ÃÛÌÒ½»ÓÑ

Kardinal Koch: „Nur mit einem klaren Ziel können wir vorwärts gehen“

An diesem 5. Juni feiert der vatikanische Ö°ì³Ü³¾±ð²Ô±ð-Rat den 60. Jahrestag seiner Gründung. Es war im Jahr 1960, als Johannes XXIII. das Sekretariat zur Förderung der Einheit der Christen ins Leben rief. Doch gleich zwei weitere Jubiläen kann der Schweizer Kurienkardinal und Präsident des Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kurt Koch, in diesen Tagen feiern: 25 Jahre der Ö°ì³Ü³¾±ð²Ô±ð-Enzyklika „Ut unum sint“ sowie seinen 10. Jahrestag der Ernennung zum Vorsteher des Ö°ì³Ü³¾±ð²Ô±ð-Rats. Wir sprachen mit ihm über diese Jubiläen.

Pope: Das 1960 vom heiligen Papst Johannes XXIII. eingerichtete Sekretariat wurde 1988 zum Päpstlichen Rat umgewandelt. Vor sechzig Jahren war der ökumenische Kontext noch ganz anders. Wie sieht die gegenwärtige ökumenische Situation aus und welche sind die Herausforderungen von heute?

Zum Nachhören

Kardinal Koch: Im Jahre 1960 stand die Ökumenische Bewegung in ihrer offiziellen Gestalt innerhalb der katholischen Kirche noch am Anfang. Während den vergangenen sechzig Jahren haben viele Begegnungen und zahlreiche Dialoge stattgefunden. Aus ihnen konnten viele positive Früchte geerntet werden. Das eigentliche Ziel der Ökumenischen Bewegung konnte allerdings noch nicht erreicht werden, nämlich die Wiederherstellung der Einheit der Kirche. Von daher besteht heute eine der großen Herausforderungen darin, dass über dieses Ziel der Ökumene noch kein wirklich tragfähiger Konsens besteht. Man ist sich einig über das Dass der Einheit, noch nicht aber über ihr Wie. Wir brauchen eine gemeinsame Schau, was zur Einheit der Kirche unabdingbar notwendig ist. Nur mit einem klaren Ziel vor Augen können wir auch die nächsten Schritte gehen.

Aus unserem Archiv: Papst Paul VI. und Koptenpatriarch Schenuda III.
Aus unserem Archiv: Papst Paul VI. und Koptenpatriarch Schenuda III.

Pope: Der ökumenische Weg wird oft als „Austausch von Gaben“ definiert. Wie hat sich die katholische Kirche in den vergangenen sechzig Jahren durch dieses Engagement verändert? Welche sind die Gaben, die die katholische Kirche anderen Christen angeboten hat?

Kardinal Koch: Hinter dieser Definition steht die Überzeugung, dass jede Kirche einen spezifischen Beitrag bei der Wiedergewinnung der Einheit geben kann. Von den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften hat die katholische Kirche vor allem die Zentralität des Wortes Gottes im Leben der Kirche, in den gottesdienstlichen Feiern und im theologischen Denken gelernt. Es ist uns neu bewusst geworden, dass der Glaube vom Hören auf das Wort Gottes kommt und dass das Evangelium Jesu Christi in der Mitte der Kirche stehen muss. Von den orthodoxen Kirchen können wir viel, wie Papst Franziskus immer wieder betont, über die Synodalität im Leben der Kirche und in diesem Kontext über die Kollegialität der Bischöfe lernen. Umgekehrt besteht die besondere Gabe, die die Katholische Kirche ins ökumenische Gespräch einbringen kann, im Leben der Universalität der Kirche. Da die katholische Kirche in der Verschränkung zwischen Einheit der Universalkirche und Vielheit der Ortskirchen lebt, kann sie exemplarisch zeigen, dass Einheit und Vielheit auch in der Ökumene keine Gegensätze darstellen, sondern sich wechselseitig fördern.

