Beraterin der Bischofssynode: „Das wird eine spannende Geschichte"
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Frau Professor Wijlens, Sie wurden im März als Mitglied der vatikanischen Kinderschutzkommission verlängert und sind jetzt auch Konsultorin der Bischofssynode. Die nächste tagt im Herbst 2023 – über Synodalität. Inwiefern ist das das Thema der Stunde?
Myriam Wijlens: Ich freue mich sehr, dass es diese Synode geben wird. Es ist, denke ich, dringend notwendig, dass wir eine Synode zum Thema Synodalität haben. Die Kirche ist in großer Not: Sie hat interne Probleme, die Welt hat große Probleme, und man sieht das wunderbar ausgedrückt im II. Vatikanischen Konzil, die Freude und Hoffnung, aber auch Sorge und Probleme der Menschen: Das gehört nicht nur der Kirche, sondern das gehört der ganzen Gesellschaft. Es ist dringend notwendig, dass wir darüber miteinander ins Gespräch kommen, wie wir die vor uns liegenden Herausforderungen angehen wollen. Synodalität, gemeinsam auf dem Weg sein, ist dabei eine gute Möglichkeit, weil das Volk Gottes gemeinsam suchen muss, vielleicht ringen muss, gemeinsam sich in einen Prozess begeben muss: Wie können wir aufeinander hören, die Situation gut analysieren, wie können wir auch Antworten darauf finden, die passend sind für die Probleme, die wir haben.
Pope: Sie sagten, das Thema Synodalität ist für die Realität der Kirche außerordentlich dringend. Warum genau?
Myriam Wijlens: Weil es große Krisen in der katholischen Kirche selber gibt, und jetzt spreche ich auch aus der Perspektive der päpstlichen Kinderschutzkommission. Die große Krise in den Ländern, wo das schon angesprochen wird, die Krise die sich ergeben hat durch sexuellen Missbrauch von Minderjährigen. Aber wir sehen auch große ethische Fragen, die Kirchen momentan in verschiedenen Ländern beantworten müssen. Wir sehen die Probleme, die sichtbar wurden in der Pandemie, die Ungleichheit, die Armut, die Probleme in der Umwelt – alle diese Themen sind Themen, auf die die Kirche antworten muss. Aber hat sie die Strukturen, das zu tun? Das ist die Frage.
Pope: Sie haben sich als Kirchenrechtlerin eine Expertise erworben im Feld Synodalität. Was davon soll aus Ihrer Sicht gerne einfließen in die Beratungen der Synode?
Myriam Wijlens: Als Kirchenrechtlerin ist es mir persönlich wichtig zu sehen, wie verhält sich die Lehre der Kirche zu der Art und Weise, wie wir das umsetzen. In den Beratungen der Synode geht es darum, miteinander nachzudenken, was bedeutet gemeinsam ins Gespräch zu kommen, was bedeutet es aufeinander zu hören und gemeinsame Wege nach vorne zu finden. Für Kanonisten stellt sich die Frage, welche Form kann man finden, die das ermöglicht: auf bestmögliche Weise, und zwar in verschiedenen Kulturen.
Pope: Welche Möglichkeiten dazu sind eigentlich in der Kirche vorgesehen?
Myriam Wijlens: Es gibt auch heute schon im Gesetzbuch der katholischen Kirche verschiedene Formen: Dass man in der Diözese, auf der Ebene darüber, aber noch nicht auf Ebene der Gesamtkirche, miteinander ins Gespräch kommt, dann gibt es die Möglichkeit von Konzilien. Bemerkenswerterweise werden viele von diesen vorhandenen Institutionen nicht mit Leben gefüllt, sie werden nicht praktiziert. Wir haben keine Provinzkonzilien, wir haben keine Partikularkonzilien, wie sie für das Territorium einer Bischofskonferenz möglich wären; da ist viel Luft nach oben. Wir sollten also sehen: Was haben wir schon, und wie können wir das mit Leben füllen.
Pope: Kann man die Probleme der Welt oder auch der Kirche wirklich mit Zuhören lösen?
