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Blick eines Wartenden auf dem Feldweg - ein Migrant nach der Schließung des Lagers Lipa Blick eines Wartenden auf dem Feldweg - ein Migrant nach der Schließung des Lagers Lipa 

„Moria in Bosnien-Herzegowina“ - die Flüchtlinge von Lipa

Nach dem Großbrand im bosnischen Flüchtlingslager Lipa weisen Kirchenvertreter auf die humanitäre Notlage der Flüchtlinge an den Grenzen Europas hin und erneuern Forderungen nach legalen Zugangswegen für schutzbedürftige Menschen in die Staatengemeinschaft. Ob in Moria oder Lipa – hinter dem Drama der Flüchtlinge stehe Untätigkeit lokaler Behörden und der Europäischen Union: eine weitere, vermeidbare Katastrophe.

Anne Preckel und Antonella Palermo - Vatikanstadt

Das Flüchtlingslager Lipa im Nordwesten Bosniens ist eine Art „Moria“ des Balkans. Auch in diesem provisorischen Zelt-Camp leben Flüchtlinge mitten in der Pampa in der Kälte, obendrein noch ohne fließend Wasser und Strom. Just an Weihnachten ist das Lager abgebrannt, wie im September Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Die rund 1.300 Menschen verloren damit ihr Obdach und standen buchstäblich auf der Straße, oder genauer, dem Feldweg. Nachdem eine Räumung des Lagers angekündigt worden war, hatten Migranten Zelte und Container in Brand gesetzt – eine Verzweiflungstat, wie in Moria. Ersatz gab es für die schutzlosen Menschen lange nicht, bis in diese Stunden harrten viele von ihnen in dem unwirtlichen Gelände 25 Kilometer südöstlich von Bihac ohne Dach über dem Kopf aus.

Lipa steht für Flüchtlings-Tragödie weltweit

Lipa zeige „wie in einem Brennglas die Tragödie, in der sich viele Flüchtlinge weltweit befinden“, kommentierte den Fall der Leiter von Caritas International, Oliver Müller, im Interview mit dem Kölner Domradio. Die Flüchtlinge in Bosnien, von den lokalen Behörden in provisorische Camps verbannt, „hausen unter miserablen Bedingungen“ und stünden nach dem Brand „quasi vor dem Nichts“. Dabei wollten sie eigentlich gar nicht in Bosnien bleiben, sondern sich in der Europäischen Union ein neues Leben aufbauen. Der Caritas-Leiter forderte vor Hintergrund der Notlage „eine Perspektive“ für die Schutzsuchenden: „Die muss ihnen letztlich die Politik geben. Das heißt, gibt es etwa Kontingente in die EU oder muss man sie dabei unterstützen, wieder dorthin zurückzukehren, wo sie hergekommen sind.“

Migranten auf dem freien Feld in Nähe des Camps
Migranten auf dem freien Feld in Nähe des Camps

JRS erneuert Aufruf zur Einrichtung legaler Zugangswege

Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst erneuerte mit Blick auf Lipa seine Forderung an die EU, legale Zugangswege und Lösungen für eine kontrollierte und sichere Steuerung der Einreise von Migranten nach Europa zu aktivieren. In Bosnien würden unweit an der Grenze zu Italien â€žMenschenrechte von Menschen, die aus Kriegs- und schlimmen Krisenzusammenhängen wie Irak, Syrien und der Türkei fliehen, mit Füßen getreten“, heißt es in einer Erklärung der römischen Hilfsstelle der Jesuiten in Rom, dem Centro Astalli, die damit einen Brandbrief der Internationalen Organisation für Migration (IOM) an die Europäische Union aufgriff. Die IOM war es auch, die das Camp von Lipa kurz vor Weihnachten schließen ließ, nachdem Bosnien der Forderung, das Lager winterfest zu machen, nicht nachgekommen war.

In Bosnien selbst erhob der Großmufti der islamischen Gemeinschaft seine Stimme für die Flüchtlinge. Die Lage sei beschämend für das Land und den Rest Europas, sagte Hussein Kavazovic, der eine bessere Behandlung der Migranten forderte: „Wir behandeln bedürftige Menschen nicht auf solche Weise“, appellierte er an die Gewissen und rief zu mehr Geschwisterlichkeit auf.

Zum Wärmen bleibt nur Feuer
Zum Wärmen bleibt nur Feuer

Insgesamt etwa nur 10.000 Flüchtlinge

„Es macht eben nur Schlagzeilen, wenn ein Lager brennt...“

Alle Winter berichten Medien über Flüchtlingsleid - fast schon ein Automatismus. „Leider ist das keine neue Geschichte“, erinnert die Journalistin Francesca Mannocchi im Interview mit Pope. „Es macht eben nur Schlagzeilen, wenn ein Lager brennt oder die Temperatur unter den Nullpunkt fällt“, bringt die Italienerin es auf den Punkt. Die Dokumentarfilmerin ist gerade von einer Reise durch Bosnien zurückgekommen, auf der sie das Leid der Flüchtlinge dokumentiert hat. Viele der Flüchtlinge, die in dem Balkanland strandeten, hätten Kriege, extreme Armut und politische Verfolgung erlebt. Ihre Gesamtzahl sei insgesamt überschaubar; eine Lösung für diese Menschen eigentlich greifbar, findet sie.

