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In China ist das neuartige Corona-Virus zuerst aufgetreten. Die Regelungen zur Eindämmung sind von Land zu Land verschieden - die Selbstdisziplin der Bürger auch In China ist das neuartige Corona-Virus zuerst aufgetreten. Die Regelungen zur Eindämmung sind von Land zu Land verschieden - die Selbstdisziplin der Bürger auch 

Coronavirus in Macau (China): Ein Missionar erzählt

Eine Regierung, die massiv kontrolliert, aber keine Ausgangssperre verhängt, verständnisvolle Bürger, ein allen zugängliches Gesundheitssystem und Livestream-Gottesdienste, nach deren Ende Priester mit Mundschutz die Kommunion draußen auf dem Pfarrplatz spenden: Das sind Mosaiksteine der Pandemie-Realität in Macau. In der wohlhabenden chinesischen Sonderverwaltungszone lehrt der österreichische Steyler Missionar Franz Gassner Sozialethik an der einzigen katholischen Universität Festlandchinas. Wir sprachen mit ihm.

Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Pope: Lockdown wegen der Corona-Pandemie, aber keine Ausgangssperre, das gibt es Macau jetzt seit drei Monaten. Wie sieht das im Einzelnen aus? 

P. Franz Gassner: Ja, das Virus dominiert die ganze Welt, und Macau nun schon seit drei Monaten. Am 22. Jänner war hier der erste Coronafall. Macaus Regierung hat die Gefahr sofort erkannt. Sofort wurden Großveranstaltungen abgesagt, wie das Feuerwerk zum chinesischen Neujahrsfest, Reisen musste man dokumentieren, bevor sie immer stärker eingeschränkt wurden, dann schlossen die Grenzübergänge zu Festland-China ganz und schließlich auch die zu unserer Schwesterstadt Hongkong. Auch in den Gottesdiensten wurden strenge Vorschriften eingeführt.

Hier zum Hören:

Pope: Da das in Europa gerade ein großes Thema ist – wie sehen die Regelungen für Gottesdienste in Macau aus?

P. Franz Gassner: Keine Liederbücher, wenig singen, viel lüften, Abstand halten, kein Friedensgruß und natürlich: Schutzmasken, auch für Priester. In Hongkong gibt es die Vorschrift: Priester und Kommunionhelfer kommunizieren zuletzt, also nicht vor, sondern nach den Gläubigen, aus Sicherheitsgründen, wegen des Berührens der Maske beim Kommunizieren. Pragmatisch nach dem Motto: „Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat.”

Pope: Dabei waren und sind die COVID-19-Fälle in Macau eher wenige, nicht?

P. Franz Gassner: In Macau stiegen die Infektionen Anfang Februar auf zehn an. Konkret waren das sieben Gäste aus Wuhan und drei lokale infizierte Personen. Das war dem neuen Regierungschef Ho Iat-seng schon zu viel. Er hat am 4. Februar entschieden, alle nicht notwendigen Einrichtungen zu schließen: Büros, Schulen, Universitäten und Tempel wurden nach dem Neujahrsfest nicht mehr geöffnet. Sogar Resorts und Casinos ließ die Regierung schließen mit dem Hinweis: People before Profit! Menschen und ihre Gesundheit sind wichtiger als Geld, sagte er. Natürlich muss man dazu sagen: Macau hat genug Geld.

Pope: Und die Kirchen?

P. Franz Gassner: Auch die Kirchen schlossen sich dem Aufruf der Regierung an und machten ihre Pforten am 5. Februar dicht, im nahe gelegenen Hongkong zehn Tage später. Gottesdienste gibt es seitdem im Live-Stream online. Aber seit März wird die Kommunion wieder gespendet, und zwar 15 Minuten nach den Online-Gottesdiensten, auf allen Pfarrplätzen. Die Gottesdienste werden hier ja in Kantonesisch (Chinesisch), Portugiesisch, Englisch, Tagalog (Philippinisch) und Vietnamesisch gefeiert, zu verschiedenen Zeiten. Aber immer wird die Kommunion an die Gläubigen ausgeteilt, an allen Pfarrplätzen zugleich, 15 Minuten nach dem jeweiligen Gottesdienst.

