Vatikan-Pavillon bei der Biennale: Einblicke, die das Weltbild verändern
Franziskus will am Sonntagmorgen die auf Giudecca inhaftierten etwa 80 Frauen persönlich begrüßen. Die Anregung zu den Inhalten des vatikanischen Kunstpavillons, also der Austausch mit den Frauen, die in Venedig Haftstrafen verbüßen, stammte letztlich vom Papst selbst, sagte uns Kardinal José Tolentino de Mendonça, Präfekt des Dikasteriums für die Kultur und die Bildung. „Als wir daran gingen, gemäß der Leitidee von Papst Franziskus den Pavillon des Heiligen Stuhls auf der Biennale von Venedig in einem Gefängnis zu errichten, war das ein Projekt, das abstrakt begann. Doch nach Monaten der Arbeit, in denen der Mensch im Mittelpunkt stand, wurde dies mit Hilfe der Kunst wirklich erreicht.“
Die Ausstellung beginnt außen, an der Fassade der Kirche Santa Maddalena und dem Werk, das sie bedeckt - von Maurizio Cattelan, einem der bekanntesten lebenden Künstler Italiens. Es sind nackte, schmutzige Füße, die an Caravaggio und Mantegna erinnern, aber auch an die Kindheit Cattelans, der in bescheidenen Verhältnissen aufwuchs. Im Inneren des Gefängnisses hat Claire Tabouret Fotos überarbeitet, die das Wertvollste zeigen, das die inhaftierten Frauen haben – ein Bild beispielsweise mit einem kleinen Mädchen, das seine ersten Schritte tut. In der entweihten Kapelle hat die brasilianische Künstlerin Sonia Gomes Kleidungsstücke der Insassinnen in farbenfrohen Webarbeiten montiert, und in der Cafeteria sind Werke von Corita Kent zu sehen, einer amerikanischen Künstlerin, die wegen ihrer Vergangenheit als Ordensfrau verschiedentlich als „Pop-Art-Nonne" bezeichnet wird.
Im Innenhof, wo die Häftlinge ihre Zeit an der frischen Luft verbringen, stehen die Worte „Wir sind bei euch in der Nacht", eine Erinnerung daran, dass die Welt da draußen die Menschen hinter den Gittern – so die Hoffnung - nicht vergisst. Ein Kurzfilm zeigt zwölf Minuten Schwarz-Weiß-Erzählung mit den Gefangenen als Protagonistinnen, ihre Gesichter ausdruckslos, tätowiert, geprägt von Resignation. Und doch – ein Werk der Beziehung. „Von den Dreharbeiten kehrten wir immer mit vielen Armbändern nach Hause zurück, die uns die gefangenen Frauen geschenkt haben, und mit vielen aufgeschriebenen Gedanken", erzählt der Regisseur Marco Perego gegenüber Radio Vatikan.
„Die Künstler kamen mit leeren Händen und sammelten Lebensgeschichten, Bilder, Schmerzensschreie, leere Räume, Wünsche, die in diesen Herzen entstehen, die mit Hilfe der Kunst zu einem großen Gleichnis wurden“, erklärt Kardinal Tolentino. „Das Schönste an diesem Pavillon ist, dass diese inhaftierten Frauen mit ihren Geschichten zu einem Gleichnis wurden, das alle Existenzen erzählt. Die Worte, die ihr Leiden ausdrücken, drücken auch unser Leide aus.“ Das besondere Anliegen der Kunst im Vatikanpavillon besteht aus Sicht von Kardinal Tolentino darin, „neue Worte, neue Weltanschauungen zu finden, die der Menschlichkeit gerecht werden können“. Weg von der Wegwerfkultur also, um einen Begriff von Franziskus zu nutzen, und hin zu Wegen der Geschwisterlichkeit.
Kunst und Gefängnis? Eine seltene Kombination
Die Biennale zieht alle zwei Jahre Hunderttausende kulturinteressierte Gäste in die Lagunenstadt. Und auch wenn der internationale Kunstbetrieb immer wieder mit Vorliebe alte, nicht mehr genutzte Gefängnisse als auratische Ausstellungsorte nutzt: Kaum ein Biennale-Gast würde sich von sich aus für die harte soziale Realität in einer aktiven Haftanstalt interessieren. Kunst und Gefängnis sind zwei schwer vereinbare Realitäten, wenn Gefängnis nicht als Rahmen noch als Sujet oder als Metapher herhält, sondern als Wirklichkeit. Die beiden Kuratoren Bruno Racine und Chiara Parisi haben einiges dafür getan, die Realität der gefangenen Frauen, die übrigens auch als Führerinnen im Vatikan-Pavillon auftreten werden, einem Publikum begreifbar zu machen, das noch nie in einer Haftanstalt war.
„Con i miei occhi”, „Mit meinen Augen”, heißt der Pavillon, und aufgrund seines Standortes braucht ein Besuch dort einiges an Vorbereitung. Wer sich einfach am Eingang präsentiert (Fondamenta della Convertite 713, Giudecca), wird nicht hineinkommen. Interessenten melden sich , jeden Tag werden vier Gruppen von 25 Personen eingelassen, und zwar um 11 Uhr, um 12 Uhr, um 15 Uhr und um 16 Uhr. Der Vatikan-Pavillon ist täglich außer mittwochs geöffnet, geschlossen bleibt er am Sonntag, den 28. April, wegen des Besuchs von Papst Franziskus, der die gefangenen Frauen auf Giudecca morgens um Viertel nach acht trifft.
Persönliche Gegenstände und Mobiltelefone bleiben beim Eingang in einer Sicherheitsbox, denn es handelt sich um einen wirklichen Gefängnisbesuch. Aufseherinnen empfangen die Biennale-Gäste und bringen sie zu einer Gruppe von Häftlingen in schwarz-weißen Uniformen, die sie in den Werkstätten des Gefängnisses selbst entworfen und hergestellt haben. Die Frauen begleiten durch die Ausstellung. Mit ihnen ins Gespräch zu kommen, ist möglich und als Teil des Kunstprojekts sogar erwünscht, untersagt sind nur Fragen über die jeweiligen Haftgründe. Jeder einzelne Besuch im Vatikan-Pavillon der Biennale soll eine persönliche Begegnung ermöglichen und neue Perspektiven aufzeigen - dann wäre das edelste Ziel zeitgenössischer Kunst erreicht.
(vatican news – gs)
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