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Die italienische Wirtschaftswissenschaftlerin und Ordensfrau Alessandra Smerilli Die italienische Wirtschaftswissenschaftlerin und Ordensfrau Alessandra Smerilli 

Vatikan: „Ökologische Schulden” ab sofort berücksichtigen

Wenn wir eine gerechte Wirtschaft wollen, müssen wir anfangen, ökologische Schulden in die Haushalte einzurechnen und Unternehmen sowie Industrieländer dafür haftbar zu machen. Darauf verweist die italienische Ökonomin Schwester Alessandra Smerilli, die in der vom Papst eingerichteten vatikanischen Corona-Kommission die Arbeitsgruppe Wirtschaft koordiniert.

Von Fabio Colagrande und Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Das Gebetsanliegen von Papst Franziskus im Monat September, den die katholische Kirche seit einigen Jahren als „Zeit der Schöpfung” begeht, widmet sich dem verantwortungsvollen Umgang mit den Reichtümern des Planeten. Im fünften Jahr nach Erscheinen der Sozialenzyklika  bekundet der Papst darin seine Sorge um die „ökologischen Schulden”, die entstehen, wenn Rohstoffe unverantwortlich genutzt werden. Alessandra Smerilli zufolge müssten die Industrieländer und ihre Unternehmen anerkennen, dass sie ökologisch in der Schuld rohstoffreicher, doch armer Ländern stehen.  

Hier zum Hören:

Den Begriff „ökologische Schulden” hatte Franziskus in Laudato Si (51) vertieft. Dort habe er einen sehr treffenden Vergleich angestellt, erklärt die Ökonomin:

„Andere Länder zu plündern und auszubeuten bedeutet, auf ihre Kosten reich zu werden. Es ist quasi so, als würde man sich diese Ressourcen ausleihen und damit eine Schuld erzeugen. Während man sich aber in der Ökonomie verpflichtet fühlt, aufgenommene Schulden irgendwann zurückzuzahlen, berücksichtigen wir Schulden in der Ökologie nicht. Die Enzyklika erinnert daran, dass die Länder des Südens der Welt bei den reicheren wirtschaftlich in der Schuld stehen. Es gibt Pläne, diese wirtschaftlichen Schulden zu begleichen, mit sehr genauen Bedingungen. Papst Franziskus fragt nun mit Nachdruck, warum das bei den ökologischen Schulden nicht ebenso gemacht werden kann. Er fragt sich, warum wir diejenigen, die die Ressourcen anderer ausbeuten, nicht dazu bringen, diese Schulden an die ärmsten Länder zurückzuzahlen.”

„Wir müssen aufhören, Umweltprobleme durch unternehmerische Tätigkeit als etwas Externes zu betrachten“

Smerilli mahnte prinzipiell zu mehr Wachsamkeit beim Thema ökologische Schulden.

„Ich denke, wir sollten eher heute als morgen, wie der Papst sagt, aufhören, ökologische Schäden als etwas zu betrachten, das außerhalb der Geschäftstätigkeit liegt. Ökologische Schäden werden in der Tat noch heute als unbeabsichtigte, äußere Nebeneffekte angesehen. Die Argumentation ist wie folgt: Der Unternehmer produziert, und um zu produzieren, braucht er bestimmte Ressourcen. Er nutzt andere Länder aus, er schafft ökologische Probleme, aber das ist etwas, das abseits seiner Absichten liegt. Wir müssen aufhören, Umweltprobleme durch unternehmerische Tätigkeit als etwas Externes zu betrachten. Stattdessen müssen wir lernen, dass all dies Teil der Aktivitäten des Unternehmens ist und dass infolgedessen das Unternehmen alle Aktivitäten, die zur Verringerung dieser ökologischen Auswirkungen notwendig sind, auf seine Kosten umlegen muss.”

Steuergerechtigkeit

Smerilli verwies auf die weitverbreitete Praxis von Großkonzernen, bestimmte Praktiken außerhalb der Industrienationen anzusiedeln, in denen sie sitzen. In Laudato Si bezieht Franziskus sich auf multinationale Unternehmen, die in ärmeren Regionen „tun, was ihnen in den entwickelten Ländern bzw. in der sogenannten Ersten Welt nicht erlaubt ist”. Das geschehe nicht nur auf der Ebene der Ökologie, sondern auch der Besteuerung, führte Smerilli aus. Es brauche in diesen Fällen „Besteuerung und Kontrolle, die über die einzelnen Staaten hinausgehen”.

„In der Tat werden wir keine Fortschritte erzielen, wenn wir nicht eine umfassende Sichtweise einnehmen“

Verschärft werde die ökologische und sozioökonomische Krise durch den globalen Corona-Notstand, so die Wirtschaftswissenschaftlerin. Papst Franziskus gehöre „möglicherweise zu den ersten Führungspersönlichkeiten der Welt, die sofort verstanden, dass der mit der Pandemie entstandene Gesundheitsnotstand mit allem anderen zusammenhängt.” Smerilli nannte als besondere Herausforderung eine sich verschärfende Chancenungleichheit, sagte aber auch, die Krise schaffe eine Gelegenheit, „einige Dinge zu korrigieren”.

Päpstliche Corona-Kommission

Aus diesem Grund habe der Papst die Corona-Kommission gegründet - mit dem Ziel, für die Zeit der Pandemie neue Entwicklungsmodelle zu bestärken, die in der Logik der integralen Ökologie arbeiten. Dies sei das besondere Anliegen der Arbeitsgruppe Nummer zwei, die sie koordiniere, erläuterte Schwester Alessandra Smerilli. Es gehe dabei um Wirtschaft, Sicherheit, Gesundheit und Ökologie – Themen für das große Ganze der heutigen Gesellschaft.

„In der Tat werden wir keine Fortschritte erzielen, wenn wir nicht eine umfassende Sichtweise einnehmen. Im Gegenteil, vielleicht würden wir mit der Pandemie sogar Rückschritte machen.”

(vatican news)

 

 

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07. September 2020, 11:05