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Eine Binnenflüchtlingsfamilie in Somalia Eine Binnenflüchtlingsfamilie in Somalia 

Somalia: 1,5 Millionen Menschen brauchen humanitäre Hilfe

Im ostafrikanischen Somalia herrscht seit 30 Jahren Bürgerkrieg. Die Terrormiliz Al-Shabaab, anhaltende Dürre, sowie eine enorme Heuschreckeninvasion verschärfen die Lage weiter. Martin Bröckelmann-Simon, der Geschäftsführer von Misereor, hat sich vor Ort ein Bild gemacht. Im Gespräch mit Radio Vatikan berichtet er über die humanitäre Lage in Somalia.
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Radio Vatikan: Sie sind gerade von einer Reise nach Ostafrika zurückgekehrt und haben auch Somalia besucht. Dort herrscht seit 30 Jahren ununterbrochener Bürgerkrieg. Wieso kommt das Land nicht zur Ruhe?

Bröckelmann-Simon: Somalia ist ein sehr komplexes Land. Die Tatsache, dass es einen 30-jährigen Krieg gibt, lastet natürlich auf der Situation des Landes. Es ist aber auch kompliziert, weil es eine Struktur gibt, die auf dem Clansystem basiert. Das ist kulturell tief verwurzelt, führt aber zu fortlaufenden Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Gruppen und es gibt ein kompliziertes inneres Machtverhältnis.

Es hat auch etwas damit zu tun, dass das Land geopolitisch von großer Bedeutung ist - am Roten Meer, am Horn von Afrika, in und um Somalia herum finden sich alle wesentlichen regionalen Akteure, aber auch Großmächte, wie die USA, China und die Türkei. Alle haben ein großes Interesse an Somalia – auch aufgrund seiner Erdöl- und Erdgasvorkommen. Das alles zusammengenommen führt dazu, dass sowohl von innen heraus, als auch von der außenpolitischen Lage her friedensfördernde Maßnahmen sehr schwierig sind.

Hinzu kommt außerdem, dass aufgrund des Staatszerfalls und der anarchischen Situation im Land die Terrormiliz Al-Shabaab entstanden ist. Das ist ein enormer Destabilisierungsfaktor und führt gerade in den ländlichen Regionen dazu, dass die Zahl der binnenvertriebenen Flüchtlinge im eigenen Land weiter zugenommen hat. Man sprach Anfang des letzten Jahres noch von ungefähr 2,6 Millionen Binnenvertriebenen. Aufgrund der verschiedenen Faktoren ist Zahl weiter gestiegen. Uns wurden Zahlen von weiteren 700 Tausend genannt, die im vergangenen Jahr dazugekommen sind – aufgrund von Dürre, Krieg und der klimatischen Bedingungen, die dieses Land aushalten muss.

Radio Vatikan: Welche Rolle spielt die islamistische Terrormiliz Al-Shabaab, auch für die Jugend des Landes?

Bröckelmann-Simon: Es gibt eine große Perspektivlosigkeit unter den jungen Menschen aufgrund der Tatsache, dass es im Moment kein zentralstaatlich gesteuertes System gibt. Die Zukunftsaussichten sind für viele düster. Und Al-Shabaab bietet zumindest eine Perspektive dahingehend, dass man sich durch Beitritt eine Einkunftsmöglichkeit verschafft, es vielleicht auch wieder einen Sinn im eigenen Leben gibt.

Radio Vatikan: Wie ist die humanitäre Situation vor Ort – auch angesichts der jüngsten Überschwemmungen und Heuschreckenplagen?