„Ebenso wichtig ist der Dialog der Wahrheit, die theologische Aufarbeitung jener kontroversen Fragen, die in der Geschichte zu Spaltungen geführt haben.“

Pope: Die Ökumene strebt nach voller Gemeinschaft unter allen Christen. Was ist konkret getan worden?

Kardinal Koch: Alle ökumenischen Bemühungen und Aktivitäten müssen dem Ziel der Wiederherstellung der Einheit der Christen dienen; und sie müssen immer wieder daraufhin überprüft werden, ob sie diesem Ziel verpflichtet sind. Dies gilt in besonderer Weise für den Dialog der Liebe, die Pflege freundschaftlicher Beziehungen zwischen den verschiedenen Kirchen. Er hat dazu geführt, dass viele Vorurteile, die von der Geschichte her existieren, überwunden werden konnten, und dass man sich gegenseitig besser verstehen kann. Ebenso wichtig ist der Dialog der Wahrheit, die theologische Aufarbeitung jener kontroversen Fragen, die in der Geschichte zu Spaltungen geführt haben. In diesen Dialogen ist stets deutlicher geworden, dass uns mehr eint als trennt. Von besonderer Bedeutung ist schließlich der spirituelle Ökumenismus, nämlich das Einstimmen in das Hohepriesterliche Gebet Jesu, „dass alle eins seien“. Dieses Gebet macht uns immer wieder bewusst, dass die Einheit der Kirche der Wille unseres gemeinsamen Herrn ist.

Pope: In diesen Tagen feiern wir auch den 25. Jahrestag der Enzyklika des heiligen Johannes Paul II., Ut unum sint, die am 25. Mai 1995 veröffentlicht wurde. Eine wichtige Enzyklika für den ökumenischen Weg?

Kardinal Koch: Ihre Bedeutung liegt zunächst darin, dass zum ersten Mal in der Geschichte ein Papst eine Enzyklika über die Ökumene geschrieben hat. Mit ihr hat er 30 Jahre nach dem Ende des Konzils in Erinnerung gerufen, dass die Katholische Kirche sich „unumkehrbar“ für den ökumenischen Weg verpflichtet hat (UUS 3) und dass alle Glieder der Kirche im Glauben verpflichtet sind, an der Ökumenischen Bewegung teilzunehmen. Besonders hervorheben möchte ich eine überraschende und weiterführende Initiative des Papstes. Auf der einen Seite im Bewusstsein, dass sein eigenes Amt eines der größten Hindernisse auf dem Weg zur Wiederherstellung der Einheit ist, und auf der anderen Seite in der Überzeugung, dass das Amt des Bischofs von Rom eine konstitutive Bedeutung für die Einheit der Kirche hat, hat Papst Johannes Paul II. die gesamte Ökumene eingeladen, sich mit ihm auf einen „brüderlichen geduldigen Dialog“ über den Primat des Bischofs von Rom einzulassen, und zwar mit dem Ziel, eine Form der Primatsausübung zu finden, „die zwar keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, sich aber einer neuen Situation öffnet“, genauer dahingehend, dass dieses Amt „einen von den einen und anderen anerkannten Dienst der Liebe zu verwirklichen vermag“ (UUS 95-96). Ich halte dies für eine verheißungsvolle Initiative, die auch Papst Benedikt XVI. und Papst Franziskus verschiedentlich aufgegriffen haben.

Aus unserem Archiv: Papst Johannes Paul II. und Patriarch Dimitrios I. 1979 in der Türkei
Aus unserem Archiv: Papst Johannes Paul II. und Patriarch Dimitrios I. 1979 in der Türkei

Pope: Seit der Gründung des Dikasteriums haben sich die verschiedenen Päpste sehr für die Ökumene engagiert. Wie können wir in wenigen Zeilen den spezifischen Beitrag eines jeden Einzelnen definieren?

