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Kardinal Gerhard Ludwig Müller Kardinal Gerhard Ludwig Müller 

Kardinal Müller: „De facto ist Benedikt Kirchenlehrer“

Den deutschen emeritierten Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller verband viel mit Benedikt XVI.: jetzt auch der 31. Dezember. Der Tag, an dem der emeritierte Papst starb, war auch Müllers 75. Geburtstag.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

„Ich habe meinen 75. irdischen Geburtstag gefeiert - und er mit 95 Jahren seinen himmlischen Geburtstag.“ Das sagte Müller, früherer Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, an diesem Mittwoch im Interview mit Radio Vatikan.

„Es ist ein vollendetes Leben, reich an Gedanken und Einsichten und viel Arbeit und Einsatz für die Kirche. Ein großes Zeugnis des christlichen, des katholischen Glaubens an Jesus Christus, den Sohn des lebendigen Gottes.“

„Er war immer geistig hellwach“

Müller hat den emeritierten Papst zuletzt im November gesehen. Sein Eindruck: „Er war immer geistig hellwach, wusste, worum es geht. Aber eben auch körperlich, bis hin zur Stimme, ist er immer schwächer geworden.“ Benedikt sei von „großem Gottvertrauen“ durchdrungen gewesen und von dem „Wissen, dass wir im Tode nicht untergehen, sondern dass wir mit Christus sterben, um auch mit Christus aufzuerstehen“.

Kardinal Müller über den verstorbenen Benedikt XVI. - ein Interview von Radio Vatikan

Zum Rückzug Benedikts aus dem Papstamt im Frühjahr 2013 sagt Kardinal Müller:

„Das war eine ganz persönliche Entscheidung, die aus einer inneren geistlichen Erfahrung erwachsen ist und die man jetzt nicht sozusagen routinemäßig in eine ständige Pensionierung des Papstes umsetzen kann. Ein Bischof bzw. Priester bleibt es ja bis zu seinem Tod, unabhängig von der konkreten Ausübung eines kirchlichen Amtes. Ich bin auch grundsätzlich gegen diese automatische Pensionierung der Bischöfe mit 75 Jahren. Das sieht so aus, als ob das nur eine Funktion wäre.“

„Rücktritt war eine ganz persönliche Entscheidung“

In Wirklichkeit sei das Bischofsamt aber „ein Zeugnis-Auftrag von Jesus Christus her“; man dürfe den Bischof nicht „gegen das eigentliche Wesen des geistlichen Amtes auf einen Funktionär“ reduzieren, der Fall liege anders als bei einem „Arbeiter in einem Betrieb, der nach einer gewissen Zeit dann das Recht hat, auch in Pension zu gehen“.

Kardinal Müller mit Stefan v. Kempis (Radio Vatikan) - Aufnahme von 2019
Kardinal Müller mit Stefan v. Kempis (Radio Vatikan) - Aufnahme von 2019

„Das ist ja mit dem Apostelamt, aus dem das Bischofs- bzw. Priesteramt hervorgeht, in keinster Weise vereinbar. Aber es war eben eine ganz persönliche Entscheidung von ihm; er wusste sicher nicht, dass Gott ihm noch zehn Jahre auf der Erde schenkt… Aber diese zehn Jahre waren auch nicht umsonst. Dann hat er doch auch weiterhin Zeugnis gegeben von der Kraft des christlichen Glaubens, und er hat auch durch sein Gebet die Kirche begleitet.“

„Eine neue Summe der Theologie“

Sowohl für das Amt des Präfekten der Glaubenskongregation (heute: Glaubens-Dikasterium) als auch für den Petrusdienst habe der Verstorbene „ein Modell, ein Maß vorgegeben, das man nicht unterschreiten soll“, so Kardinal Müller. Der Papst habe die Aufgabe, „die Einheit der Kirche im Glauben der Gesamtkirche aller Zeiten horizontal und vertikal zu gewährleisten und dafür Sorge zu tragen, dass der Glaube nicht in eine Ideologie umkippt oder sozusagen häretisch verfälscht wird“.

