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Nach der Wahl in Brasilien Nach der Wahl in Brasilien 

Brasilien: „Bolsonaro macht die Armen ärmer und die Reichen reicher“

Nach der Wahl in Brasilien werden sich die gesellschaftlichen und politischen Strukturen im Land grundlegend verändern. Der Adveniat-Länderreferent für Brasilien, Norbert Bolte, beobachtet das mit Sorge. Im Interview mit Vatikan News erzählt er, worauf man sich im Land jetzt einstellen muss.
Hier das Gespräch zum Nachhören

Christine Seuss – Vatikanstadt

Pope: Herr Bolte, in Brasilien hat Bolsonaro die Stichwahl zum Präsidenten gewonnen. Er ist eigentlich ein Hinterbänkler ohne nennenswerte politische Erfolge. Er hat im Wahlkampf mit aggressivem Auftreten und einem Liebäugeln mit der Militärdiktatur gepunktet. Außerdem ist er durch extrem widersprüchliche Aussagen aufgefallen. Worauf müssen wir uns in nächster Zeit in Brasilien einstellen?

„Er hat im Wahlkampf mit aggressivem Auftreten und einem Liebäugeln mit der Militärdiktatur gepunktet“

Norbert Bolte: Die bisherigen Aussagen des Wahlgewinners Bolsonaro lassen leider wenig Gutes hoffen. Es ist zu befürchten, dass er weiterhin an einem Gesellschaftsmodell arbeitet, das zum einen die Armen weiter arm macht, dass er Minderheiten verfolgt oder verfolgen lässt und, dass er eine Wirtschaftspolitik betreibt, die sehr stark neoliberal orientiert ist. Diese macht die Reichen reicher.

Außerdem rechnen wir damit, dass unsere Projektpaten im Bereich von Menschenrechten, die mit Indigenen und Menschen auf dem Land arbeiten, sehr starker Gegenwehr, vielleicht sogar starker Verfolgung ausgesetzt sein werden.

Pope: Sie waren bei den Wahlen vor Ort. Wie war die Stimmung, die sie dort wahrgenommen haben?

Norbert Bolte: An vielen Stellen in Brasilien wurden in den letzten Wochen und vor allem seit dem letzten Wahlgang Anfang Oktober vermehrt Übergriffe gemeldet. Diese sind dokumentiert. Darunter sind Übergriffe gegenüber der Opposition, gegen die Bolsonaro angetreten ist – nachdem er den ersten Wahlgang bereits deutlich gewonnen hatte. Diese Übergriffe sind gewalttätig gewesen. Hinzukommt ein Diskurs, der sehr stark von Gewalt geprägt ist, von Intoleranz und von Hass. Er schafft ein gesellschaftliches Klima von Unsicherheit auf der einen Seite, auf der anderen Seite fühlen sich diejenigen, die seine Anhänger sind oder sein wollen, verstärkt dazu motiviert, über Grenzen zu treten und in ihrer Reaktion auf Gewalt zu setzen. Das lässt schlimmes befürchten. Ich habe ein sehr stark von Hass, Intoleranz und Gewalt geprägtes Klima erlebt.

„Die Armen werden noch weniger haben“

Pope: Kann man davon ausgehen, dass es mit dem Schutz von Arbeitern, Minderheiten und Indigenen „begrab“ gehen wird?

Norbert Bolte: Wir rechnen sehr stark damit, dass das so passieren wird. Das, was er bisher im Bereich Wirtschafts- und Finanzpolitik verkündet hat, unterstützt das noch einmal. Ich möchte daran erinnern, dass er in seiner Zeit als Abgeordneter im Parlament mit dafür gestimmt hat, dass die Staatsausgaben – vor allem im Bereich Bildung, Erziehung und Gesundheit – gedeckelt werden. Es ist weiterhin damit zu rechnen, dass die Privatisierungen voranschreiten wird und, dass die sogenannte Flexibilisierung der Arbeit vorangetrieben wird. Er hat angekündigt, dass Steuerentlastungen für die Reichen geschaffen werden sollen.

Das alles spricht dafür, dass für die Ärmeren und sehr Armen am Ende noch weniger übrige bleibt, als bisher schon übrig ist.

