kongress, die Regierung, und für Kasachstan überhaupt?
Regina Elsner: Dieser Kongress ist noch nie von einem Papst besucht worden. Es gab bisher immer Delegationen aus dem Vatikan und verschiedene Kardinäle nahmen teil. Auch Kasachstan selbst ist bisher nicht von Papst Franziskus besucht worden, und es ist für die kleine katholische Minderheit, aber auch für die anderen Religionen ein großes Ereignis, dass der Papst dorthin kommen wird.
Pope: Ist der Kongress eher regional oder zählt er auch auf Weltebene im interreligiösen Dialog?
Regina Elsner: Das ist schwer einzuschätzen. Der Kongress ist begründet worden von der kasachischen Regierung kurz nach dem 11. September 2001 und den großen Diskussionen über islamistischen Terror und die Frage, welche Rolle überhaupt Religion spielt in diesen Konflikten der Gegenwart. Der Papst bzw. der Vatikan war beteiligt an dieser Initiative, das heißt, es ist schon etwas, was sich auf Weltebene abspielt. Zugleich kann man sagen, dass der Kongress in der Weltöffentlichkeit eigentlich nie aufgetaucht ist. Man muss den Kongress auch verstehen im Zusammenhang mit den Versuchen Kasachstans, dieses Land als einen Ort des friedlichen Zusammenlebens von verschiedenen Nationen und Religionen international darzustellen, Kasachstan zu positionieren als einen Staat, der sich einsetzt für interreligiöse Verständigung. Aber letztendlich haben die Personen, die dorthin kommen, und die Mitteilungen, die danach veröffentlicht werden, in meiner Wahrnehmung eher einen regionalen Charakter. Sie werden weder von den großen Religionsgemeinschaften noch von der Weltöffentlichkeit wirklich wahrgenommen.
Pope: Ein Viertel der kasachischen Bevölkerung ist orthodox, und die orthodoxe Kirche dort ist – wie vieles in Kasachstan – nach Russland hin orientiert. Wie stehen denn die kasachischen orthodoxen Gläubigen zum Ukraine-Krieg, den die russische Orthodoxie für gerechtfertigt hält?
Regina Elsner: Die orthodoxe Kirche von Kasachstan gehört zum Moskauer Patriarchat, die kirchliche Verwaltungseinheit ist die russisch-orthodoxe Kirche. Diese Kirche ist auch enger angebunden an Moskau als zB die orthodoxe Kirche in der Ukraine jemals war. Es ist im Prinzip ein Bistum der russisch-orthodoxen Kirche in Kasachstan. Was die Haltung zum Ukraine-Krieg angeht, gibt es zwei Facetten. Zum einen muss man sagen, dass bisher kein Bischof dieser Kirche sich kritisch zu diesem Krieg geäußert hat, kritisch zur Rolle der russisch-orthodoxen Kirche in diesem Krieg oder eben Russland kritisieren würde. Gleichzeitig ist aber die kasachische Bevölkerung insgesamt und auch die kasachische Regierung in den letzten Monaten eher vorsichtig gewesen, sich überhaupt zu Russland zu äußern und hat versucht, sich etwas zu distanzieren, eine neutrale Haltung in diesem Krieg einzunehmen. Ich habe den Eindruck, dass die orthodoxen Gläubigen in diesem Land versuchen, diese Balance zu halten: dass man nicht öffentlich kritisiert, was Russland und die russisch-orthodoxe Kirche tun, gleichzeitig aber auch nicht versucht, das öffentlich zu unterstützen. Man versucht sich zurückzuhalten und das Thema gar nicht anzusprechen.
Pope: Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill wollte ursprünglich auch zu dem Kongress kommen, hat aber abgesagt, sodass ein zweites Treffen mit Papst Franziskus nicht zustande kommen wird. Was steht dahinter?
Regina Elsner: Es war vorhersehbar aus meiner Sicht, dass Moskau bei diesem Treffen bestimmen möchte, wie es läuft und sagen möchte, in welchem Zusammenhang dieses Treffen dargestellt wird und so weiter. Es war klar, dass Moskau ein Treffen mit dem Papst in seinem Sinn instrumentalisieren würde. Das sehen wir jetzt seit mehr als sechs Monaten, und das war für dieses Treffen nicht anders zu erwarten. Dass Kyrill absagt, war meiner Ansicht nach trotzdem etwas überraschend, weil natürlich Moskau sich hier eine Chance entgehen lässt, eben genau dieses Treffen mit dem Papst in der Öffentlichkeit als in ihrem Sinne darzustellen. Das heißt, man will hier deutlich zeigen, wer bestimmt, was auf diesem Treffen passiert und wann ein Treffen überhaupt stattfindet und hat durch die Absage klargemacht, dass man nicht einverstanden ist mit der Art und Weise, wie der Vatikan das Ganze planen möchte.
