Missionsschwester: „Das Schönste ist, Kindern Liebe zu schenken"
Pope: Seit 2016 arbeiten Sie als Missionsschwester in Abidjan, der früheren Hauptstadt der Elfenbeinküste. Abidjan ist der Standort des Provinzialates der Westafrikanischen Provinz der Don Bosco Schwestern. Neben dem Provinzialat sind an diesem Standort eine Volks- und Berufsschule beheimatet, ein Oratorium und das Foyer Maria Domenica, ein Wohnheim für schutzbedürftige Mädchen, in dem Sie arbeiten. Warum kommen Mädchen ins Foyer und wie genau können wir uns Ihre Arbeit dort vorstellen?
Sr. Hanni Denifl: Die Mädchen kommen aus verschiedensten Gründen in das Heim. Viele Kinder sind vom Kinderhandel betroffen. Mädchen werden oft klein, mit fünf, sechs Jahren, von der Familie weggegeben, um in fremden Familien zu arbeiten, statt in die Schule zu gehen. Oft meinen die Eltern, dass die Kinder dort in die Schule gehen können und dann bessere Zukunftschancen haben. Aber oft ist es auch so, dass Verwandte wie zum Beispiel Tanten oder Onkel bewusst die Kinder mitnehmen, den Eltern versprechen, dass sie es besser haben werden, sie aber dann verkaufen. Wenn Kinder dann schlecht behandelt werden, laufen sie oft weg, landen auf der Straße und werden dann von jemandem zur Polizei gebracht, entweder zur Jugendpsychiatrie oder in ein Sozialzentrum. Von dort werden sie dann zu uns geschickt. Wir suchen dann immer die richtigen Eltern und schauen, ob wir die Kinder wieder in die Familie reintegrieren können. Wenn das nicht möglich ist, dann dürfen sie bei uns bleiben und ihre Ausbildung machen.
Pope: Gibt es noch weitere Gründe, warum Familien die kleinen Mädchen wegschicken?
Sr. Hanni Denifl: Ein anderer Grund ist, dass Mädchen als Hexen bezichtigt werden, davon haben wir gerade drei im Heim. Bei zwei von ihnen ist ein Unglück über die Familie gekommen: Der Vater hat die Familie verlassen und die Mutter konnte dann die Mädchen sehr schwer ernähren. Sie ist zu einem Pastor einer Sekte gegangen und dort wurde ihr gesagt: „Es ist ein böser Geist in den Mädchen, den man ihnen austreiben muss, sie sollen fasten.“ Dann haben die Kinder gefastet und sind dabei ganz abgemagert, bis die Nachbarn die Polizei verständigt haben und die Kinder dann zu uns gekommen sind.
Pope: Die Mädchen im Foyer sind ganz unterschiedlichen Alters, zwischen vier und 17 Jahren alt. Kommt es da nicht auch einmal zwischen den Mädchen zu Konflikten? Wie gehen Sie damit um?
Sr. Hanni Denifl: Kleine Streitereien gibt es ja wie in jeder Familie immer wieder, aber im Großen und Ganzen herrscht im Foyer wirklich ein ganz familiäres Klima. Die größeren Mädchen übernehmen Verantwortung für die kleineren und schauen auf sie, wenn sie neu ins Wohnheim kommen. Das letzte Kind, das wir aufgenommen haben, war vier Jahre alt: da kamen die Großen gleich und zeigen alles und nehmen die Kinder mit zum Spielen. Sie sind da wirklich sehr aufmerksam und helfen sich gegenseitig.
Pope: Sie betreuen zur Zeit 19 Mädchen. Wie schaffen Sie es, allen Mädchen die nötige Zuwendung zu schenken und Ihrer Mission, jungen Menschen „Begleitung, Bildung und Beheimatung“ zu bieten, gerecht zu werden?
Sr. Hanni Denifl: Wir sind insgesamt fünf Betreuerinnen. Es sind zwei Laien mit dabei, zwei Erzieherinnen, die unter der Woche helfen und dann sind wir drei Schwestern. Eine von uns ist Psychologin. Sie hört den Kindern immer wieder zu. Ich schaue am Wochenende immer, dass die Kinder für die neue Woche lernen, mache Lernbetreuung, am Vormittag gehen wir in die Messe. Die Hauptverantwortliche ist ständig da, 24 Stunden, und schläft auch bei den Kindern, wenn sie in der Nacht etwas brauchen, aber das ist ja auch unser Sinn und Zweck, wenn man sein Leben für die Jugend geben will.
