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Archivbild: Papst Franziskus und Patriarch Bartholomaios Archivbild: Papst Franziskus und Patriarch Bartholomaios 

Bartholomaios über „Fratelli tutti“: „Geben wir Gleichgültigkeit und Zynismus auf“

Im Interview von Radio Vatikan/Pope mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel geht das Ehren-Oberhaupt der Orthodoxie auf die Bedeutung der Enzyklika von Papst Franziskus ein. Bartholomaios sagt: „Wir träumen von unserer Welt als geeinter Familie“.

Andrea Tornielli - Vatikanstadt  

Patriarch Bartholomaios spricht von einer Einladung und Herausforderung, wenn er von „Fratelli tutti“ spricht. Im Interview mit unserem Chefredakteur Andrea Tornielli sagt das Ehrenoberhaupt der Orthodoxie wörtlich: „Wir stimmen der Einladung von Papst Franziskus voll und ganz zu, wir alle sollten die Gleichgültigkeit oder, mehr noch, den Zynismus aufgeben, der unser ökologisches, politisches, wirtschaftliches und soziales Leben im Allgemeinen beherrscht.“ Das Problem der heutigen Zeit sei, so der Patriarch von Konstantinopel, dass die Menschheit von egozentrischer oder selbstloser Einstellung geprägt sei. Stattdessen lade der Papst mit seiner Enzyklika alle dazu ein, „unsere Welt als eine geeinte Menschheitsfamilie zu träumen“.

Einstimmigkeit mit Bruder Franziskus

 

Noch bevor die Enzyklika „Fratelli tutti“ erschien, habe er mit seinem „Bruder Franziskus“ darin übereingestimmt, dass es konkrete Vorschläge zur Bewältigung der großen Herausforderungen der Gegenwart bedürfe. Weiter sagte der Patriarch, dass die Inspiration dazu „aus der unerschöpflichen Quelle der christlichen Tradition“ hervorgehe. So würdigte Bartholomaios die Haltung des Papstes, der „ein Herz voller Liebe“ habe. „Unsere Erwartungen wurden nach Abschluss der Analyse dieser höchst interessanten Enzyklika, die nicht einfach ein Kompendium oder eine Zusammenfassung früherer Enzykliken oder anderer Texte von Papst Franziskus ist, sondern die Krönung und der erfolgreiche Abschluss aller Soziallehre, voll erfüllt“, so die lobenden Worte des Patriarchen.

In diesem Sinne bringt er die Hoffnung und den Wunsch zum Ausdruck, „dass sich die Enzyklika durch entschlossene Initiativen und transversale Aktionen auf interchristlicher, interreligiöser und gesamtmenschlicher Ebene als Quelle der Inspiration und des fruchtbaren Dialogs erweisen wird“.

„Zu Recht beunruhigt uns jedoch die Tatsache, dass die modernen technischen und wissenschaftlichen Entwicklungen die ,Hybris´ des Menschen gestärkt haben.“

Über die Hoffnung, die man aus dem Blick des Evangeliums auf die Welt schöpfen könne, sagt Bartholomaios: „Mit seinem ausgeprägten humanistischen, sozialen und spirituellen Sinn identifiziert und benennt Papst Franziskus die ,Schatten´ in der modernen Welt. Wir sprechen von ,modernen Sünden´, obwohl wir gerne betonen, dass die Erbsünde in unserer Zeit und in unserem Zeitalter nicht aufgetreten ist. Wir idealisieren die Vergangenheit keineswegs. Zu Recht beunruhigt uns jedoch die Tatsache, dass die modernen technischen und wissenschaftlichen Entwicklungen die ,Hybris´ des Menschen gestärkt haben. Die Errungenschaften der Wissenschaft antworten weder auf unsere existenzielle Grundlagenforschung, noch haben sie sie beseitigt. Wir stellen auch fest, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht bis in die Tiefen der menschlichen Seele vordringen. Der Mensch weiß das, aber er tut so, als wüsste er es nicht.“

Kluft zwischen Arm und Reich

Zur Armutsproblematik, die der Papst in „Fratelli tutti“ behandelt, erläutert der Ökumenische Patriarch, dass die wirtschaftliche Entwicklung die Kluft zwischen Arm und Reich nicht verringert habe. Vielmehr habe sie auf Kosten des Schutzes der Schwachen den Profit in den Vordergrund gestellt und habe auch zur Verschärfung von Umweltproblemen beigetragen. Die Politik sei hierbei „zum Diener der Wirtschaft“ geworden. „Das Flüchtlingsproblem, der Terrorismus, die staatliche Gewalt, die Erniedrigung der Menschenwürde, moderne Formen der Sklaverei und die Covid-19-Epidemie stellen die Politik nun vor neue Verantwortlichkeiten und löschen ihre pragmatische Logik aus“, so der Patriarch von Konstantinopel. Der Vorschlag des kirchlichen Lebens sei hingegen die Wende zu einer solidarischen Hingabe, was nichts anderes bedeutet als „die Liebe, die Offenheit für das Andere und die Kultur der Solidarität der Menschen“ zu fördern.

(vatican news - mg)

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20. Oktober 2020, 12:00