Vatikan legt umfassendes Dokument zur Umwelt- und sozialen Krise vor
„Unterwegs zur Pflege des gemeinsamen Hauses” (im Original: „In cammino per la cura della casa comune – A cinque anni dalla Laudato si’”) besteht aus zwei Hauptteilen. Der erste Teil unterstreicht die Notwendigkeit einer ökologischen Umkehr, eines groß angelegten Mentalitätswandels. Ziel müsse eine echte Sorge um das Leben und die Schöpfung sein sowie das Bewusstsein, dass die ökologischen und sozialen Problemen der Welt zutiefst miteinander verknüpft sind. „Man kann die Natur nicht verteidigen, wenn man nicht jeden Menschen verteidigt", hält das Schreiben fest. Gerade unter jungen Menschen sei die Vorstellung der „Sünde gegen das menschliche Leben" zu entwickeln. Statt einer „Kultur des Wegwerfens”, deren fatale Auswirkungen Papst Franziskus oft beklagt, sei „Kultur der Fürsorge" zu entwickeln.
Hauptort einer solchen Erziehung zur ganzheitlichen Ökologie sei die Familie: sie müsse zu einem „privilegierten Bildungsort werden, an dem man lernt, Mensch und Schöpfung zu respektieren". Ebenfalls wichtige Aufgaben kommen der Schule und der Universität zu. Der Heilige Stuhl regt an, bei den Schülern und Schülerinnen ein neues Modell von Beziehung zu fördern, das über den Individualismus hinausgeht und auf Solidarität, Verantwortung und Fürsorge setzt. Universitäten und Akademien sollten Lehre, Forschung und Dienst an der Gesellschaft neu um das Rückgrat der integralen Ökologie ausrichten und Studierende für Berufe qualifizieren, die positive Umweltveränderungen ermöglichen. Besonders regt der Heilige Stuhl an, die Theologie der Schöpfung und der Beziehung des Menschen zur Welt zu vertiefen.
Die Verpflichtung zur Pflege des gemeinsamen Hauses sei „ein integraler Bestandteil des christlichen Lebens" und nicht eine zweitrangige Option, heißt es in dem Dokument. Zugleich biete das Thema starke ökumenische und interreligiöse Anknüpfungspunkte: Mit ihrer Weisheit können die Religionen einen zeitgemäßen, „kontemplativen und nüchternen" Lebensstil fördern, der „den Verfall des Planeten” aufhalte.
Nahrung, Wasser, Landraub
Der zweite Teil des Dokuments beginnt mit dem Thema Lebensmittel und einem Verweis auf Franziskus, der daran erinnerte, dass „Nahrung, die weggeworfen wird, gleichsam vom Tisch des Armen […] geraubt wird“ (Laudato Si, 50). Verschwendung von Nahrungsmitteln sei ein Akt der Ungerechtigkeit, es brauche eine „diversifizierte und nachhaltige" Landwirtschaft. Der Heilige Stuhl mahnt auch zum Kampf gegen Landraub und gegen Verschmutzung durch agroindustrielle Großunternehmen. Wasser, so heißt es weiter, sei „ein grundlegendes Menschenrecht", das man nicht privatisieren dürfe.
Mit Nachdruck fordert der Heilige Stuhl auch den Ausstieg aus der Kohle und stattdessen Investionen in saubere, erneuerbare und für alle zugängliche Energie. Dazu müssten Subventionen für fossile Brennstoffe überdacht und Steuern auf CO2-Emissionen erhoben werden. Dringend notwendig sei der weitere Ausbau der Recycling-Wirtschaft, weil diese die verfügbaren Rssourcen langfristig nutzt. Überhaupt gelte es den Begriff „Abfall” zu überwinden: jede Ressource habe Wert. Das Vatikandokument verweist hier auf technologische Innovation.
Im Bereich Arbeit und Beschäftigung spricht sich der Heilige Stuhl in dem neuen Dokument für eine vielschichtige Strategie aus, um Armut zu beseitigen: menschenwürdige Arbeit, gerechte Löhne, Kampf gegen Kinder- und Schwarzarbeit sowie gegen Sklaverei und Menschenhandel. Nicht die Rede ist von einem bedingungslosen Grundeinkommen für arbeitende Arme, wie Papst Franziskus es am Ostersonntag in einem Brief an Beschäftigte im informellen Bereich angeregt hatte.
