Papst em. Benedikt: „Lehre muss sich in und aus Glauben entwickeln"
„Vor allen Dingen aber ist man ja auch selbst als Glaubender ein Fragender, der immer neu die Wirklichkeit dieses Glaubens hinter und gegen die ihn bedrängenden Wirklichkeiten des Alltags finden muss“, schrieb der emeritierte Papst mit Blick auf seine ersten Erfahrungen in der Seelsorge als junger Kaplan in München-Bogenhausen 1951-1952. „Insofern erscheint mir der Gedanke einer ‚Flucht in die reine Lehre‘ als vollkommen unrealistisch. Eine Lehre, die wie ein Naturschutzpark abgetrennt von der täglichen Welt des Glaubens und seiner Nöte bestehen würde, wäre zugleich ein Verzicht auf den Glauben selbst. Die Lehre muss sich in und aus dem Glauben entwickeln, nicht neben ihm stehen“, schreibt Benedikt XVI. im Frühsommer 2021 an die Zeitschrift.
Stichwort Entweltlichung
Der emeritierte Papst äußerte sich in dem Interview neuerlich zum Stichwort der „Entweltlichung“. Dieses hatte er selbst bei seiner Deutschlandreise als Kirchenoberhaupt 2011 in die Debatte eingebracht. In seiner beanstandete der Papst damals die „zunehmende Distanzierung beträchtlicher Teile der Getauften vom kirchlichen Leben“ und sprach zugleich von einer notwendigen Distanzierung der Kirche von der Welt. „Um ihre Sendung zu verwirklichen, wird sie - die Kirche - auch immer wieder Distanz zu ihrer Umgebung nehmen müssen, sich gewissermaßen ,ent-weltlichen´â€œ.
„Ob das Wort ,Entweltlichung‘, das aus dem von Heidegger gebildeten Wortschatz stammt, in Freiburg als abschließendes Stichwort von mir klug gewählt war, weiß ich nicht“, räumte der emeritierte Papst nun ein. Der Gedanke als solcher sei ihm jedenfalls im Lauf seines Kaplansjahres „immer deutlicher geworden“. In Bogenhausen habe er gesehen, dass es nicht zum Besten stehe mit dem Glauben vieler Getaufter, die auch Funktionen in der Kirche ausübten. „So musste ihr Zeugnis auch in vielem als fragwürdig erscheinen. Glaube und Unglaube waren auf eine merkwürdige Weise miteinander vermischt, und dies musste irgendwann zum Vorschein kommen und einen Zusammenbruch hervorrufen, der den Glauben schließlich begraben würde“, so der emeritierte Papst.
Das Problem stelle sich in der Kirche heute noch deutlicher. „In den kirchlichen Einrichtungen – Krankenhäusern, Schulen, Caritas – wirken viele Personen an entscheidenden Stellen mit, die den inneren Auftrag der Kirche nicht mittragen und damit das Zeugnis dieser Einrichtung vielfach verdunkeln. Dies wirkt sich vor allen Dingen auch in Verlautbarungen und öffentlichen Stellungnahmen aus.“ Um den Gegensatz zwischen dem amtlich Geforderten und dem persönlich Geglaubten auszudrücken, sei im Deutschen das Wort „Amtskirche“ gefunden worden. Ein durchaus zutreffender Begriff, so Benedikt, weil heute „die amtlichen Texte der Kirche in Deutschland weitgehend von Leuten geformt werden, für die der Glaube nur amtlich ist“, bedauerte der emeritierte Papst: „Was die Kirche von Amts wegen sagen muss, sagt ein Amt, nicht eine Person.“ Diese Entwicklung schadet aus Sicht von Benedikt der Kirche und dem Glauben: „Solange bei kirchenamtlichen Texten nur das Amt, aber nicht das Herz und der Geist sprechen, so lange wird der Auszug aus der Welt des Glaubens anhalten.“
„Die Person aus der Deckung des Amtes herausholen"
Es gehe heute – wie schon in den frühen 50er Jahren – darum, „die Person aus der Deckung des Amts herauszuholen und ein wirkliches persönliches Glaubenszeugnis von den Sprechern der Kirche zu erwarten“, so Benedikt weiter. „Das Wort Entweltlichung deutet den negativen Teil der Bewegung an, um die es mir geht, nämlich das Heraustreten aus der Rede und den Sachzwängen einer Zeit ins Freie des Glaubens. Aber eben diese Seite, das Positive, ist damit nicht genügend ausgedrückt.“
Der 94-jährige gebürtige Joseph Ratzinger hat sich in einem schriftlich geführten Gespräch aus Anlass seiner Kaplanszeit vor 70 Jahren geäußert. Das Jahr in München-Bogenhausen war die einzige Zeit, die der spätere Professor, Kardinal und Papst als Priester in einer Gemeinde verbracht hat. „Ob ich ein guter Priester und Seelsorger gewesen bin, wage ich nicht zu entscheiden“, resümiert er im Interview mit der Zeitschrift.
(vatican news – gs)
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