Pope: Bolsonaro hat von Anfang an seine Nähe zu Evangelikalen kundgetan. Das hat während des Wahlkampfes eine Rolle gespielt. Für die katholischen Bischöfe hat er hingen Verachtung durchscheinen lassen. Gleichzeitig habe sich die Bischöfe erst relativ spät deutlich gegen Bolsonaro positioniert – allerdings auch ohne ihn beim Namen zu nennen. Woran liegt das?

Norbert Bolte: Gerade jetzt nach dem ersten Wahlgang und während der Vorbereitung für den zweiten Wahlgang hatte die Bischofskonferenz in Brasilien seine Machenschaften als einen „faulen oder verdorbenen“ Teil der Kirche bezeichnet. Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass sich die Bischofskonferenz deutlicher und früher in Sachen Demokratie und Bedrohung der Demokratie durch diese Kandidatur geäußert hätte. Allerdings verstehe ich auch in gewissem Rahmen, wenn sich die Kirche als Institution parteilich nicht festlegen kann. Dennoch hat sie sich gerade in den letzten Wochen mehrfach und sehr deutlich auf die Einhaltung der Grundsätze der Demokratie der Verfassung besonnen und hat diese auch in der Öffentlichkeit gefordert – ohne jedoch, wie gesagt, konkret die Kandidaten beim Namen zu nennen.

„Es gibt Teile in der Kirche, die mit autoritären Strukturen liebäugeln“

Wer allerdings lesen und hören kann, hat schon eindeutig herausgehört, worum es der katholischen Kirche geht. Allerdings muss man auch gleichzeitig sagen: es gibt auch in der katholischen Kirche durchaus einen Spiegel dessen, was gesamtgesellschaftlich gesagt ist. Es gibt auch Teile innerhalb der der katholischen Kirche, oder Teile die sich zur katholischen Kirche bekennen, die eindeutig mit autoritären Strukturen oder mit Befürwortern einer Militärdiktatur oder eines autoritären Regimes liebäugeln und dies auch zugunsten von Bolsonaro im Wahlkampf deutlich gemacht haben.

Pope: Analysten sind sich einige, dass der Korruptionsskandal, in den die brasilianische Politik derzeit verwickelt ist, zu einem großen Aufschwung zu diesem relativ unbeleckten Bolsonaro geführt hatte. In wieweit wurde das durch die Medien gesteuert? Was versprechen sich die Fädenzieher von Bolsanaro auf dem Präsidentensitz?

Norbert Bolte: Das Thema Korruption hat eine ganz große Rolle gespielt. Allerdings bezweifle ich, dass Bolsonaro der Kandidat ist, dem Einheit gebieten wird. Er selbst hat zuletzt als Angeordneter dafür gestimmt, dass der augenblickliche Präsident Brasiliens nicht einmal in Hinblick auf Korruptionsvorwürfe untersucht wird. Ihm ist es aber sehr geschickt gelungen, das Thema der Korruption gegen seine Gegner einzusetzen. Das ist speziell der Gegenkandidat der Arbeiterpartei gewesen. Dieses stand in der Tat in den letzten Jahren vermehrt im Mittelpunkt. Gegen sie wurde ermittelt. Es wurden Mitglieder der Partei und auch der ehemalige Staatspräsident Lula verurteilt. Er sitzt sogar im Gefängnis.

„Alle Parteien sind in die Korruption verwickelt“

Man muss allerdings im Kontext der Wahlen auch sicherstellen, dass eine Wahrnehmungsverschiebung stattgefunden hat. Es wäre falsch, zusagen, dass die Arbeiterpartei diejenige wäre, die an der Korruption Schuld trage. Diese Einstellung ist in Brasilien systemisch verbreitet. Sie ist angelegt, seitdem die ersten Europäer in Brasilien gelandet sind und versucht haben, das Land aufzubauen.