Finanzwelt muss ihren Beitrag leisten
Auch die Finanzwelt muss ihren Beitrag leisten, heißt es in dem Schreiben aus dem Vatikan. Sie müsse das Gemeinwohl im Blick haben und versuchen, Armut auszurotten. An dieser Stelle verurteilt der Heilige Stuhl Spekulationen auf dem Rücken Benachteiligter in der Corona-Pandemie. Steuerparadiese seien zu schließen, Finanzinstitutionen, die in illegale Geschäfte verwickelt sind, zu bestrafen und die Kluft zu verringern zwischen denen, die Zugang zu Krediten haben, und denen, die keinen Zugang haben.
Die Klimaproblematik habe eine tief greifende ökologische, ethische, wirtschaftliche, politische und soziale Relevanz, „die sich vor allem auf die Ärmsten auswirkt", so das Dokument. Deshalb brauche die Welt „ein neues Entwicklungsmodell", das den Kampf gegen den Klimawandel und den Kampf gegen die Armut synergetisch miteinander verbindet, und zwar – so der Heilige Stuhl - „im Einklang mit der Soziallehre der Kirche". Man könne „nicht alleine handeln kann", so das Papier mit einem unausgesprochenen Verweis auf die besondere Verantwortung reicher Nationen. Der Heilige Stuhl benannte eine Verpflichtung zu einer CO2-armen, nachhaltigen Entwicklung. Dazu gehöre die Wiederaufforstung von Regenwäldern wie in Amazonien und die Unterstützung des internationalen Prozesses, der darauf abzielt, die Kategorie „Klimaflüchtling" zu definieren, um den „notwendigen rechtlichen und humanitären Schutz" zu gewährleisten.
Umweltschutz im Vatikanstaat?
Das letzte Kapitel des Dokuments widmet sich den ökologischen Bemühungen des Staates des Vatikanstadt. Der Papst-Staat setzt die Vorgaben aus Laudato Si in vier Bereichen um, heißt es hier: Umweltschutz (z.B. Einführung einer getrennten Abfallsammlung in allen Einrichtungen); Wasserschutz (z.B. geschlossene Kreisläufe für Brunnenwasser); Pflege von Grünflächen (z.B. schrittweise Reduzierung schädlicher Pflanzenschutzmittel) und Energieverbrauch. Seit 2008 ist auf dem Dach der Aula Nervi eine Photovoltaikanlage installiert, und die neuen Beleuchtungssysteme in der Sixtinischen Kapelle, auf dem Petersplatz und im Petersdom senkten den Stromverbrauch bzw. die Kosten um bis zu 80 Prozent.
Seltenheit: ein Vatikan-Dokument mit vielen Eltern
An dem Dokument haben viele Einheiten im Vatikan mitgewirkt, was nicht häufig vorkommt. Erzbischof Paul Richard Gallagher, der „Außenminister“ des Heiligen Stuhles, sprach bei der Vorstellung des Schreibens am Donnerstag im Vatikan von einem „dikasterienübergreifenden Tisch des Heiligen Stuhles zur integralen Ökologie“. Als mitwirkende Einheiten nannte er die Glaubenskongregation, das Dikasterium für Laien, Familie und Leben, das Dikasterium für Kommunikation, die vier päpstlichen Räte für die Einheit der Christen, für den interreligiösen Dialog, für die Kultur und für die Förderung der Neuevangelisierung, darüber hinaus die Päpstlichen Akademiene für Wissenschaft und für Sozialwissenschaft, die Bischofssynode, viele Bischofskonferenzen und deren Zusammenschlüsse, die Vereinigungen der Ordensoberen und der Ordensoberinnen sowie einige NGOs wie die („Coopération Internationale pour le Développement et la Solidarité“, also: „Internationale Zusammenarbeit für Entwicklung und Solidarität“, eine Dachorganisation für katholischen Entwicklungsagenturen von Europa und Nordamerika.) Auch die Apostolischen Nuntiaturen, die Botschaften des Heiligen Stuhles in den Ländern der Welt, hätten mitgewirkt, indem sie nachahmenswerte lokale Beispiele der Umsetzung von „Laudato Si“ schilderten, so Gallagher.
(vatican news - gs)
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