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Bischof Clemens Pickel, Saratov, Russland Bischof Clemens Pickel, Saratov, Russland 

Russland: „In dieser Zeit können wir beten lernen”

Wenn schon die abgesicherten Menschen sich sorgen über ihre Zukunft in der Coronakrise: Wie geht es dann den Armen? Eine Frage, die sich Bischof Clemens Pickel von St. Clemens in Saratov, Südrussland, dieser Tage oft stellt. Der aus Ostdeutschland stammende Bischof meint aber auch, dass Corona gewissermaßen das Gebot der Fastenzeit neu stellt: beten lernen. Wir sprachen mit ihm.

Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Radio Vatikan: Wie erleben die Menschen in Ihrem Bistum St. Clemens in Saratov in Südrussland die Bedrohung durch die Corona-Pandemie?

Bischof Clemens Pickel: Insgesamt erlebe ich, dass die Menschen, wir, in einer großen Ungewissheit leben. Das Wort, was alles zusammenfasst, ist abwarten. Es fängt alles erst an bei uns. Um die Bedrohlichkeit auszudrücken, vergleiche ich das Ganze mit einem Tsunami: Am Anfang zieht sich das Meer zurück, und es wird ganz still - mir scheint, wir sind erst in dieser Phase. Das bewirkt eine Ängstlichkeit. Vieles ist unerwartet, nicht zur Arbeit zu gehen, zu Hause zu bleiben. Was wird daraus? Wir haben nicht das soziale Netz, das die Menschen auffängt, wie in Deutschland.

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Radio Vatikan: Und die Einschränkungen bei den Gottesdiensten?

Bischof Clemens Pickel: Die Kirchen sind offen – aber die Leute sollen nicht hinausgehen aus ihrer Wohnung. Die Unmöglichkeit, am Gottesdienst teilzunehmen, ist eine schmerzliche Erfahrung gerade der alten Menschen aus der Zeit des Kommunismus. Das waren Jahrzehnte, in denen Leute nicht zur Kirche gehen durften, nach denen dann nur wenig übrig geblieben ist. Auch an Glaubenssubstanz. Sogar Leute, die eisern versucht haben durchzuhalten, haben manchmal einen Glauben entwickelt, der mit Aberglauben vermischt war. Und das Leben ohne Gott war zum Alltag geworden. Aber: Wir sind nicht wie das Kaninchen vor der Schlange. Wir tun etwas – wir beten. Wir beten etwa auf die Fürsprache von Dr. Friedrich Josef Haass, dem Heiligen Doktor von Moskau. Ein deutscher Arzt, geboren 1780 in Münstereifel, der mit 26 Jahren nach Moskau ging, wo er dann gelebt hat. Er wird verehrt als der heilige Doktor von Moskau. Beten ist in der Zeit das, was wir als das Wichtigste und Größte verstehen, was wir derzeit tun können.

Radio Vatikan: Was macht Ihnen Sorgen, wenn Sie an die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der Pandemie denken, gerade auch in einer der ärmeren Weltgegenden wie in Südrussland?

Bischof Pickel: Die Folgen kann noch niemand abschätzen, jedenfalls bei uns. Aber ich sehe, selbst abgesicherte Menschen sind besorgt. Also mache ich mir Sorgen um die weniger Abgesicherten, um die Kranken, die Menschen in den Dörfern. Dörfer – das heißt bei uns 50 Kilometer von der Stadt entfernt. Wie viel haben wir schon probiert, den Leuten auf die Beine zu helfen, aber es geht nicht! Das führt dazu, dass wir uns bemühen, Kontakte zu halten, niemanden durch die Maschen rutschen zu lassen. Viele von uns [in der Seelsorge] haben zu Hause eine Telefonliste liegen und da fragen sie regelmäßig bei den Menschen nach, wie es geht.

„Wir können uns zur Zeit nicht besuchen. Auf Wiedersehen! Das wird schön.“

Radio Vatikan: Was macht Ihnen Hoffnung für die Zeit danach?

Bischof Pickel: Es ist schwer, an danach zu denken, wenn man davor steht. Jetzt geht es erst einmal in den Tunnel hinein. Selbst das Träumen von der Zeit danach fällt schwer. Aber als Christen sind wir gewiss: solange wir nicht am Ziel sind, gibt es einen Weg. Davon sind wir überzeugt. Das ist unsere Hoffnung. Und wir leben in der Hoffnung, dass das Ganze bald vorbei geht. In den Nachrichten wird uns gesagt, die Labore arbeiten Tag und Nacht und brauchen noch so und so viele Monate. Aber wir beten darum, dass es schneller geht. Das ist nicht verboten. Wir sind noch nicht zu aufgeklärt dafür, dass wir meinen, das Beten hat keinen Sinn, wenn die Ärzte sagen, das dauert. Die Hoffnung auf die Zeit danach möchte ich zusammenfassen in dem alltäglichen Wort ,Auf Wiedersehen'. Wir können uns zur Zeit nicht besuchen. Auf Wiedersehen! Das wird schön.

Radio Vatikan: Wir gehen auf Ostern zu. Was lässt sich aus Ihrer Sicht aus dieser Lage der Bedrohung und der Isolierung neu lernen für die katholische Weltkirche, für das Kirchesein?

Bischof Clemens Pickel: Ich würde wirklich sagen, ja, das sind Schulstunden. Wir sind am Ende der Fastenzeit. Am Anfang der Fastenzeit, am Aschermittwoch, was stand da im Evangelium? Wenn du betest, dann geh in dein Zimmer. Bin ich im Zimmer gewesen? Es geht alles so schnell in unserer Zeit. Das Corona-Virus ist eine Bremse, die uns stoppt und nochmal sagt: Geh in dein Zimmer. Und das Zimmer sind nicht meine vier Wände, sondern das ist mein Herz. Bin ich da drin gewesen? Kenne ich den Weg? Das ist eine Sache, die wir in dieser Zeit lernen können und wollen. Gewöhnlich gibts alle möglichen Aktionen und Projekte. Wenn wir vergessen, ins Zimmer zu gehen, wenn wir nicht beten können, sondern nur ein Gebet sprechen können, - Herr Pfarrer, sprechen Sie mal ein Gebet! - wenn wir nicht persönlich mit Christus sein können, dann sind diese ganzen Projekte der Kirche für die Zukunft ein Hochhaus, das wir in den Sand bauen.

„Ostern ist Auferstehung – für alle, und und für diese Menschen besonders.“

Radio Vatikan: Die Kar- und Ostertage feiern Sie in Ihrer Bischofskirche in Saratov. Ohne Gläubige...

Bischof Clemens Pickel: Es ist immer so, dass wir nicht alle Leute sehen, mit denen und für die wir beten. Die geistliche Gemeinschaft hängt nicht von dem ab, was wir sehen und wer da 10 Meter von mir weg steht. Wir sind als Bistum in diesen Tagen eins, das ist mir bewusst. Und ich will in diesen Tagen beten besonders für jene, die einsam sind, die krank sind, die leiden. Ostern ist Auferstehung – für alle, und für diese Menschen besonders.

(vatican News)

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09. April 2020, 11:15