Bröckelmann-Simon: Man spricht davon, dass rund eine Million Kinder in Gefahr akuter Unterernährung sind. Etwa 1,5 Millionen Menschen brauchen humanitäre Hilfe. Etwa die Hälfte der somalischen Bevölkerung ist von Nahrungsmittelknappheit bedroht. Inwiefern die akute Heuschreckeninvasion diese Lage verschärfen wird, ist noch nicht ausgemacht. Die Schwärme sind durch Somalia durchgezogen und befinden sich jetzt im Wesentlichen auf kenianischem Gebiet. Aber die Eier, die sie in den Pfützen hinterlassen haben, bergen eine große Gefahr. In ein bis zwei Monaten wird man sehen, ob sich die Larven ausbilden konnten. Und dann gibt es Prognosen, die sagen, dass sich insgesamt die Heuschreckenplage in Ostafrika verzehnfachen kann. Dann ist gerade Somalia besonders betroffen, weil es aufgrund der Sicherheitslage so schwierig ist, dort effektiv humanitäre Hilfe zu leisten. Es ist ein ganz massives Sicherheitsproblem. Sie können nur vorsichtig einen Schritt nach dem anderen setzen, weil Sie nie wissen, ob Überfälle und Attacken drohen.

Radio Vatikan: Im Gegensatz zu Somalia scheint es im angrenzenden Somaliland besser zu laufen. Das Land hat sich 1991 von Somalia abgewandt, international wird Somaliland jedoch nicht anerkannt. Warum funktioniert es dort besser? Kann Somalia eventuell von seinem Nachbarn lernen?

Bröckelmann-Simon: Somaliland hat es tatsächlich vermocht, 1991 anfangend, an seiner Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu arbeiten. Das hat vor allem damit zu tun, dass es dort eine relativ homogene Clanlandschaft gibt. Es ist im Wesentlichen ein großer Clan, der im Somaliland präsent ist. Daher war es einfacher, Verständigungen hinzubekommen. Die britische Kolonialzeit im Somalilland hat diese Clanstrukturen im Grunde nicht angefasst, dadurch auch intakt gehalten. Was in den anderen Teilen – insbesondere im italienischen Teil – nicht so passiert ist. Da ist viel mehr verändert und verschoben worden, nach dem Prinzip „teile und herrsche“. Es gab also ein Fundament auf dem man leichter eine Art Nationalbewusstsein aufbauen konnte und gerade aufgrund der besonderen Clanstruktur, hat Al-Shabaab dort nie wirklich Fuß fassen können. Wenn man in Hargeisa –  der Hauptstadt – ankommt, ist es wirklich beeindruckend, dass es ein funktionierendes Staatsgebilde ist.

Radio Vatikan: Wie sehen Sie die Perspektiven für Somalia?

Bröckelmann-Simon: Schwierig war es und schwierig wird es bleiben. So sieht es auch der für Somalia zuständige Apostolische Administrator von Mogadischu, Bischof Giorgio Bertin, der in Djibouti lebt und von dort aus auch immer wieder nach Somalia reist. Er sagt, so naiv es klingen mag, es kann nur gelingen, wenn sich international eine Verständigung ergibt, dass man Somalia als eine einheitliche Nation auch den eigenen Weg gehen lässt. Und wenn sich innerhalb Somalias, zwischen den verschiedenen Clans eine gemeinsame Erkenntnis herausstellt, dass in der Einheit auch die Zukunft des Landes liegt.

Dass das gelingen kann zeigen auch kleine Ansätze in Südwest-Somalia, wo es in einer von Al-Shabaab sehr kontrollierten Region gelungen ist, lokale Verantwortung und lokale Gemeindestrukturen aufzubauen, die für ein funktionierendes Schulwesen und ein funktionierendes Gesundheitswesen – also Basisleistungen – sorgen kann. Man merkt: Von unten her ist tatsächlich Friedensbildung möglich, wenn die Rahmenbedingungen von außen so gestaltet werden, dass man Somalia seinen eigenen Weg gehen lässt. Aber ich verhehle nicht, dass ich eine gewisse Skepsis habe, weil die weltpolitische Lage sehr verfahren und kompliziert ist und es nicht danach aussieht, dass sich die wichtigen Akteure auf eine gemeinsame Linie verständigen können. 

Die Fragen stellte Marietta Trendl.

(vatican news - mt) 

 

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03. Februar 2020, 15:46