Mali: Ein deutscher Militärpfarrer erzählt
Obwohl die malische Bevölkerung nach Schrages Beobachtung „sehr friedliebend“ ist, kommt es immer wieder zu terroristischen Anschlägen durch Dschihadisten und verschiedene Milizen. Außerdem kämpfen zwei ethnische Gruppen, die sesshaften Dogon, meist Bauern, und die nomadischen Fulani-Hirten um das wenige fruchtbare Ackerland am Niger-Delta.
Im Interview mit Pope erzählt Marco Schrage, wie die Soldaten mit der schwierigen Situation umgehen und wie wichtig gerade auch religiöser Beistand ist.
Pope: Sie sind drei Monate auf Einsatz als Militärpfarrer in Mali, genauer in Koulikoro im Süden des Landes, dort sind deutsche Bundeswehrsoldaten stationiert im Rahmen einer Ausbildungsmission für Soldaten aus Mali. Wie sieht Ihre Aufgabe dort aus?
Schrage: „Als Seelsorger bin ich natürlich erst einmal für die deutschen Soldaten im Kontingent der europäischen Trainingsmission zuständig. Das sind ungefähr 130 in Koulikoro und 10 in Bamako. Eine klassische Vorstellung von Militärseelsorgern ist, dass der Seelsorger dann auf den Plan tritt, wenn es lichterloh brennt. Das betrifft aber nur einen ganz kleinen Teil der Soldaten, vielleicht ein oder zwei Prozent. Seelsorge sollte aber aus meiner Perspektive da ansetzen, wo Mediziner von Resilienz sprechen. Ich will bei der theologischen Sicht bleiben, dass es um einen in sich gefestigten Menschen mit einer Gottesbeziehung geht. Das bedeutet, dass der Seelsorger eine „Bringschuld“ hat. Ich muss zu den Leuten hingehen, sie müssen mich kennenlernen und ich sie. Genau das tue ich."
Pope: Wie kann man sich dieses Zugehen auf die Soldaten vorstellen, die in ihrem Arbeitsalltag ja immer wieder mit besonderen Belastungen konfrontiert sind?
Schrage: „Ich versuche, ganz systematisch durch alle Gruppen zu gehen und mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Es gibt viele, die ich nie oder selten sehe. Deshalb ist es so wichtig, durch das Kontingent zu gehen, die Leute einzuladen und mit ihnen zu sprechen. Zum Sonntagsgottesdienst kommen vielleicht zehn Prozent der Soldaten. Wenn man dann erschrickt und sagt: Das Angebot der Militärseelsorge wird nicht angenommen!, würde ich darauf antworten: Militärseelsorge ist wahnsinnig wichtig. Sie richtet sich nicht vorrangig an Leute, die in der Kirche sind, sondern an Leute, die in unserem Staat leben. In unserem Staat leben ungefähr ein Viertel Katholiken, ein Viertel Protestanten, und die Hälfte gehört keiner Kirche an. Daher sind zehn Prozent richtig gut."
Pope: Sie selbst sind zum ersten Mal in Mali. Wie sieht es da aus, wie leben die Menschen, mit denen Sie in Kontakt kommen?
Schrage: „Das ist sehr unterschiedlich. Hier im Koulikoro Training Center (KTC) würde ein europäisches Auge natürlich von einfachen Bedingungen sprechen, allerdings ist es für malische Verhältnisse sehr gepflegt. Im KTC gibt es auch die malische Offizierschule und die Generalstabschule, und die Schüler leben aus meiner Perspektive unter guten Bedingungen. Ansonsten habe ich auf Fahrten durch Mali den Eindruck eines armen Landes gewonnen - in dem es aber keinen Hunger gibt."
Pope: Mali ist auch ein konfliktreiches Land. Ziel der europäischen Trainingsmission ist es unter anderem, die Stabilität Malis zu erhöhen, aber in den vergangenen fünf Jahren hat sich das Land nicht wirklich stabilisiert. Wie nehmen Sie die Stimmung in der malischen Bevölkerung wahr?
