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Kleinbauern in Bolivien bei der Arbeit Kleinbauern in Bolivien bei der Arbeit 

IFAD-Vertreter: „Kleinbauern zeigen uns, dass es anders geht“

Als „Skandal“ bezeichnet es IFAD-Vizepräsident Dominik Ziller, dass weltweit viele kleinere Nahrungsmittelproduzenten selbst hungern oder sich nicht ausgewogen ernähren können. Solche und andere Ungerechtigkeiten anzugehen, ist Anliegen einer UN-Konferenz in diesen Tagen in Rom.

Mit der Konferenz, die ab diesem Montag für drei Tage lang in Rom tagt, laden die Vereinten Nationen zur Vorbereitung des Welternährungsgipfels „UN Food Systems Summit“ (UN FSS) ein, der im September in New York stattfinden soll. Er soll wesentlich dem Kampf gegen den Hunger und der Förderung von mehr Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit in Ernährungssystemen dienen.

Radio Vatikan hat mit dem Vizepräsidenten des Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD), , gesprochen und wollte zunächst von ihm wissen, wie die Konferenz in Rom hier dienlich sein kann.

Dominik Ziller (Vize-IFAD-Präsident): Das Ziel bei der Veränderung der Ernährungssysteme muss sein, Ernährungssysteme resilienter zu machen. Wir haben das bei Covid gesehen, dass da eine Pandemie sowohl die Versorgung der Kleinbauern mit Saatgut als auch den Zugang der Kleinbauern zu den Märkten beeinträchtigen kann. Da müssen wir sehen, dass wir das in der Zukunft besser in den Griff bekommen. Dann gibt es natürlich andere Themen wie den Klimawandel: Wie können wir sehen, dass der Klimawandel Ernährungssysteme nicht beeinträchtigt? Und auch Themen wie Fragilität, wie Konflikt beeinträchtigen immer wieder die Versorgung mit Nahrungsmitteln – auch dort müssen wir systemischer denken.

Radio Vatikan: Wo sehen Sie aktuell den größten Handlungsbedarf, wenn man an Ernährungssysteme und die globale Nahrungsmittelwirtschaft denkt?

Ziller: Das eine große Thema, glaube ich, wo wir am stärksten ansetzen können, ist der Klimawandel. Also zum Beispiel die Verwendung von Saatgut zu fördern, was besser angepasst ist an den Klimawandel, die Kleinbauern dazu zu ertüchtigen, dass sie mit Trockenheiten oder Extremwetter-Ereignissen besser umgehen. Das zweite, was glaube ich ganz wichtig ist: Die Kleinbauern haben eine Anbauweise, die das Klima wesentlich weniger belastet als das bei unserer industriellen Landwirtschaft jetzt zum Beispiel in Europa der Fall ist. Sie haben aber viel weniger Zugang zu den Mitteln, die die internationale Gemeinschaft für die Anpassung an den Klimawandel zur Verfügung stellt. Also nur 1,7 Prozent ungefähr gehen an die Kleinbauern, und das ist natürlich auch ein Missstand, den wir dringend in Angriff nehmen müssen: Wir müssen einen besseren Zugang zu Finanzmitteln für die Kleinbauern und für die armen ländlichen Regionen sicherstellen.

„Wir müssen einen besseren Zugang zu Finanzmitteln für die Kleinbauern und für die armen ländlichen Regionen sicherstellen“

Radio Vatikan: Papst Franziskus wirbt unermüdlich für eine ökologische Umkehr und ein anderes Wirtschaften, das ökologisch, nachhaltig und – mit Blick auf die Armen und Hungernden in der Welt – inklusiv ist. Wie lassen sich durch eine Veränderung der Ernährungssysteme Hunger und Armut in der Welt verringern?

Mit dem Papst auf einer Linie

Ziller: Wir freuen uns sehr, dass wir den Papst bei diesem Thema an unserer Seite haben, denn das ist ja das sozusagen das Herzensanliegen von IFAD, dass wir all diese besonders benachteiligten Gruppierungen, die Kleinbauern in den ärmsten Ländern und in den ärmsten Regionen, dass wir deren Wohlstand fördern. Und hier ist es nun so, dass vielfach diese Kleinbauern, die also in manchen Ländern bis zu 80 Prozent der Lebensmittel, die dort konsumiert werden, erzeugen, selber nicht genügend Geld haben, um eine ausgewogene Ernährung sicherzustellen. Das heißt diejenigen, die Nahrungsmittel herstellen, hungern zum Teil selber. Und das ist natürlich etwas, was man nur als Skandal bezeichnen kann. Und wo wir dringend ansetzen müssen, indem wir Kredite zur Verfügung stellen, um Anbauflächen zusätzlich zu kaufen, die Betriebe auszuweiten, wo wir bessere Zugänge zu Märkten schaffen müssen, damit auch mehr von dem Erlös, der mit Nahrungsmitteln auf diesen Märkten erzielt wird, bei den eigentlichen Produzenten ankommt und nicht bei Zwischenhändlern hängenbleibt.

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„Es ist in der Tat ein Gefälle da“

Radio Vatikan: Wenn wir an die Agrarindustrie denken - da ist die Nahrungsmittelproduktion und der Gewinn ja aber de facto in Hand großer Produzenten, die nicht gerade dem Interesse von Kleinbauern, Familienunternehmen und Indigenen entgegenkommen. Beim Treffen in Rom sitzen ganz unterschiedliche Player mit am Tisch – inwiefern berücksichtigt der Gipfel dieses Machtgefälle?

Ziller: Wir haben im Vorfeld des Gipfels seitens IFAD mehr als 40 nationale Dialoge ins Leben gerufen, wo Kleinbauern-Vereinigungen, wo Indigenen-Vereinigungen ihre konkreten Anliegen an den Gipfel und an die Verbesserung der Ernährungssysteme haben formulieren können. Und wir speisen das dann auch in den Vorgipfel jetzt in diesen drei Tagen und dann insbesondere auch in den Gipfel im September natürlich mit ein. Es ist in der Tat ein Gefälle da. Doch es ist ja nun nicht so, dass die großen Nahrungsmittelkonzerne nicht auch von den Kleinbauern erzeugte Nahrungsmittel aufkaufen würden. Wir müssen sehen, dass wir in diesen Lieferketten sicherstellen, dass die Kleinbauern fair behandelt werden. Und dazu gibt es eine ganze Reihe von Maßnahmen, die hoffentlich auch durch den Gipfel noch mal zusätzlichen Aufschwung erhalten. Auch in Deutschland gibt es jetzt z.B. ein Lieferkettengesetz, wo man sich um Themen wie Kinderarbeit, wie faire Bezahlung usw. kümmert, und wo man insgesamt darauf hinzuwirken versucht, die Marktmacht dieser großen Konzerne ein wenig einzuhegen und dafür zu sorgen, dass diejenigen, die in der Lieferkette die eigentliche Produktion übernehmen, dafür auch angemessen vergütet werden.

„Die Kleinbauern zeigen uns, dass es anders geht“

Radio Vatikan: Sind denn solche Verpflichtungen auch im Bereich der Ernährungssysteme vorgesehen? Gibt es Mechanismen, um eben auch großen Produzenten, die de facto ja auch am meisten Umwelt- und Lebensraum zerstören, einen Riegel vorzuschieben oder sie dazu anhalten, anders zu wirtschaften?

Auch die Konsumenten sind gefragt

Ziller: Die Kleinbauern zeigen uns ja, dass es anders geht. Dadurch, dass sie zum Teil in der Familie über Jahrhunderte tradiert wissen, wie man den Ertrag der Fläche maximiert, ohne deswegen die Fläche zu degradieren. Und, da sie in aller Regel ohne Chemie arbeiten: Wie man auf natürliche Art und Weise, ohne die Böden zu belasten, ohne chemische Belastungen zu generieren, Nahrungsmittel, und zwar gesunde Nahrungsmittel herstellen kann. Beim Klimawandel muss man sicherlich sehen, dass sehr viel auch durch den Fleischkonsum generiert wird. Rindfleisch spielt da natürlich eine besonders große Rolle. Nun kann man den Kleinbauern und anderen nicht verbieten, Rindfleisch jetzt herzustellen, Rinder zu züchten. Zu einer ausgewogenen Ernährung gehört ja auch Eiweiß. Aber ich glaube, hier sind auch die Konsumenten weltweit gefragt, bei einer balancierten Ernährung nicht nur darauf zu schauen, dass sie gesund ist, sondern auch, dass sie sozusagen mit dem globalen Klimaschutz vereinbar ist.

Radio Vatikan: Würden Sie sagen in Ihrer Beobachtung, das ist in den letzten Jahren schon auch einen Wandel, ein Umdenken global gibt, also hin zu einem ökologischen, nachhaltigeren und eben auch inklusiveren Wirtschaften, wie es dem Papst vorschwebt?

„Mit dem Papst gemeinsam dafür kämpfen, dass wir global verantwortlicher handeln“

Ziller: Ich glaube, man muss zwei Dinge unterscheiden. Das eine ist, dass die Menschen häufig halt dann doch gerne zuerst an sich denken. Das heißt, das erste, worum man sich engagiert und gekümmert hat, war: Was nehme ich denn eigentlich zu mir? Ist das gesund für mich? Und alle, die in ihre Lieferketten sozusagen sichergestellt haben, dass die Produkte unschädlicher für die Verbraucher, für die Konsumenten werden, die sind dafür belohnt worden. Das zweite ist die Frage der globalen Verantwortung: Ist das, was ich tue in meinem Handlungsmuster, in meinem Konsumverhalten, ist das auch gut für globale öffentliche Güter wie in das Klima? Und hier haben wir mit der Fridays for Future-Bewegung eigentlich ein ermutigendes Signal bekommen, dass gerade die junge Generation, gerade die jüngeren Leute sich hier einreihen hinter den Papst und mit dem Papst gemeinsam dafür kämpfen, dass wir global verantwortlicher handeln.

Radio Vatikan: Hilfsorganisation merken teilweise an, dass der große UN Food Systems Summit im Grunde die Gefahr birgt, gegensätzliche Ernährungssysteme letztlich doch gleichberechtigt nebeneinander zu stellen, statt eben etwa die agro-ökologische Landwirtschaft voranzubringen. Was sagen Sie dazu - bräuchte es nicht vielleicht doch einen radikaleren Wandel, um eine andere Wirtschaft stärker voranzubringen?

Weltweit Null Hunger bis 2030

Ziller: Ich kann die Sorge nachvollziehen… Wie das aber bei solchen Veranstaltungen ist: Man muss natürlich bei den Vereinten Nationen auch schauen, dass man alle Mitgliedstaaten, möglichst alle Mitgliedstaaten, dort abholt, wo sie stehen. Und da gibt es natürlich ganz unterschiedliche Formen der Landwirtschaft. Das Entscheidende muss an der Stelle sein, dass wir durch diesen Gipfel, durch die besondere öffentliche Sichtbarkeit, die dadurch das Thema Ernährung und Nahrungssicherung bekommt, besser werden beim Erreichen von Weltentwicklungsziel Nummer zwei – „kein Hunger mehr in der Welt bis 2030“. Da hinken wir nämlich gewaltig hinterher und durch Covid noch mal mehr. Und dafür ist dieser Gipfel, glaube ich, ein ganz wichtiger Transmissions-Rahmen, weil er das noch mal ins Bewusstsein der Leute ruft. Vielleicht auch ins Bewusstsein der Regierungen der traditionellen Geberländer, die hier sicherlich den Geldbeutel noch mal weiter aufmachen müssen, als wir das bisher getan haben.

Und das zweite ist, dass wir natürlich anlässlich dieses Gipfels auch sprechen müssen über die Frage: Wie stellen wir denn sicher, dass niemand mehr hungert in der Welt? Und wie stellen wir auch bei denen, für die Hunger kein Problem ist, sondern die sich mit Luxusproblemen rumschlagen bei der Ernährung, die sich besseres Essen, was ökologischer hergestellt ist, ohne weiteres leisten können, dass die das auch tatsächlich tun – dass sie bereit sind, mehr Geld ins Essen zu investieren. Das ist gerade in den deutschsprachigen Ländern, in der Schweiz, in Österreich, in Deutschland schon seit Jahren ein Riesenthema: Wie kommen wir weg von der „Geiz ist geil“- und der Discounter-Mentalität. Und das muss man sicherlich auf der globalen Ebene jetzt auch mit Nachdruck vorantreiben.


Hintergrund

Der Internationale Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Zu ihren wesentlichen Aufgaben gehört die Steigerung der Nahrungsmittelproduktion und die Verbesserung der Ernährungslage. Bei dem von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres für September einberufenen „UN Food Systems Summit“ geht es um neue Initiativen in Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie, um die von den Vereinten Nationen angestrebten Nachhaltigkeitsziele bis 2030 zu erreichen.

Der  stattfindet, stellt die Weichen für diesen großen Ernährungsgipfel und denkt über eine Veränderung von Ernährungssystemen weltweit nach. An dem römischen Treffen nehmen Jugendliche, Landwirte, Vertreter indigener Völker und aus der Zivilgesellschaft, der Forschung und dem Privatsektor sowie politische Entscheidungsträger und Minister für Landwirtschaft, Umwelt, Gesundheit, Ernährung und Finanzen teil.

(vatican news/ifad/misereor – pr)
 

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26. Juli 2021, 15:59