Pope: Werden Sie bei Ihrer Arbeit denn auch von Institutionen vor Ort unterstützt, oder sind Sie ganz auf sich gestellt?
Sr. Hanni Denifl: Wir bekommen keine finanzielle Unterstützung. Aber es gibt einige Heime, die sich zu einem Netz zusammengeschlossen haben. Da tauschen wir uns über verschiedene Probleme aus oder darüber, was die Jugendlichen brauchen, welche Ideen man noch umsetzen könnte…Zum Beispiel, dass man in der Nacht an gewissen Plätzen Streifzüge macht, von denen man weiß, dass es dort Kinderprostitution oder Drogenverkauf gibt. Da sind dann mehr die Salesianer eingebunden, weil die sich um die Buben kümmern. Wir Schwestern würden gerne in diese Richtung noch mehr tun.
Pope: Was ist denn für Sie aktuell die größte Herausforderung, wo liegen denn die aktuellen Probleme?
Sr. Hanni Denifl: Es bräuchte insgesamt mehr Aufklärung in der Bevölkerung. Wenn zum Beispiel ein Kind als Hexe bezeichnet wird, müsste viel Familienarbeit geleistet werden. Das ist eine Herausforderung für uns, denn dafür braucht es die richtige Ausbildung. Ich habe zum Beispiel eine Ausbildung zur Sondererzieherin gemacht, aber man bräuchte viel mehr Zeit. Man müsste viel mehr mit Laienmitarbeitern arbeiten, die wirklich nur für die Kinder da sind. Ich zum Beispiel kann immer nur ein paar Stunden mit ihnen arbeiten, weil ich auch viele administrative Aufgaben habe. Man bräuchte mehr Zeit, um Strukturen aufzubauen. Das wäre auch ein Wunsch von mir, dass ein Team entstehen könnte, das vor Ort, also nicht nur im Heim, sondern auch außerhalb, etwas tun kann.
Pope: Wie ist es für Sie, auf Heimatbesuch zu sein und ein paar Wochen in einer „ganz anderen, materiell gut versorgten Welt“ zu verbringen? Haben Sie mit dem berühmten „Kulturschock“ zu kämpfen?
Sr. Hanni Denifl: Also das spüre ich nicht so. Ich freue mich immer wieder, wenn ich heim komme, und natürlich ist das eine andere Welt. Aber ich freue mich dann immer auf eine warme Dusche, und darüber, in einer sauberen Umgebung spazieren gehen zu können. Natürlich frage ich mich dann: Warum ist das unten nicht möglich? Aber einen Kulturschock habe ich nicht. Ich bin ja hier aufgewachsen. Ich kann mich da eigentlich immer direkt wieder eingliedern. Ich sehe dann allerdings schon, was man unten in Afrika noch alles tun müsste. Es ist manchmal ein Schock zu sehen, dass dort zum Beispiel die Müllabfuhr nicht funktioniert. Man könnte es so schön haben und es liegt an den Autoritäten, die nichts für das Volk tun und sich das Geld einfach in die Tasche stecken und dem Volk einfach keinen guten Lebensstandard gönnen wollen.
Pope: Wie wirkt sich das auf die Kinder aus?
Sr. Hanni Denifl: In dem Armenviertel, in dem wir leben, leben die Kinder wirklich im Müll und wenn es regnet im Schlamm. So übertragen sich schnell Krankheiten. Auch das ganze Sozialsystem funktioniert nicht, wenn zum Beispiel die Eltern sterben und dem Kind geholfen werden muss – da gibt es keine entsprechenden Strukturen. Dass das heutzutage, im 21. Jahrhundert, noch möglich ist, schockt mich schon. Dass es in Afrika, wo ja alles auch schon sehr globalisiert ist, es immer noch Plätze gibt, an denen solche Armut herrscht.
Pope: Allen Unanehmlichkeiten zum Trotz: Worauf freuen Sie sich denn am meisten, wenn es Ende Mai wieder zurück geht für Sie?
Sr. Hanni Denifl: Am meisten freue ich mich, die Kinder wieder zu sehen. Gerade die Beziehungen in einer so kleinen Gruppe sind immer so schön. Die Kinder sind so herzlich, sie freuen sich so sehr. Wenn man weiß, die Kinder haben niemanden, der sie so gern hat, und ihnen dann ein bisschen Liebe schenken kann, und sie einem das auch zurückgeben, weil sie spüren, dass man sie wirklich mag und sie dann sehr anhänglich sind. Das ist das Schöne. Das Schöne in unserem Heim ist wirklich, dass es ganz familiär ist und ganz herzlich zugeht.
Pope: Vielen Dank für das Interview!
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