Es sind alle Parteien in die Korruption verwickelt, allerdings haben immer wieder auch die Medien eine unrühmliche Rolle gespielt. Sie haben zusammen mit bestimmten gesellschaftlichen Gruppen dafür gesorgt, dass die PT medial fokussiert wird – als diejenige, die als Schuldträgerin dieser Korruption immer wieder angeprangert wird. Wenn man sich allerdings die konkreten Zahlen der Verurteilten anschaut, muss man sagen, dass es quer durch alle Parteien geht. Das ist systematisch. Im Kontext der Korruption kommt noch etwas Anderes hinzu. Nicht untersucht werden können aufgrund von Verjährung zurückliegende Korruptionsfälle.

„Korruption war ein wichtiges Element im Wahlkampf“

Es bedarf immer eines bestimmten Klimas in der Gesellschaft oder eines bestimmten Willens, dass Korruption verfolgt wird. Sie wurde seit etwa zehn bis zwölf Jahren stärker und systematischer verfolgt. Aufgrund der Tatsache, dass weiter zurückliegende Fälle strafrechtlich nicht mehr relevant sind, wird die Korruption in Brasilien mit der Amtszeit der Arbeiterpartei in Verbindung gebracht. Diese Korruption war ein wichtiges Element im Wahlkampf. Hinzu kommt eine starke wirtschaftliche Krise, die seit einigen Jahren in Brasilien herrscht und bis hin zu Massenarbeitslosigkeit, zu Frustration geführt hat. Dies ist eine ungesunde Mischung. Das kennen wir auch aus anderen Ländern und Regionen der Welt. Die Einwohner dieser Länder neigen häufig dazu, extreme Kandidaten zu wählen.

Pope: Da bleibt nur zu beobachten, was von seinem bunten Wahlprogramm umgesetzt wird und wie die Bevölkerung darauf reagiert.

„Wir haben es hier nicht mehr mit einem rechtradikalen, sondern mit einem rechtsextremen Positionsbündnis zu tun“

Norbert Bolte: Wir sind sehr besorgt. Bei seinem letzten großen „Auftritt“ am Sonntag in Sao Paolo – als er sich per Handy zuschalten lassen hat – das ist übrigens ein Teil seiner Mythosbildung, dass er in den letzten Wochen gar nicht mehr aktiv im Wahlkampf zu sehen war, sondern sich immer nur zugeschaltet hat – hat er sehr deutlich warnende Worte an die Opposition gesprochen. Er hat auch von Säuberungskampagnen gesprochen. Er sagt: „Entweder werdet ihr inhaftiert, ihr geht in Haft, oder ihr geht’s ins Ausland.“ Das sind sehr deutliche Worte, die uns veranlassen, auch anderen zu folgen, die sagen, wir haben es hier nicht mehr mit einem rechtradikalen, sondern mit einem rechtsextremen Positionsbündnis zu tun, das Bolsonaro hier präsentiert. Wir machen uns sehr große Sorgen darüber, in welche Richtung das Land gehen wird.

Pope: Das klingt sehr besorgniserregend. Soweit ich weiß, hat er sich bei der Ansprache nicht nur an die politischen Gegner gewandt. Was wissen Sie darüber?

„Diejenigen, die sich für die Menschenrechte der Indigenen aufsetzen, sind von ihm verunglimpft diffamiert worden“

Norbert Bolte: Im Kontext der Säuberungen hat er ganz klar NGOs genannt, zu denen auch kirchliche gehören. Der indigene Missionsrat „Cimi“ ist in Brasilien sehr aktiv. Auch der ist zusammen mit der Bischofskonferenz als der „faule, verdorbene“ Teil der Kirche betrachtet worden. Diejenigen, die sich für die Menschenrechte der Indigenen aufsetzen, sind von ihm verunglimpft diffamiert worden. Sie sind zumindest politische Zielscheibe seiner Aggression. Es ist auch damit zu rechnen, dass die Rechtsgrundlage für die indigene Bevölkerung in Brasilien weiter aufgelockert wird. Diese ist ohnehin nicht gut. Die politischen Entscheidungen werden zuungunsten der Indigenen ausgehen. Ihnen wird weniger Land zugesprochen werden. Außerdem werden ihnen bestimmt Rechte abgesprochen, die sie bisher noch hatten. Wir können klare Leitlinien in seiner bisherigen Agenda erkennen.

(vatican news)

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02. November 2018, 10:25