Pope: Viele Regierungen in Fernost gehen mit einer Entschlossenheit gegen die Ausbreitung des Coronavirus vor, die bei uns in Europa vielen Menschen Kopfzerbrechen machen würde. Wie steht es damit in Macau?

P. Franz Gassner: Ja, Coronafälle werden hier rigoros nachverfolgt, um mit Testen ein weiteres Ausbreiten zu unterbinden. Zum Beispiel werden die Flugnummer und der Sitzplatz einer infizierten Person hier in der Zeitung veröffentlicht. Ende Jänner hatten wir in Macau noch Hunderte Gäste aus der Provinz Hubei, wo Wuhan liegt, die sofort gefunden und getestet werden mussten. Und ich sehe noch heute Polizisten mit Hotel-Listen in der Stadt herumgehen

„Es gibt hier kein Ausgangsverbot, aber ein Meldegebot“

Pope: Italien lebt seit 11. März mit einer Ausgangssperre. Macau nicht - dabei ist das das dichtbesiedelste Gebiet der ganzen Welt. Wie geht das, bei diesem Risiko, ohne Ausgangsverbot?

P. Franz Gassner: Es gibt hier kein Ausgangsverbot, aber ein Meldegebot. Am Postamt, im Kino, überall muss man am Eingang (oder schon zu Hause) den QR-Code des Gesundheitsministerum scannen und eine Gesunden- und Reisemeldung abgeben. Jeden Tag neu, eine 15-stellige Nummer. Sonst wird man nicht hineingelassen. Und seit drei Monaten schickt die Regierung ständig Lautsprecherwagen durch die Gegend, die an die Bevölkerung appellieren: durchhalten, zu Hause bleiben, Hände waschen, die Maske richtig tragen, gesundheitliche Probleme melden. Das hat sich bis heute nicht geändert, nach drei Monaten, und wird sich auch nicht so schnell ändern. Wir werden mit diesem Virus längere Zeit leben müssen. Masken zu tragen, ist in Macau besonders wichtig. Hier leben auf einem Quadratkilometer 21.000 Menschen. Nicht auszudenken, wenn da ein Infizierter untertaucht und zu einem „versteckten Überträger“ wird. Aber bis jetzt gibt es in Macau noch kein COVID-19-Todesopfer. Luxemburg zum Beispiel hat bei nur einem Fünftel der Einwohner von Macau schon mehr als 80 Tote.

Pope: Die Maßnahmen scheinen also zu wirken. Aber wie gehen die Menschen nach drei Monaten mit der Situation um, fordern sie inzwischen eine Lockerung nach dem Motto: Das war ja offensichtlich überzogen?

P. Franz Gassner: Es gab hier nur zwei, drei Wochen im Februar einen totalen Shutdown von Betrieben – aber wie gesagt nie eine Ausgangssperre. Wir können immer hinausgehen, einkaufen, in den Park. Die Menschen hier sind sehr realistisch eingestellt und nüchtern, und sie haben Erfahrung mit der SARS-Epidemie von 2003. Die Leute wissen, dass man lange auf der Hut bleiben muss bei so einem Virus.

„Zum Glück haben wir hier in Macau praktisch europäische Gesetze und Werte“

Außerdem versucht die Regierung der Bevölkerung und den Betrieben wirtschaftlich zu helfen, so gut es geht, wie jetzt auch in Europa: Das ist die Stunde der Solidarität, die hoffentlich nicht nur eine leere Hülse ist. Zum Glück haben wir hier in Macau praktisch europäische Gesetze und Werte, etwa Krankenversicherung. In Macau gibt es auch extra Geld für die lokalen Bewohner, etwa 1.000 Euro, das nur lokal ausgegeben werden kann, um der lokalen Wirtschaft zu helfen. Die Regierung übernimmt in diesen Monaten einen Teil der Stromrechnung, rund 70 Prozent. Nur für die Migranten, also Gastarbeiter, müsste Macau mehr tun: Sie leiden am meisten an der Unsicherheit. Es braucht einen besseren Kündigungsschutz und Übergangsregelungen.