„Wir sprechen von insgesamt 6.500 Menschen, die in Bosnien-Herzegowina in offiziellen Strukturen untergebracht sind, gegenüber weiteren 3.000, die außerhalb der Aufnahmezentren in improvisierten Lagern leben. Also etwa 10.000 Menschen: eine von Europa und auch von Bosnien selbst weitgehend beherrschbare Situation.“

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Behörden versagt, Stimmung gekippt

„Die Institutionen haben, obwohl sie enorme Geldsummern von der EU erhalten haben, keine geeigneten Plätze für die Einrichtung von Aufnahmezentren gefunden.“

Die bosnische Bevölkerung habe sich den Flüchtlingen gegenüber „von Anfang an sehr großzügig gezeigt“, hat die Journalistin beobachtet. Der Krieg in Bosnien, in dem Vertreibung und Not Alltag war, stehe dem Volk noch klar vor Augen. In eine institutionalisierte Solidarität mit Schutzsuchenden habe sich das im heutigen Bosnien-Herzegowina aber nicht übersetzt, so Mannocchi weiter: „Gleichzeitig haben die Institutionen – obwohl sie enorme Geldsummen von der EU für die Einrichtung von Aufnahmezentren erhalten haben – keine geeigneten Plätze gefunden.“

Der Beweis dafür sei das Lager von Lipa, das im letzten Frühjahr eingerichtet wurde. Das Camp 40 Kilometer von der Grenzstadt Bihac ist nur über Landstraßen erreichbar und liegt isoliert in der Landschaft. Es sei eigentlich als Übergangslösung gedacht gewesen, um Migranten, die außerhalb der anderen Zentren blieben, unterzubringen und so die Ausbreitung der (Corona-)Infektionen einzudämmen. Die unmenschlichen Zustände in dem provisorischen Lager – kein fließend Wasser und Strom, ein Leben in Isolation und eisiger Kälte – hätten vor Ort unvermeidlich zu sozialen Spannungen geführt. In der bosnischen Bevölkerung machten sich angesichts der Lage inzwischen „mehr Härte und Müdigkeit breit“, schildert die Dokumentaristin die veränderte Atmosphäre. Seitdem Bosnien zum Durchzugsgebiet auf der sogenannten Balkanroute wurde, hat sich die anfangs positive Stimmung in der Bevölkerung mehr und mehr gegen die Migranten gewendet.

Ausharren in Bussen
Ausharren in Bussen

Lackmustest für Europas „Solidarität“

Was hält Manocchi von der Rede neuer Weichenstellungen in der europäischen Flüchtlingspolitik? An Hotspots wie Moria und Lipa zeige sich, wie ernst es die EU damit tatsächlich meint, so die Journalistin.

„Bosnien, wie auch die Türkei oder Libyen und die Krisenherde auf den griechischen Inseln sind eine Art Lackmustest für Europa und zeigen letztlich eine große Heuchelei der Staatengemeinschaft auf. Wenn jahrelang keine Antworten gegeben werden, wird eine Krise erzeugt. Das Beispiel des Lagers Moria ist emblematisch. Solche Spannungen sind alle Folgen des gleichen Dilemmas“, so Monocchi. Und sie verweist auf einen weiteren Fall, der von dem Druck erzählt, der sich rund um den Aufenthalt von Flüchtlingen regelmäßig aufbaut: Tripolis im Libanon, wo Einwohner zuletzt ein syrisches Flüchtlingscamp anzündeten – in diesem Fall gleichwohl keine Verzweiflungstat der Flüchtlinge.

Migranten kehren in ausgebranntes Camp zurück

Im Nordwesten Bosniens sind unterdessen hunderte Migranten in das ausgebrannte Camp von Lipa zurückgekehrt. Zuvor hatten sie die Nacht in Bussen verbringen müssen, da Anwohner den geplanten Umzug in eine Kaserne verhindert hatten.

Wohin mit diesen Menschen, die Schutz suchen? Wie auch der Jesuitenflüchtlingsdienst plädiert die italienische Journalistin Manocchi für die Einrichtung legaler Einreisewege für Kreigsflüchtlinge nach Europa. Hierbei müssten das „Engagement der Zivilgesellschaft, der Verbände, der Kirchen und der Regierungen vereint werden, sagt sie im Interview mit Pope – wie es etwa beim Beispiel der „humanitären Korridore“ nach Italien bereits erfolgreich praktiziert wurde.

(vatican news/diverse – pr)

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31. Dezember 2020, 11:36