Eritrea: Der Frieden und die Frauen, die das Land voranbringen
Christine Seuss - Vatikanstadt
„Der Frieden kam für die Menschen in Eritrea wirklich überraschend und ist mit großer Freude und auch Hoffnung begrüßt worden“, meint Bröckelmann-Simon kurz nach seiner Reise im Gespräch mit Pope.
„Diese Hoffnung hält nach wie vor an. Ich habe das überall gespürt, auch in vielen Gesprächen, dass dadurch tatsächlich auch die Hoffnung auf einen weitergehenden Wandel eingeleitet wurde. Dieses Land braucht diesen Frieden dringend und immer wieder wurde mir auch gesagt, den Menschen sei damit eine große Last von der Seele und auch der Lebenswirklichkeit genommen worden, dadurch dass jetzt mit dem Erzfeind Äthiopien Frieden geschlossen wurde, die Grenzen geöffnet worden sind und dass man auch Familienangehörige wechselseitig besuchen und sich wiedersehen kann.“
[ Ein Land, das an einem kollektiven Trauma leidet ]
Seit Beginn der eritreischen Befreiungskriege 1961 war das Land „eigentlich dauerhaft im Kriegszustand“, betont Bröckelmann-Simon. Umso spürbarer seien nun die Veränderungen im täglichen Leben, die Preise seien mittlerweile gesunken und das Warenangebot reichhaltiger als noch kurz zuvor, betont der Experte, der das Land bereits vor drei Jahren bereist hatte. Doch er habe auch Sorge darüber wahrgenommen, dass - selbst wenn sich „die Alltagssituation für viele Menschen zum Positiven“ verändert habe -, „das jetzt schon alles gewesen sein könnte“:
„Dem Frieden nach außen muss in diesem Land dringend auch der Frieden nach innen folgen, denn es ist doch ein Land, das kollektiv traumatisiert ist durch die Gewalterfahrungen und auch durch den Mangel an Freiheit in den letzten Jahren und Jahrzehnten. Das bedeutet, dass sich das Thema Gewalt sehr tief in diese Gesellschaft hineingefressen hat und sich auch Misstrauen und Zweifel und Skepsis gegenüber den anderen, den Nachbarn, den Nächsten, also bis in die sozialen Beziehungen hinein festgesetzt hat. Das muss man aufarbeiten, weil man sich ja möglicherweise auch wechselseitig Gewalt angetan hat.“
Hier sieht der Misereor-Experte eine wichtige Aufgabe für die Kirche im Land, „denn das ist ja auch etwas, was gerade den Religionen besonders am Herzen liegt, nämlich das Thema Frieden und Versöhnung,“ meint Bröckelmann-Simon. In vier Eparchien, also kirchliche Verwaltungseinheiten, ist die katholische Kirche im Land aufgeteilt, die Eparchen melden sich immer wieder mit Sorge über die politische und soziale Situation und die Gründe für Flüchtlingsbewegungen aus Eritrea zu Wort – eine Gratwanderung in einem Land, das der „Spiegel“ noch im vergangenen Sommer als „eine Art Nordkorea auf dem afrikanischen Kontinent“ bezeichnet hatte.
„Mittlerweile lebt die Hälfte der Bevölkerung Eritreas außerhalb des Landes, und das hat etwas mit dem Mangel an Perspektiven zu tun und den Zwangsmaßnahmen, der Militarisierung und der Gewaltdurchtränkung dieser Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten“, analysiert der Fachmann für internationale Zusammenarbeit. „Aber wenn sich da etwas zum Positiven verändert, kann man natürlich hoffen, dass der Druck auf junge Menschen abnimmt, ihre Heimat zu verlassen. Das macht ja niemand freiwillig, das ist immer ein Ausdruck großer Not und von negativen Kräften angetrieben.“
Einen großen Lichtblick stelle in diesem Zusammenhang natürlich die Öffnung der Grenzen in Richtung Äthiopien dar, betont Bröckelmann-Simon. Zwar habe die Grenzöffnung tatsächlich kurzfristig dazu geführt, dass noch mehr Menschen das Land verlassen hätten, „die Hoffnung ist allerdings, dass sich das vielleicht zu einem Normalzustand einpendelt.“ Ein Land mit offenen Grenzen in alle Richtungen also, nach dem Beispiel der Freizügigkeit Europas, „zumal es sich ja auch kulturell und ethnisch in vielerlei Hinsicht um eine einzige Nation handelt,“ erläutert der Misereor-Vertreter. „Und vielleicht ist das ja auch ein Blick in die Zukunft, der auch dort aufzeigt, es könnte ein Weg sein, den Druck zu vermindern, der junge Menschen dazu treibt, das Land zu verlassen.“
