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Teeanbau in der Türkei Teeanbau in der Türkei 

Ernährungsgipfel muss Betroffene hören und Geld investieren

Mit Appellen für gerechtere und nachhaltigere Ernährungssysteme hat am Mittwoch in Rom der UN Food Systems Pre-Summit geendet. Mit dabei war auch Joachim von Braun. Der deutsche Agrarwissenschaftler ist Direktor einer Abteilung des Zentrums für Entwicklungsforschung an der Universität Bonn sowie Präsident der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften. Er ist auch Leiter des erstmals eingeführten wissenschaftlichen Beratungsteams des UN-Summits. Unser Interview.

Radio Vatikan: Herr von Braun, was genau haben Sie die vergangenen Tage hier in Rom gemacht?

Joachim von Braun: Der sogenannte Food System Summit, der Welternährungsgipfel der UN für das gesamte Agrar- und Ernährungssystem, hat Vorbereitungstage hier in Rom gehabt. Ich leite die wissenschaftliche Beratungsgruppe für den UN-Generalsekretär. Das heißt, ich bin mit einer Gruppe von etwa 25 weltweit führenden Wissenschaftlern in diesem Bereich damit befasst, eine solide Evidenzbasis und strategische Prioritäten für den Gipfel mitzuentwickeln.

Radio Vatikan: Sie sagten, es geht daurm, eine solide Datenbasis und strategische Prioritäten mitzuentwickeln. Wie sind Sie denn da vorangekommen, gibt's schon bisschen was Konkreteres?

Joachim von Braun: Wir arbeiten bereits seit ca. anderthalb Jahren an dem Gipfel. Der UN-Generalsekretär hat ihn ja vor fast zwei Jahren ausgerufen, weil wir eben ein gravierendes Problem mit dem Ernährungssystem haben: Erstens der Hunger nimmt zu, zweitens, die Fehlernährung betrifft inzwischen circa drei Milliarden Menschen, circa 800 Millionen Menschen hungern und die Umwelt wird durch das Ernährungssystem zunehmend belastet. Das Ernährungssystem ist auch ein wesentlicher Faktor für den Klimawandel. Zu all diesen Themen haben wir Papiere verfasst, die auf dem Vorgipfel, den wir jetzt gerade hatten auch vorgetragen und diskutiert wurden und damit haben wir die Diskussion nachhaltig beeinflusst.

Hier im Audio: Der Präsident der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, Joachim von Braun, zum Thema Ernährungsgerechtigkeit

Radio Vatikan: Eigentlich haben wir weltweit gesehen ja genug Lebensmittel für alle. Ist es hauptsächlich ein Problem der Verteilung oder wo liegen die Gründe?

Joachim von Braun: Die Botschaft von Papst Franziskus an den Gipfel war sehr wichtig, denn er hat auf die wachsende Ungleichheit und Ungerechtigkeit hin gewiesen und auf das Problem von Verschwendung, und Verschwendung breit interpretiert. Mit dem Verschwendungsproblem haben wir uns auch hier in der detailliert beschäftigt. Wir hatten dazu auch eine Vor-Konferenz für den Welternährungsgipfel.

Joachim von Braun
Joachim von Braun

„Genug Kalorien für jeden, aber nicht genug für gesunde Ernährung aller“

Klar gestellt werden muss, dass die Welt genug Kalorien hat für jeden, aber nicht genug für gesunde Ernährung. Also: Ist genug Obst und Gemüse und Milch - oder sagen wir es technisch-  Protein vorhanden? Dann ist die Antwort: Nein, wir haben nicht genug für alle auf der Welt, wir haben auch ein Produktionsproblem und nicht nur ein sogenanntes Verteilungsproblem. 

Es braucht Innovation, Nachhaltigkeit und solide Politik in allen Bereichen

Deswegen brauchen wir Innovation im gesamten Ernährungssystem um nachhaltig mehr gesunde Ernährung bereitzustellen und zugleich das riesige Ungleichheits- und Ungerechtigkeitsproblem mangelnden Einkommens - insbesondere im ländlichen Raum der Entwicklungsländer - zu überwinden durch solide Sozialpolitik und Beschäftigungspolitik und Bildungs- und Gesundheitspolitik.

Radio Vatikan: Das sind viele Herausforderungen. Inwieweit gab es denn auch jetzt dank des Vortreffens konkrete Lösungsvorschläge ?

Joachim von Braun: Der Gipfel ist ein Staatschefs-Gipfel - mit großer Berechtigung. Denn es geht nicht nur um technische Probleme, es geht um große politische Fragen: Die Frage der Vernichtung von Biodiversität und Artenvielfalt,  das Herauskommen aus der Corona-Krise - das ist wirtschaftlich; die Überwindung des Klimawandels, an dem das Ernährungssystem inzwischen zu ungefähr 30 Prozent Mitschuld trägt und unter dem das Ernährungssystem leidet. Und obendrauf wird ein erheblicher Teil des Hungers inzwischen durch kriegerische Konflikte hervorgerufen. Das ist also nicht nur ein Thema der Landwirtschaft oder der Finanzminister, sondern es ist ein Problem der gesamten Regierung. Deswegen ist es richtig, dass dieser Gipfel in New York im Rahmen der UN-Generalversammlung stattfindet.