Pope: Sie sagen, das Gesundheitssystem in Macau spielt eine wichtige Rolle in der Bekämpfung der sanitären Krise – weil es nämlich ein gutes Gesundheitssystem ist. Wie sieht das aus?

P. Franz Gassner: Als Bürger hat man hier Zugang zu den grundsätzlichen Leistungen des Gesundheitssystems. Das ist nicht an ökonomische Bedingungen geknüpft wie in the USA. Ich bin überzeugt, dass dieses allgemein zugängliche Gesundheitssystem entscheidend war, eine weitere Ausbreitungen des Virus abzublocken. Die Menschen brauchen nicht unterzutauchen oder sich den Kopf zu zerbrechen über Zugang und Kosten für einen Coronatest, einen Krankenhausaufenthalt oder Medikamente. Gesundheit zählt zu den commons, den gemeinsamen Gütern, die niemandem vorenthalten werden. Soziale Unterschiede sind im Fall von Seuchen sehr gefährlich: Das legt das Virus schonungslos offen.

Pope: Inwiefern?

P. Franz Gassner: Das Virus entlarvt altmodische Vorstellungen, etwa, ein gutes Gesundheitssystem sei nur für die Reichen, die Eliten, die es sich leisten und richten können. Solche Gesellschaften werden in Zukunft nicht funktionieren - oder zumindest schlechter funktionieren. In der Sozialethik ist das schon lange klar. Nur jetzt holt uns die Realität ein. Die Frage bleibt: Wieso haben sich Politiker, Parteien, ganze Nationen nicht schon viel früher dafür entschieden? Wieviele Menschenleben hätten gerettet werden können? Wieviel Leid abgewendet?

Pope: Macau lebt zu 80 Prozent vom Tourismus, der nun zu 100 Prozent ausfällt. Wie groß ist die Sorge vor wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen in Macau?

P. Franz Gassner: Zum Glück hat Macau finanziell Spielraum, noch. Aber es wird immer klarer, dass das Virus einen historischen Einschnitt setzt, schmerzlich für viele. Vor allem die Armen sind, wie immer, am meisten betroffen, am verwundbarsten. Aber in der Wissensschaft besteht kein Zweifel, dass sich unser Leben ändern muss. Das war schon vor Corona klar: Tourismus muss in Zukunft in sanftere und nachhaltige Bahnen gelenkt werden, lokal und weltweit. Reisen wird in den kommenden Jahren schwieriger werden und überlegter stattfinden. Der Mobilitätskonsum war ja ziemlich überhitzt vor Corona, hektisch, nicht nachhaltig. Es fehlte auch an politscher Steuerung von Mobilität. Ich verweise auf die jahrelange Verweigerung einer angemessenen Kerosinabgabe oder einer CO2-Steuer. Solche Sichtweisen sind inkonsistent, schädigend, kurzsichtig, auf politischer wie ökonomischer Ebene. Jetzt müssen auf die Schnelle Hausübungen nachgeholt werden, die man schon vor zehn und 20 Jahren aufgetragen bekommen hat. Das Virus bestätigt: Externalisierung (also: andere zahlen die Zeche unseres Lebensstils) ist politische und ökonomische Realitätsverweigerung, destabilisiert die Natur und das soziale Leben. Es braucht Kostenwahrheit. Da muss eine fundamentale Transformation stattfinden. Einige Nachhaltigkeitsexperten sprechen schon von der Großen Corona-Transformation.