Schrage: „Man muss differenzieren: Mali ist tatsächlich ein konfliktreiches Land, das hat aber vielfältige Hintergründe. Da sind gesellschaftliche Spannungen, bei denen ich an Kain und Abel denken muss, an den Bauern und den Hirten, denn auch hier gibt es ökonomische Spannungen zwischen Bauern und Hirten. Auf der anderen Seite gibt es Terrorismus. Natürlich gibt es zwischen beiden Querverbindungen, aber man muss unbedingt differenzieren.
Ein Punkt ist aus meiner Perspektive wahnsinnig wichtig, wenn, wie häufig, nüchtern oder resigniert über Mali gesprochen wird: Die malische Bevölkerung ist eine sehr friedliebende, homogene Bevölkerung, und störende Elemente werden sehr schnell ausgesondert. So habe ich die Malier wahrgenommen und in Gesprächen kennengelernt, und so haben die Soldaten es mir berichtet."
Pope: Dennoch ist die Lage offenbar nach wie vor so instabil, dass die Bundesregierung im April entschieden hat, die Bundeswehrbeteiligung an der Mission MINUSMA in Nord-Mali bis Mai 2019 zu verlängern. Wie sehr belastet die deutschen Soldaten dieses Nicht-Vorankommen des Landes, in dem sie eingesetzt sind?
Schrage: „Das ist nach meiner Erfahrung sehr stark nach Ebenen differenziert. Diejenigen, die in politischen Ebenen arbeiten und sehen, dass die fundamentalen Weichenstellungen auf der politischen Ebene zu treffen sind. Es taucht die Frage auf: Ist das, was die Europäische Union möchte, eigentlich wirklich das, was die malische Regierung möchte und andersherum? Da wird es in Zukunft sicher noch Gesprächsbedarf geben.
Zwei Ebenen weiter, bei den Soldaten, die auf der konzeptionellen Eben in Bamako arbeiten, werden deutlich die Punkte benannt, woran noch zu arbeiten ist. Sie sehen, wo die Europäische Union deutliche Forderungen an die malische Armee hat, die aber eine gewisse Zeit brauchen, um als notwendig erkannt zu werden.
Die dritte Ebene ist die ETTF, die Trainings- und Erziehungskomponente in Koulikoro, die ist sehr praktisch, und da wird auch eher praktisch gedacht und gesprochen. Soldaten sind ermutigt und zufrieden, wenn sie sehen, dass ein Kurs gut läuft und dass die Bemühungen, die die EU hier investiert, um malische Soldaten auszubilden, funktionieren. Man darf die individuelle Beziehungsdimension niemals ausblenden. Das ermutigt und stärkt. Wenn diese positiven Erfahrungen ausbleiben, kann das schon einmal zu einer Trockenphase führen."
Pope: In Mali fanden kürzlich Präsidentschaftswahlen statt, am 12. August kommt es zur Stichwahl, bei der der bisherige Präsident Ibrahim Boubacar Keita gegen seinen Herausforderer Soumaila Cissé antritt; allerdings wurden Vorwürfe von Wahlbetrug im ersten Wahlgang laut. Wie stark werden politische Vorgänge von den in Mali stationierten deutschen Soldaten diskutiert? Was ist ihre Hoffnung für das Land?
Schrage: „Ich persönlich bin sehr positiv beeindruckt, wie viel wir hier politisch diskutieren können. Auch da gilt es aber klar nach Ebenen zu differenzieren. In Bamako, bei Stabsoffizieren, gibt es eine ganz andere Perspektive, als es hier vor Ort der Fall ist. Wichtig ist aber, dass es spannend ist, mit Soldaten zu diskutieren und festzustellen, dass die politischen und gesellschaftlichen Dimensionen hier in Mali absolut getrennt zu sehen sind. Das heißt, die Gesellschaft ist eigentlich wirklich stabil. Das Problem sind die politischen Institutionen. Auch die Soldaten sehen, dass die Vertrauensbeziehung zwischen Maliern und ihren politischen Größen noch auszubauen ist.
Das fundamentale Problem, das die Malier und die Soldaten jeweils in ihrer eigenen Sprache durchaus erfasst haben, ist eine stark defizitäre Dimension hinsichtlich der Gemeinwohlorientierung der malischen Institutionen."
(vatican news – gs)
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