Kardinal Koch: Zunächst dürfen wir dafür dankbar sein, dass alle Päpste seit dem Konzil ein offenes Herz für das ökumenische Anliegen haben und zwischen ihnen eine große Kontinuität und Kohärenz besteht. Für Papst Johannes XXIII. ist es evident gewesen, dass die Wiederherstellung der Einheit der Christen für die Erneuerung der katholischen Kirche von grundlegender Bedeutung ist. Papst Paul VI. hat wesentlich dazu beigetragen, dass das Dekret über den Ökumenismus „Unitatis redintegratio“ auf dem Konzil verabschiedet werden konnte. Er ist ein Papst großer ökumenischer Gesten vor allem gegenüber der Orthodoxie und der Anglikanischen Gemeinschaft gewesen, und er hat als erster Papst den Ökumenischen Weltrat der Kirchen besucht.

Papst Johannes Paul II. ist überzeugt gewesen, dass das Dritte Jahrtausend die große Aufgabe zu bewältigen haben wird, die verloren gegangene Einheit wiederherzustellen, und er hat eine wesentliche Hilfe im Zeugnis der Märtyrer gesehen, die verschiedenen Kirchen angehören und so mit der Hingabe ihres Lebens die Einheit bereits gelebt haben. Für Papst Benedikt XVI. ist die Ökumene zutiefst eine Frage des Glaubens gewesen und deshalb hat er in der Ökumene eine vorrangige Verpflichtung des Nachfolgers des Petrus gesehen. Papst Franziskus ist es ein besonderes Anliegen, dass die verschiedenen kirchlichen Gemeinschaften gemeinsam auf dem Weg zur Einheit unterwegs sind, weil die Einheit im Gehen wächst. Und auch er hebt immer wieder die Ökumene des Blutes hervor.

Pope: Eines der nächsten Projekte ist die Veröffentlichung eines Leitfadens zur Ökumene für Bischöfe. Dieser soll im Herbst erscheinen. Weshalb ein Vademecum für Bischöfe?

Kardinal Koch: Der Dienst, der dem Bischof anvertraut ist, ist ein Amt der Einheit seiner Diözese und der Einheit zwischen der Ortskirche und der universalen Kirche. Es findet aber auch in der Ökumene eine besondere Bedeutung. Denn der Hirtendienst des Bischofs ist weiter zu verstehen als allein an der Einheit der eigenen Kirche, er umfasst vielmehr auch die getauften Nichtkatholiken. In den verschiedenen Ortskirchen tragen deshalb die Diözesanbischöfe die erste Verantwortung für die Einheit der Christen. Das Vademecum will eine Hilfe für die Bischöfe sein, ihre ökumenische Verantwortung besser verstehen und verwirklichen zu können. Das Vademecum ist in besonderer Weise auch dazu gedacht, die neu ernannten Bischöfe in ihre Aufgaben einzuführen, alle Glieder der Kirche zu begleiten, damit sie ihre Pflicht, an der Ökumenischen Bewegung teilzunehmen, leben können.

„Nicht wenige Gläubige äußeren heute den Eindruck, in der Ökumene bewege sich heute kaum etwas, sie stehe still.“

Pope: Und dann gibt es noch eine zweite Neuheit, die Ihr Rat herausgeben wird, und zwar eine neue Zeitschrift über Ökumene. Was ist der Sinn und Zweck dieser Publikation?

Kardinal Koch: Nicht wenige Gläubige äußeren heute den Eindruck, in der Ökumene bewege sich heute kaum etwas, sie stehe still. Dieser Eindruck hängt zu einem großen Teil auch damit zusammen, dass man über die Entwicklungen und Fortschritte in der Ökumene nicht in genügendem Maße informiert ist. Es ist deshalb wichtig, Vorsorge dafür zu treffen, dass die wichtigsten Entwicklungen in der Ökumene rezipiert werden können. Dies gilt vor allem von den Dokumenten, die von ökumenischen Kommissionen erarbeitet und veröffentlicht werden. Denn Papier, das nicht gelesen wird, ist bekanntlich geduldig. Dem Anliegen der Erleichterung der Rezeption trägt die rivista Acta Oecumenica Rechnung, indem sie in erster Linie über die ökumenischen Bemühungen von Papst Franziskus und dann über die ökumenischen Aktivitäten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen informiert und die wichtigsten ökumenischen Dialogtexte dokumentiert. Die rivista will eine Hilfe bei der Ökumenischen Bildung sein, die für die Zukunft von grundlegender Bedeutung ist.

