°Õü°ù°ì±ð¾±: Christen zwischen den Fronten
Ein Korrespondentenbericht von Marion Sendker
Mit Erde und Olivenzweigen versuchen die Bewohner des Dorfes Arkah im Südosten der Türkei die Flammen auf Abstand zu ihren Häusern zu halten. Viele von ihnen sind Jugendliche. Auch in anderen Dörfern kämpfen die Anwohner gegen das Feuer. Manche von ihnen kommen aus Deutschland und verbringen mit ihren Familien den Sommer in den Dörfern, wo einst ihre Eltern und Großeltern groß wurden, bevor sie vor Verfolgung durch den Staat nach Europa geflohen sind. Es sind vor allem syrisch orthodoxe Christen, Aramäer, die sich in Deutschland zum Teil Assyrer nennen, die in diesen Tagen gegen das Feuer kämpfen.
Schon seit mehr als einer Woche wüten die Flammen in dem Tur Abdin genannten Gebiet nahe der syrischen Grenze. Hier befinden sich die ältesten Klöster und Kirchenschätze der Welt. Ein Friedhof sei bereits vom Feuer verwüstet worden, berichten Anwohner. Behördenangaben zufolge sind außerdem mittlerweile mindestens 200 Hektar Ackerland und dutzende Nutztiere Opfer der Flammen geworden. Wo vor zwei Wochen noch Wein, Oliven oder Getreide angebaut wurden und Schafe grasten, ist jetzt nichts mehr als verkohlte Erde übrig. Beißender Rauch liegt in der Luft und lässt die Anwohner nachts kaum schlafen.
Wer ist für die Brände verantwortlich: Militär oder Terroristen?
Waldbrände sind in der Region im Sommer zwar nicht ungewöhnlich. Doch in diesem Jahr überzieht gleich eine ganze Serie von Feuern die Region, in der vor allem Aramäer, Assyrer, Kurden, Türken und Araber leben. Als vor einer Woche die Gärten des Klosters Zafaran nahe der historischen Stadt Mardin und ein Waldgebiet an der syrischen Grenze in Flammen standen, konnten Anwohner und die Feuerwehren aus der Umgebung die Brände innerhalb mehrerer Tage gemeinsam unter Kontrolle bringen. Doch mittlerweile habe sich die Feuerwehr verzogen, beschweren sich Anwohner. „Die Feuerwehr der einen Stadt sagt, dass sie nicht zuständig ist und die der anderen meint, sie kommt erst, wenn das Militär es erlaubt“, erzählt ein Anwohner, der lieber nicht namentlich genannt werden möchte. Die Zurückhaltung der städtischen Feuerwehren habe einen triftigen Grund: „Sie finden die Löscharbeiten zu gefährlich.“ Dabei gehe die Bedrohung weniger vom Feuer aus, als von türkischen Soldaten, die in den zum Teil brennenden Waldgebieten gegen kurdische Milizen kämpft, heißt es in einer inoffiziellen Stellungnahme an die Bevölkerung.
Seit einigen Tagen würde wieder geschossen, und zwar nonstop, weiß ein anderer Anwohner. Türkische Medien berichten derweil von einer „Operation“ gegen Kämpfer der als Terrororganisation verbotenen kurdischen PKK. Dabei „neutralisierte“ die türkische Armee nach eigenen Angaben in der türkisch-syrischen Grenzregion gleich mehrere PKK-Kämpfer. Die Brände könnten eine Folge der Kämpfe sein, überlegt ein Aramäer aus einem der bedrohten Dörfer. Überall liege Munition und Schießpulver herum, das sich entzündet haben könnte. Die meisten Bewohner gehen aber davon aus, dass die Feuer vorsätzlich gelegt wurden. Nur die Ansichten, wer der Brandstifter sein könnte, gehen weit auseinander: Manche kurdische Medien bezichtigen die Soldaten, einige Christen haben die militanten Kurden selbst im Verdacht. „Einer von beiden hat die Feuer gelegt, weil sie sich in der Falle fühlten und es der anderen Seite schwerer machen wollten.“ Die überwiegend christlichen Dorfbewohner geraten damit zwischen die Fronten eines schier nicht enden wollenden Krieges zwischen dem türkischen Staat und kurdischen Milizen.
Kirchenneubau hier – Bedrohung durch Flammen dort
Während die Bewohner des Tur Abdin verzweifelt um ihre Dörfer und Klöster kämpfen, legte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan am Samstag den Grundstein für die erste Kirche in Istanbul seit der Staatsgründung 1923. Erdogan, selbst praktizierender Muslim, fühlt sich Gläubigen näher als Atheisten und Agnostikern. Auch deswegen dürfte ihm der Termin im Istanbuler Stadtteil Yesilköy wichtig gewesen sein. Dort nannte Erdogan den Neubau der syrisch-orthodoxen Kirche eine „Bereicherung für das ganze Land“. Dann ließ der Staatschef sich ablichten mit den Kirchenführern - zum Missfallen so mancher Christen: „Die Geistlichen stehen da neben Erdogan wie Maskottchen, billig und lächerlich ist das“, sagt zum Beispiel ein deutscher Aramäer, der im Tur Abdin ein Haus besitzt. So sehr ihn die Anbiederungen in Istanbul verstören, so kann er das fröhliche „Shake Hands“ auch verstehen. Denn gut sei es im türkischen Staat es um den bestellt, der sich gut mit dem Staatschef stellt. Und das sei wichtig für die Christen, die langsam wieder zurückkehren wollen in ihre alte Heimat im Südosten der Türkei.
Brandstiftung als Warnung für rückkehrwillige Aramäer?
Um dort wieder Fuß zu fassen haben sie viel Geld – die Rede ist von bis zu 25 Millionen Euro – in die Gegend gesteckt; Häuser gebaut, Kirchen renoviert und vor Gericht um Grundstücke gestritten. Denn vor Jahren konfiszierte Ankara viele der Felder, Klöster und Kirchen. Kostspielige Prozesse schlossen sich an. Einige Ländereien und Bauwerke musste der Staat schließlich auf internationalen Druck zurückgeben. Die Regierung Erdogan unterstütze die Rückkehrer zum Teil, gab ihnen Rechte und setzte Gelder für Renovierungen frei. Dass dahinter aber mehr Taktik als echte Überzeugung stehen könnte, darauf deutet die Zurückhaltung des Staates bei den Waldbränden im Südosten aktuell hin. Die vom Feuer zerstörten Gebiete der Aramäer – in den Augen des der Behörden offenbar nicht mehr als ein Kollateralschaden im für Erdogan so wichtigen Kampf gegen die PKK.
Dass die Erde im Südosten brennt und der Staat sich nicht mehr rein traut, verstehen die Menschen vor Ort zugleich als Warnung: „Wir sind hier nicht willkommen“, heißt die Botschaft, die sie in den Flammen lesen. „Die Feuer sollen rückkehrwillige Christen abschrecken“, befürchtet ein Anwohner. Neu sei das nicht für ihn, aber es nähre die Angst, wieder vertrieben zu werden – eine Angst, die sich tief ins kollektive Gedächtnis der syrisch-orthodoxen Christen in der Türkei festgebissen hat. Aufgeben wollen die Menschen trotzdem nicht. Zu viel haben sie schon in ihre alte Heimat investiert. Solange also noch Olivenzweige vom Feuer verschont bleiben, werden sie damit weiter gegen die Flammen kämpfen.
(vatican news - ms)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.