Pope: Sie lehren als Steyler Missionar Sozialethik an der St. Joseph’s University in Macau, der einzigen katholischen Universität auf dem chinesischen Festland. Wenn Sie als Sozialethiker auf die Anti-Corona-Maßnahmen in Macau sehen, wie beurteilen Sie sie?

P. Franz Gassner: Die Regierung Macaus ist seit vergangenen Dezember neu im Amt, und sie hat ihr Bestes gegeben im Krisenmanagment. Die Bevölkerung lobt die Regierung und hat Verständnis für die Maßnahmen. Realitätsverweigerung ist eben keine Alternative... Die Menschen zeigen sich hier weise, geduldig, gehorsam; es sind, wenn ich so sagen darf, typisch asiatische Tugenden.

Pope: Und die Schwächen?

P. Franz Gassner: Macau muss, wie gesagt, ein Schutzsystem für die Schwächsten in der Gesellschaft aufbauen. Das sind hier die Gastabeiter von den Philippinen, von Indonesien, Vietnam, die gebraucht werden, wenn die Sonne scheint. Aber wenn es schwierig wird, sind diese Menschen sehr verwundbar. Sie werden oft einfach weggeworfen, wie Franziskus zu Recht in Laudato Si beklagt. Hier braucht es ein viel konsistenteres System in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Aber auch im Konsumverhalten: Wir müssen uns hier alle an der Nase nehmen und den Wasserspiegel von Solidarität, Gerechtigkeit und Kostenwahrheit anheben. Das ist eine bleibende Hausaufgabe für un alle - lokal, regional, global.

Pope: Zusatzfrage, Pater Gassner. Die Jesuitenzeitschrift Civiltà Cattolica erscheint ab sofort in einer Web-Ausgabe auf Chinesisch. Auf wie großes Interesse wird das Ihrer Meinung nach stoßen?

P. Franz Gassner: Der Chefredakteur der Civiltà Cattolica, Antonio Spadaro, hat schon lange an der chinesischen Version der Zeitschrift gearbeitet. Dies ist sicher im Zusammenhang mit dem vorläufigen Abkommen zwischen Vatikan und China [über gemeinsame Bischofsernennungen] zu verstehen. Es ist ein wichtiger Schritt in die Zukunft für China, die Kirche, auch die Welt. Bestimmt hat das Projekt das Wohlwollen von Papst Franziskus. Er schrieb eine eindrückliche persönliche Gratulation zur letzten Nummmer zum 170. Jubiläum. Die Zeitschrift Civiltà Cattolica hat Potential auf dem Festland in Bezug auf eine breite Leserschaft, vor allem im Hinblick auf ein besseres Verstehen auch auf geistiger Ebene. Das kirchliche akademische Feld ist ja momentan hier ausgetrocknet. Es wird sicherlich viel Positives daraus wachsen.

Hintergrund

Macau ist eine autonome Provinz Chinas in Südostasien mit einer langen portugiesischen Tradition, eine Stadt, in der chinesische und europäische Traditionen, Sprachen, und Religionen friedlich nebeneinander bestehen. Macau gilt als die ältere und kleinere Schwester des nahegelegenen Hongkong und ist seit Jahrhunderten Schnittstelle des Handels, aber auch des geistigen Austausches zwischen China und Europa. Das Bistum Macau besteht seit 1573 als Mutterdiözese Südostasiens. Die zahlreichen Tempel und Kirchen fielen dank der portugiesischen Verwaltung (bis 1999) nicht der chinesischen Kulturrevolution zum Opfer.

Nach der Rückgabe Macaus an die Volksrepublik China 2002 nahmen Spielkasinos und der damit verbundene Tourismus einen rasanten Aufschwung. Derzeit erlebt der Sektor eine grundlegende Umwandlung hin zu Resorts als Zentren für Erholung, Kultur, Austausch und Bildung.

(vatican news)

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30. April 2020, 09:39