Pope: Welches Interesse hat Papst Franziskus aus Ihrer Sicht, den Kongress zu besuchen? Spielt das in Abu Dhabi unterzeichnete Dokument über die menschliche Geschwisterlichkeit aller Religionen eine Rolle?
Regina Elsner: Ja natürlich. Papst Franziskus ist ja bekannt dafür, dass er sich auf allen möglichen Ebenen dafür einsetzen möchte, dass solche Konflikte, Kriege und Auseinandersetzungen beendet werden. Er sieht den Vatikan und sich selbst in einer vermittelnden Rolle und versucht diese Rolle in jeder möglichen Variante auszuleben. Ich glaube aber dennoch, dass der Papst versucht hat, an diesem Treffen teilzunehmen, um Kyrill zu treffen. Das hatte schon eine gewisse Priorität. Vor diesem Hintergrund lässt sich gut fragen, warum der Papst da jetzt eigentlich hinfährt, mit welcher Idee. Er wird natürlich viele andere Religionsführer treffen und mit denen auch gut über Frieden, Versöhnung und die Rolle der Religion in Konflikten sprechen können, aber sein großes Ziel, hier einen Vorstoß in der Friedensentwicklung für die Ukraine zu erreichen, das wird ihm jetzt von vornherein nicht gelingen können.
Pope: Kasachstan ist eine Reise in die Peripherie. Die katholische Kirche ist ja eine absolute Minderheitenkirche – welche Peripherie ist das genau?
Regina Elsner: Wenn man das als einen Besuch innerhalb der Peripherien der katholischen Kirche ansieht, dann ist das mit Sicherheit so eine Reise: Es ist eine kleine Minderheit der katholischen Gläubigen in Kasachstan. Diese Kirche ist auch bekannt dafür, sehr konservative Ansichten zu vertreten, besonders auch fern zu sein von Entwicklungen, die wir hier in Deutschland zum Beispiel in der Kirche erleben, eine Reise, die auch für Papst Franziskus nicht einfach ist, weil auch er von den kasachischen Katholikinnen und Katholiken kritisiert worden ist für viele seiner Initiativen. Der Papst setzt sich innerkatholisch einem Teil seiner größten Kritiker und Kritikerinnen aus. Aber auch was die Weltchristenheit angeht, ist es eine Reise an die Peripherie. Denn auch die orthodoxen Gläubigen in Kasachstan sind {im Verhältnis zu den Muslimen} eher eine Minderheit. Und es ist eine Peripherie auch insofern, als das Christentum eine eher kleine Rolle hat im Vergleich zum Islam und anderen Strömungen.
Radio Vatikan: Andererseits ist Kasachstan ein Beispiel dafür, dass hier Religionen in allen ihren Unterschieden friedlich zusammenleben können.
Regina Elsner: Das ist in jedem Fall so, und das ist Teil der Philosophie und der politischen Führung dieses Landes. Man gibt sich sehr viel Mühe, Kasachstan darzustellen als Land, in dem die Religionen friedlich zusammenleben. Das ist ein bisschen mit Vorsicht zu genießen, denn wir haben erst Anfang des Jahres gesehen, dass es auch in Kasachstan zu großen Auseinandersetzungen kommen kann. Auch dort gibt es viel Unmut in der Gesellschaft, unter anderem geht es um ethnische Konflikte, und da ist nicht alles so glattgebügelt, wie es die kasachische Regierung gerne hätte. Aber natürlich verdient dieses Land eine größere Aufmerksamkeit, als wir normalerweise dafür haben. Wir sehen Kasachstan kaum in unseren Nachrichten, und was dort an interreligiöser Begegnung und Zusammenleben geschieht, sollten wir definitiv mehr wahrnehmen.
Die katholische Theologin Regina Elsner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) in Berlin. Sie forscht zur Sozialethik der Russischen Orthodoxen Kirche seit dem Ende der Sowjetunion.
(vatican news – gs)
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