Doch entscheidend sei vor allem, ob die Menschen in ihrem Heimatland für sich eine Zukunft erkennen könnten. Dazu trügen die Infrastruktur-Projekte von Misereor zwar mit bei:
„Trotzdem kann man natürlich nur in dem Umfang an den materiellen Verhältnissen etwas ändern, wie es der politische Rahmen zulässt. Und ich glaube, es hängt entscheidend davon ab, ob sich die eritreische Regierung bewegt. Und im Moment ist innenpolitisch keine Veränderung spürbar. Es gibt die außenpolitischen Veränderungen, die im positiven Sinn wirklich dramatisch sind, und es gibt in Eritrea auch ganz viel Information darüber, was sich in Äthiopien alles verändert.“
Zumindest auf diesem Weg gebe es also Informationen, bemerkt Bröckelmann-Simon, der darauf hinweist, dass sich in Sachen Informationspolitik noch nicht viel in dem abgeschotteten Land getan habe: „Die Menschen sagen immer wieder, dass sie keine Ahnung haben, was sie sich von ihrer Regierung zu erwarten haben und ich glaube, das ist auch der entscheidende Punkt. Also, man kann natürlich über Programme in ländlichen Regionen die Wasserversorgung und die Infrastruktur verbessern und den vor allem von Frauen geführten Haushalten zusätzliche Einkommensmöglichkeiten verschaffen - da gibt es wunderbare und engagiert geführte Projekte. Aber der entscheidende Punkt wird sicher sein, dass sich auch gesellschaftlich etwas bewegt und mehr Freiheit nach innen einzieht in dieses Land.“
Stark beeindruckt habe ihn, wie sehr die Frauen die Wirtschaft des kleinen Landes am Laufen hielten. Viele arbeitsfähige Männer nämlich sind ausgewandert. „Und das heißt, der Alltagsüberlebenskampf lastet auf den Schultern der Frauen. Das ist ein bemerkenswerter Eindruck, der zurückbleibt, wenn man sieht, mit welchem Einsatz Frauen am Erosionsschutz, am Bau von Ministaudämmen in den Flüssen und Regenrückhaltebecken und an der Verbesserung der landwirtschaftlichen Versorgung beteiligt sind und wie vielfältig sie hier auch gefordert sind. Ich habe in Eritrea ein Plakat gesehen, das zeigte eine Frau, die mit mindestens acht Armen alle möglichen Aufgaben gleichzeitig zu erfüllen hat: Das bringt es gut auf den Punkt. Es ist vor allem ein Land, das durch seine Frauen nach vorne gebracht wird oder in dem zumindest das Überleben durch die Frauen gesichert wird.“
Der offizielle Friedensschluss macht nun Hoffnung, dass dieser tägliche Überlebenskampf in Zukunft etwas leichter werden könne. Denn Äthiopien ist ein wirtschaftsstarkes Land in der Region und stark daran interessiert, den Nachbarn auch wirtschaftlich enger an sich zu binden; im Gespräch ist beispielsweise eine Staatenunion zwischen Eritrea, Äthiopien und Dschibuti mit offenen Grenzen, gemeinsamen diplomatischen Vertretungen und gemeinsamen Handel.
„Das sind natürlich Dinge, die viele Menschen in Eritrea eher sprachlos zurücklassen, weil das so weitreichend ist,“ kommentiert Bröckelmann-Simon. „Aber entscheidend finde ich, dass auch die Eritreerinnen und Eritreer eine Chance bekommen, offen miteinander im gesellschaftlichen Dialog darüber zu sprechen, was sie eigentlich wollen. Also, sie wollen vielleicht eben auch nicht nur ein Wurmfortsatz von Äthiopien sein und nur dafür genutzt werden, dass durch Eritrea hindurch die Straßen zu den Häfen Massaua und Assab laufen.“
Eritrea verfügt über Häfen, die dem großen Nachbarstadt fehlen, was zumindest bis zu einem gewissen Grad das ausnehmend große Interesse Äthiopiens an funktionierenden Beziehungen zu dem kleinen Meeranrainer erklärt. Doch neben der Gefahr, wirtschaftlich dominiert zu werden, muss Eritrea mit ganz anderen Problemen fertig werden, die dem immer rascher voranschreitenden Klimawandel geschuldet sind, betont Bröckelmann-Simon:
„Die Dürre kommt sehr massiv in immer kürzeren Abständen. Wir haben es jetzt im Zweijahresrhythmus mit immer verheerenderen Dürren zu tun gehabt. Das trifft die Menschen bis ins Mark, vor allem diejenigen, die in abgelegenen Regionen leben. Um die muss man sich kümmern, und dafür als Land die richtigen Antworten zu finden, das ist die Herausforderung, die die eritreische Regierung jetzt auch hoffentlich meistern wird.“
(vatican news)
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