Myriam Wijlens: Was bei dieser Reform, denke ich, wichtig ist: Wir sollten nicht glauben, dass sich, wenn wir kirchenrechtliche Reformen machen, dadurch die Welt ändert. Die Welt kann sich nur ändern, auch die Welt in der Kirche kann sich nur ändern, unser Umgang miteinander kann sich nur ändern, wenn wir eine Mentalitätsänderung haben. Worin besteht die? Ich glaube, dass wir uns da die Frage stellen müssen, was bedeutet es eigentlich, dass wir getauft und gefirmt sind, und dass der Heilige Geist in uns und in der Gemeinschaft als solche wirkt und nicht nur in den Bischöfen. Das hat das II. Vatikanische Konzil klar dargelegt, im 2. Kapitel über die Kirchenkonstitution. Aber wir haben noch keine guten Wege gefunden, das in die Praxis umzusetzen.
Pope: Der römischen Bischofssynode vorgeschaltet ist auf Wunsch von Papst Franziskus ein „synodaler Weg“, der alle Ortskirchen miteinschließen soll. Was erhoffen Sie sich von diesem synodalen Weg der Weltkirche, und wie kann er auch für die Kirche in Deutschland – die selbst einen Synodalen Weg beschritten hat - fruchtbar werden?
Myriam Wijlens: Ich glaube, dass es ein wunderbares Zeichen ist, dass man in den Ortskirchen anfängt. Auch da würde ich verweisen auf das II. Vatikanische Konzil. Der große Erfolg dieses Konzils lag nicht darin, dass alles von Rom kam oder „aus dem Himmel heruntergefallen“ war, sondern es wurde vorbereitet in den Ortskirchen. In Deutschland hatte man sich viel mit Liturgie beschäftigt, die Amerikaner mit Religionsfreiheit, in Frankreich hatten viele Theologen über Kirchenväter gearbeitet. Und so haben die Ortskirchen ihre Kenntnisse ins Konzil einbringen können. Die haben sie dort geteilt mit allen, und dann wurde es angenommen und in die ganze Kirche sozusagen zurückgespielt. Es gibt also ein Hin und Zurück, einen Flow, zwischen Ortskirche und Universalkirche. Und ich glaube, dass es wichtig ist für diese Erfahrung von Synodalität, dass wir da ansetzen. Der Erfolg wird nicht kommen, weil Bischöfe in Rom darüber gesprochen haben, sondern – und da kommt auch eine ekklesiologische Perspektive hinzu – die Bischöfe kommen nach Rom und können bezeugen, was in ihren eigenen Kirchen über Synodalität sich entfaltet hat. Und wie sie sich das vorstellen. Diese Prozesse werden, glaube ich, sehr verschieden sein in der Kirche von Indien oder in der Kirche von Deutschland oder in Amazonien.
Radio Vatikan: Sie sprachen da ja von Formen des Zuhörens in der Kirche, die in verschiedenen Kulturen funktionieren sollen. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Myriam Wijlens: Ich hatte vor einigen Jahren die Gelegenheit, in der Erzdiözese Bombay zu sein und habe an einer Diözesan-Pastoralratssitzung teilgenommen. Es war für mich eine unglaubliche Erfahrung, wie Kardinal Gracias dort von seinen Menschen begrüßt wurde, er die Menschen aber auch alle kannte und fragte: Peter, wie geht es Dir, und wie geht es deiner Tochter, er war vertraut mit der Geschichte dieser Menschen. Der Kardinal hat mir dann erzählt, sie haben in der Diözese Bombay nicht nur einen sehr gut funktionierenden Diözesan-Pastoralrat, sie haben auch alle zehn Jahre eine diözesane Synode. Das kennen wir in Deutschland nicht und in den Niederlanden, aus denen ich komme, sogar noch weniger. Das heißt, wir in Europa müssen auch nicht glauben, wir sollen dem Rest der Welt mit unseren Vorstellungen mitteilen, wie es denn gehen soll. Dieser Prozess, wo man sich dann berichten lassen kann aus den Ortskirchen, wird immens bereichernd sein. Denn ich dann dabei feststellen, dass ich von den anderen – und zwar gerade auch aus dem globalen Süden – etwas lernen kann. Und das wird eine spannende Geschichte.
(vatican news – gs)
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