Aus unserem Archiv: Patriarch Bartholomaios I. und Papst Franziskus im Petersdom 2008
Aus unserem Archiv: Patriarch Bartholomaios I. und Papst Franziskus im Petersdom 2008

Pope: Die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass man die direkten Begegnungen miteinander unterlassen soll. Das ist ja für die Ökumene eine große Herausforderung.

Kardinal Koch: Die Ökumene lebt vom Dialog und von der unmittelbaren Begegnung. Dies ist aufgrund der Restriktionen während der Corona-Pandemie nicht leicht zu realisieren, da weder Besuche von anderen christlichen Kirchen hier in Rom empfangen noch von uns Reisen zu Begegnungen bei anderen Kirchen unternommen werden können. Ökumenische Dialoge lassen sich nur schwer im Home Office verwirklichen. Auf der anderen Seite führt die schwierige Situation heute die christlichen Kirchen, die gleichsam alle in demselben Boot sind, auch tiefer zueinander. Dies hat sich beispielsweise gezeigt, als Papst Franziskus alle christlichen Kirchen eingeladen hat, am 25. März mit ihm gemeinsam das Vaterunser mit der Bitte um Beendigung der Pandemie zu beten. Auf meinen Brief an alle Vorsteher der christlichen Kirchen, mit denen ich die Einladung des Heiligen Vaters übermittelt habe, haben die allermeisten Adressaten sehr schnell und dankbar für die Initiative geantwortet. Dies hat mir gezeigt, wie tief die ökumenischen Beziehungen inzwischen geworden sind und dass sie auch in sehr schwierigen Situationen weiter vertieft werden können. Doch natürlich freuen wir uns, wenn unmittelbare Begegnungen und Dialoge wieder möglich sein werden.

Pope: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Sie selber feiern 10 Jahre Ihres Dienstes im Vatikan. Bestimmt haben Sie etwas, was in dieser Zeit erstaunt.

Kardinal Koch: Ich staune vor allem darüber, wie schnell die Zeit vorübergegangen ist. Ich empfinde die Arbeit nicht immer als leicht, doch als sehr schön und bereichernd. Ich bin Papst Benedikt XVI. dankbar, dass er mir diese Aufgabe anvertraut, und Papst Franziskus, dass er mich in dieser Aufgabe bestätigt hat. Ich habe in diesen Jahren an vielen ökumenischen Ereignissen und Initiativen der beiden Päpste teilnehmen und etwas mitwirken dürfen. Dabei habe ich viel gelernt und auch immer wieder die Erfahrung machen dürfen, dass man in der ökumenischen Arbeit mehr geschenkt bekommt als man selbst zu geben vermag. Ich bin mir dabei dessen bewusst, dass es nur einen Ökumeneminister gibt, nämlich den Heiligen Geist; wir so genannte Ökumeniker sind nur mehr oder weniger ohnmächtige Werkzeuge des Ökumeneministers. Deshalb steht es mir nicht zu, nach zehn Jahren eine Bilanz zu ziehen. Der kleine Jahrestag ist vielmehr Anlass, dem Heiligen Geist zu danken und ihn zu bitten, dass er den ökumenischen Weg weiterhin begleitet und immer wieder positive Schritte auf dem Weg zur Einheit der Kirche ermöglicht.

Das Gespräch führte Mario Galgano.

(vatican news)

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

05. Juni 2020, 07:00