Auf die Frage nach dem Erbe, das Benedikt XVI. der Kirche hinterlässt, sagt Kardinal Müller: „Es bleibt sein theologisches Werk, die Erinnerung an sein Wirken auch als Papst mit seinen großen Enzykliken, die sich ja die göttlichen Tugenden als Thema genommen haben.“

Die theologischen Arbeiten Joseph Ratzingers sind in den 16 Bänden seiner „Gesammelten Schriften“ gesammelt; Kardinal Müller ist der Herausgeber, der letzte Band erscheint nächstes Jahr, uns gegenüber spricht er stolz (mit einer deutlichen Anspielung auf die Summa theologiae des hl. Thomas von Aquin) von einer „neuen Summe der Theologie“.

„Die Wahrheit ist nicht ein Sachverhalt, sondern die Beziehung zur Person Jesu Christi“

„Was ist der hermeneutische Schlüssel, der Zugang, der das Ganze eröffnen kann, wenn man sozusagen zum ersten Mal dem Theologen Joseph Ratzinger begegnet? Da würde ich empfehlen, einfach zu beginnen mit dem Jesus-Buch, den drei Bänden, weil ja Jesus nicht nur ein Thema der Theologie und des Glaubens ist… Die Wahrheit ist nicht ein Sachverhalt, sondern die Beziehung zur Person Jesu Christi, der gesagt hat: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“

Kardinal Müller leitete von 2012 bis 2017 die Glaubenskongregation. Für ihn war Benedikt „sicher einer der bedeutendsten Theologen unseres Zeitalters, der bedeutendste Theologe auf dem Stuhl Petri nach Leo dem Großen oder Benedikt XIV.“.

„Der wichtigste Theologe auf dem Stuhl Petri seit Jahrhunderten“

„Was die Systematische Theologie im heutigen Sinne des Wortes angeht, ist er einfach der wichtigste Theologe auf dem Stuhl Petri seit vielen Jahrhunderten. Und somit ist er eben auch ein Kirchenlehrer, weil seinem Werk eben nicht nur die Autorität des Professors zukommt, sondern weil sein Werk noch überhöht und getragen ist von der Autorität eines Papstes.“

Benedikt XVI., ein Kirchenlehrer? „De facto ist er es schon“, sagt Kardinal Müller dazu. Allerdings: „Jetzt hier, glaube ich, würde der Titel Kirchenlehrer als offizieller kirchlicher, amtlicher Titel sozusagen die Heiligsprechung voraussetzen.“ Der Kardinal verweist auf Hildegard von Bingen: Die deutsche Ordensfrau wurde 2012 zunächst vom damals amtierenden Papst Benedikt für heilig erklärt – und dann erst zur Kirchenlehrerin erhoben.

„Orientierungspunkt für die heutige Zeit“

„Unter heutigen Bedingungen würde eigentlich doch der Titel Kirchenlehrer erst mal die Kanonisierung voraussetzen. Aber das hindert nicht daran, dass wir ihn (Benedikt) durchaus nicht nur sozusagen als Theologieprofessor einen großen Kalibers ansehen, sondern aufgrund seiner päpstlichen Autorität, seiner persönlichen Autorität durchaus als Kirchenlehrer ansehen dürfen. Denn alles, was er geschrieben hat, ist ja von A bis Z authentisch katholisch. Da wird man keine Häresie finden…“

Benedikts Werk sei auch „auf einem höchsten Niveau intellektueller Art, das sogar kirchenfernen oder kirchenfeindlichen Philosophen und Denker zum Respekt geführt hat“. Die Vereinbarkeit von Glaube und Vernunft sei „das große Thema“ des Verstorbenen gewesen; das könne man „gerade für die heutige Zeit wirklich zum Orientierungspunkt nehmen“.

(vatican news)
 

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04. Januar 2023, 14:12