Vatikan: Wiener Kurienpriester auf Mission in Polarregion
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Michael Weninger: Gerade so Pastoralreise mache ich sehr gerne aus der Überzeugung heraus, dass auch in den entfernten Gegenden der Welt, wo selten oder überhaupt nie ein Priester hinkommt, dass man auch diese Menschen betreuen muss. Papst Franziskus sagt, wir sollen an die Grenzen der Gesellschaft gehen, und dass wir Stallgeruch annehmen sollen, den Staub an den Schuhen der Straßen sehen müssen, die wir gehen. Das habe ich mir wirklich zu Herzen genommen.
Pope: Wo genau waren Sie unterwegs?
Michael Weninger: Voriges Jahr habe ich eine Pastoralreise unternommen ins Herz Sibiriens, im Permafrost, und bin herumgereist von einer christlichen Gemeinde zur anderen. