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Viele Geflohene haben den Kontakt zu Familienmitgliedern verloren und haben keine Gewissheit über ihr Schicksal Viele Geflohene haben den Kontakt zu Familienmitgliedern verloren und haben keine Gewissheit über ihr Schicksal 

Mosambik: „Wenn keiner über uns spricht, bekommt die Welt nicht mit, was hier passiert“

In dem von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbemerkten Konflikt, der sich derzeit in Mosambik abspielt, hat der Caritas-Berater Andreas Wenzel einen Tag in Pemba verbracht, wohin nach den Angriffen durch Terroristen zahlreiche Bewohner der Stadt Palma und umliegender Orte geflohen sind. Ihre Zeugnisse hat er für uns zusammengestellt.

Andreas Wenzel - Pemba (Mosambik)

Einige Kollegen der Caritas und ich fahren in den Stadtteil Paquitequete, das wahrscheinlich älteste und mit Abstand größte Armenviertel Pembas, der Hauptstad der Provinz Cabo Delgado im Norden Mosambiks. Nur wenige Straßen durchqueren diesen Stadtteil, der sehr eng bebaut ist. In der Nähe einer Schule wartet am Straßenrand Atija auf uns. Sie begrüßt uns und wir folgen ihr durch ein Labyrinth von schmalsten Gassen, die man nur hintereinander begehen kann. 

Hier das Gespräch mit Andreas Wenzel zur Situation in Pemba zum Nachhören

Nach vielen Windungen und dem Überqueren von zahllosen Innenhöfen und kleineren Plätzen, die fast allesamt mit Zelten aufgefüllt sind, kommen wir zu einem Haus. Wie alle anderen Häuser hier ist es in der traditionellen Bauweise aus mit Steinen aufgefüllten Holzgeflechten hergestellt, Schilf und Wellblech bedecken das Dach. Der Eigentümer dieses Hauses, ein etwa 35-jähriger Mann, hat seine kleine Tochter auf dem Arm. Sein Bett hat er auf die Veranda geräumt, wo er mittlerweile schläft, denn er beherbergt in seinem Haus 72 Flüchtlinge aus Palma, denen es gelungen ist, aus ihrer Stadt zu fliehen und mit dem nackten Leben davon zu kommen.

Die Landkarte von Mosambik
Die Landkarte von Mosambik

Unsere Begleiterin stellt uns den Frauen, Kindern und Männern kurz vor, die Kollegen der Caritas kennen diese Familie bereits. Atija erklärt uns, dass alle 72 Flüchtlinge eine Familie sind. Wir bekommen Stühle angeboten und setzen uns zwischen die geflüchteten Menschen. Sie erzählen mir, dass sie sich nun hier in Pemba in Sicherheit fühlen. Aber sie fühlen sich auch vergessen von der Welt und bitten mich, darauf aufmerksam zu machen, was hier passiert. 

„Aber sie fühlen sich auch vergessen von der Welt und bitten mich, darauf aufmerksam zu machen, was hier passiert.“

Fatima erklärt mir, dass sie nun seit etwa einer Woche in Pemba sind. Als die Terroristen in der Nacht zum 24. März Palma, eine Kleinstadt im Norden der Provinz, überfielen, sind sie und ihre Kinder in den Wald geflohen und haben sich sechs Tage im Gebüsch versteckt, ohne etwas zum Essen zu haben. Dann sind sie an die Küste südlich von Palma geflohen, wo sie Glück hatten und von einem Boot aufgenommen wurden, das sie nach zwei Tagen sicher nach Pemba brachte. Von ihrem Mann und ihrem ältesten Sohn hat sie seither nichts mehr gehört. Sie stockt bei diesen Worten, Tränen steigen ihr ins Gesicht, sie dreht sich zur Seite, verbirgt ihr Gesicht. Eine ältere Frau spricht mit ihr in ihrer Sprache die ich nicht verstehe, sehe nur die tröstende Geste dabei. Fatima setzt sich auf eine Bettkante im hinteren Teil eines mit einer Plastikplane abgedeckten Schlafbereichs. 

Eine Szene aus dem Interview
Eine Szene aus dem Interview

Atija, die uns begleitet, wird auf einen Mann hingewiesen, der im hinteren Teil Platz genommen hat. Er sei eben erst angekommen, übersetzt Atija mir. Ich verstehe es nicht, was mit „eben erst“ gemeint ist, in diesen Tagen, gestern, heute?, frage ich zurück und sie erklärt mir, dass er praktisch mit uns hier zusammen in diese Behausung eingetreten ist. Er wird gebeten, nach vorne zu kommen und zu erzählen, wie er hier angekommen ist. Ali setzt sich nach vorne zu mir. Zuerst fallen mir seine Beine auf. Sie sind noch ganz von Salz verkrustet. Er konnte ebenfalls fliehen, musste allerdings mit ansehen, dass in den Straßen Palmas Körper ohne Köpfe lagen. Erst nach mehreren Tagen konnte er sich auf ein Boot retten, das insgesamt 10 Tage auf dem Meer war, bis es endlich Pemba erreichte.

Als er seine ganze Geschichte erzählt hatte, werde ich auf einen anderen Mann hingewiesen, der halb verdeckt durch eine Plastikplane Platz genommen hatte. Auch er kam erst jetzt an. Er hatte weniger Glück, er wurde noch in der gleichen Nacht von den Terroristen gefangen genommen. In der Gefangenschaft wurde er misshandelt und gefoltert, er zeigt mir ein Loch in seinem Arm, welches ihm die „insurgentes“, die Rebellen, zugefügt haben. Ihm gelang nach einigen Tagen in Gefangenschaft nachts die Flucht  und er gelangte an die Küste, wo er auf ein Boot mit weiteren 75 Flüchtlingen stieg. Es war eines von zwei Booten. Als sie ablegten wurden sie angegriffen, das zweite Boot wurde schwer getroffen und alle Insassen ertranken. Nur mit der Kleidung am Körper, die er bei seiner Flucht getragen hatte, kam er hier an, einen großen Fleck auf dem Ärmel an der Stelle seiner Wunde.

Die Wunde, die die Terroristen ihm zugefügt haben, verheilt nur langsam
Die Wunde, die die Terroristen ihm zugefügt haben, verheilt nur langsam

„Nur mit der Kleidung am Körper, die er bei seiner Flucht getragen hatte, kam er hier an, einen großen Fleck auf dem Ärmel an der Stelle seiner Wunde“

Schließlich werde ich noch mit der Mutter aller hier bekannt gemacht. Eine sehr alte Frau wird mir als das Familienoberhaupt vorgestellt. Sie floh mit mehreren Menschen in ein Dorf in der Nachbarschaft, von dort in die nächste Kleinstadt, Mocímboa da Praia, etwa 80 km von Palma entfernt. Doch nach zwei Tagen waren die Rebellen auch dort und griffen die Geflüchteten erneut an, so dass sie wieder in die Sümpfe fliehen mussten mit nichts am Körper als das, was sie schon seit Tagen trugen. Ihnen gelang die Flucht nachts mit kleinen Booten, die ebenfalls unter Beschuss genommen wurden. 

„Fast jede Person hat so erleben müssen, wie Bekannte, Freunde, Familienangehörige ermordet ohne einen erkennbaren Grund wurden“

Fast jede Person hat so erleben müssen, wie Bekannte, Freunde, Familienangehörige ermordet ohne einen erkennbaren Grund wurden. Das Hauptziel ist es, die Gegend durch die Verbreitung von Angst zu entvölkern. Die Dörfer, in welchen die Terroristen sind werden von ihnen in Brand gesetzt, alles verwertbare wie Fahrzeuge etc. nehmen sie an sich. Dabei scheinen sie einem klaren Plan zu folgen, den sie mit eiskalter Disziplin umsetzen. 

All das passiert im Norden Mosambiks, einem Landesteil, aus dem praktisch nichts nach Außen dringt. Es ist scheinbar weder der Regierung noch den wirtschaftlich Mächtigen daran gelegen, die Situation dieser Menschen bekannt zu machen und zu verbessern. Mittlerweile sind über 40.000 Menschen aus Palma geflohen, die Stadt dürfte somit nun wirklich ganz leer sein. Niemand kommt dort hin, es gibt keine überprüfbaren Berichte von dort und die Geflüchteten wissen nicht, ob ihre Angehörigen noch leben. 

Eine Zuflucht für die Geflohenen aus Palma
Eine Zuflucht für die Geflohenen aus Palma

Diese Menschen brauchen unsere Solidarität. In Pemba ist der Zustrom der Flüchtlinge mittlerweile außer Kontrolle geraten, das Erstaufnahmezentrum war bis Ende April durch die Caritas vor Ort betreut worden, diese Aufgabe wird nun durch staatliche Stellen wahrgenommen. Leider scheint dies nicht richtig zu funktionieren, was nicht an fehlender Kompetenz staatlicher Stellen liegt, sondern daran, dass der Zustrom von Flüchtlingen und Gestrandeten einfach die Möglichkeiten einer geregelten Aufnahme übersteigt. 

Die Caritas in Pemba reagiert darauf sehr gut: flexibel. In kleinen Einheiten, via „activistas", also Freiwilligen arbeiten sie mit Menschen wie Atija zusammen, um jene Menschen zu erreichen, die sich dezentral in Pemba niedergelassen haben. Pemba gleicht einem überquellenden Bienenstock, wo niemand genau weiß, wo überall Flüchtlinge sind. Genauso wenig weiß man, ob sich „insurgentes" unter die Flüchtlinge gemischt haben, wodurch das Misstrauen diesen Menschen gegenüber sehr hoch ist. Aber in der Zusammenarbeit mit Menschen wie Atija können Netzwerke aufgebaut werden, in denen die Diözesancaritas Pemba eine wichtige Rolle spielt. Fast 100 % der geflüchteten Menschen sind Muslime und sie sind alle begeistert von der menschlichen Wärme, die sie durch die Hilfe der Caritas spüren. Sie fühlen, dass sie nicht alleine gelassen werden, aber sie bitten darum, dass man über sie spricht, dass man auf das aufmerksam macht, was in ihrer Heimat passiert. 

Wenn Sie helfen möchten, hier die Kontoverbindung der Caritas in Pemba: 

Caritas Diocesana de Pemba

IBAN: MZ59 000800022335609102777

SWIFT / BIC: CGDIMZMA

Banco Comercial e de Investimentos BCI S.A.

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Atija ist ein Klarname, sie heißt Atija Mamudo, ist 26 Jahre alt und kommt aus Pemba – Paquitequete. Sie ist Mutter einer achtjährigen Tochter und von zwei eineiigen Zwillingen, Jungs, die kurz vor ihrem sechsten Geburtstag stehen. Sie ist in der Ausbildung zur Krankenpflegerin und tritt nebenbei mit dem Künstlerinnennamen „Mãezinha" – (junges) Mütterchen - als Sängerin auf. Die Namen der anderen Interviewpartner sind keine Klarnamen, die echten Namen sind mir bekannt. 

(vatican news/caritas - cs)

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13. Mai 2021, 12:02