Drei zentrale Ansätze, um den Hunger zu besiegen

Sie haben nach konkreten Vorschlägen gefragt, die wir erarbeitet haben. Auf unserer Agenda haben wir im wesentlichen drei Aktivitäten, die jetzt erhöht werden müssen: Zum einen Aktivität zur Überwindung des Hungers durch ein Paket von technologischer und institutioneller Innovation, Einbeziehung der indigenen Völker und deren Knowledge, also traditionelles Wissen.

Zweitens die Überwindung von Verlusten und Verschwendung - das Thema, dass Papst Franziskus dankenswerterweise immer wieder nach vorne bringt - durch konkrete Maßnahmen insbesondere etwa Verlustreduzierung im Nacherntebereich in den Entwicklungsländern und durch Verhaltensänderung in Sachen Verschwendung in der reichen Welt.

Drittens ein Paket zur sozialen Sicherung. Ohne eine rasche Förderung sozialer Sicherung mit Ernährungs- und Gesundheits-Komponenten und einen Ausbau der sogenannten Schulspeisung - Wir müssen jetzt an die Schulkinder denken, die unter Corona weltweit gelitten haben, aber insbesondere in den Entwicklungsländern  - ohne diese Maßnahmen wird es nicht gehen. Wir brauchen also einen Dreiklang: 1. Innovation 2. Verschwendung und Verluste reduzieren und 3. soziale Sicherungsmaßnahmen ausbauen.

„Dieser Gipfel muss Geld mobilisieren. Es geht nicht, mit ein paar Tricks das Hunger- und Fehlernährungsproblem zu überwinden“

Radio Vatikan: Im September soll ja dann in New York der große Gipfel stattfinden. Perspektivisch gesehen, was erwarten Sie sich davon?

Joachim von Braun: Dieser Gipfel muss Geld mobilisieren. Es geht nicht, mit ein paar Tricks das Hunger- und Fehlernährungsproblem zu überwinden. Da braucht es viel Geld, gemessen vielleicht an absoluten Zahlen, wir brauchen zusätzlich 40 bis 50 Milliarden US-Dollar pro Jahr mehr, um bis  zum Jahr 2030 das wesentliche Ernährungs- und Hungerproblem zu überwinden. Gemessen an dem, was zurzeit in reichen Ländern für die Überwindung der Corona Krise ausgegeben wird, ist das ein kleiner Betrag, wir müssen es schon relativ sehen.

Betroffene einbeziehen, Ethik und Innovation verbinden

Der Gipfel ist dann erfolgreich, wenn er die Menschen einbezieht, die jetzt von Unterernährung besonders betroffen sind. Da hat der Vorgipfel tatsächlich auch deutliche Zeichen gesetzt. Die Präsenz und das engagierte mit tun und mit entscheiden zB der indigenen Völker ist ganz wichtig, auch zivilgesellschaftliche Organisationen gehören in den Raum des Gipfels, vor allem die aus Entwicklungs- und Schwellenländern. Dieser Gipfel ist dann erfolgreich, wenn er Ethik zusammenbringt mit Innovation und dafür stehen wir hier in der Päpstlichen Akademie.

Radio Vatikan: Sie haben ja deutlich gesagt, es muss auf jeden Fall auch Geld in die Hand genommen werden und zwar nicht wenig. Es muss investiert werden, auch für andere, für die Allgemeinheit, fürs Allgemeinwohl. In der Regel ist das ja nicht immer so einfach, wenn es darum geht, dann auch mal Geld hinzulegen. Glauben Sie, dass das benötigte Geld tatsächlich zusammenkommen wird oder wird es vielleicht doch noch mal verschoben und es gibt Ausreden?

„Es ist den Staatschefs inzwischen klar, dass am Hungerproblem auch die Sicherheitsproblematik der Welt hängt.“

Joachim von Braun: Es wird immer Ausreden geben, aber dass die Situation so ernst ist, ist inzwischen vielen Staatschefs klar. Deswegen habe ich bisher noch von keinem der führenden Staatschefs, sagen wir auf den G7- oder G20-Gipfeln, da spielen China und die USA und wir auch aus Deutschland eine wichtige Rolle, da habe ich noch von keinem Staatschef gehört, dass er diesen Gipfel nicht unterstützt. Es ist den Staatschefs inzwischen klar, dass am Hungerproblem auch die Sicherheitsproblematik der Welt hängt.

Migration, militärische Konflikte haben mit dem Hunger-Problem inzwischen ganz eng zu tun, sie sind Ursache und Konsequenz. Deswegen bin ich optimistisch, dass das Geld auf den Tisch kommen wird. Zumindest ein erheblicher Teil. Einen Schritt in diese Richtung hat sogar auch der Internationale Währungsfonds mit einem Aufstocken seiner Ressourcen um 650 Milliarden US-Dollar in diesem Monat bereits gemacht. Davon wollen wir einen signifikanten Anteil für die Überwindung von absoluter Armut und Hunger tatsächlich dann auch ausgegeben sehen.

Das Gespräch führte Stefanie Stahlhofen.

(vatican news - sst)

 

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29. Juli 2021, 15:46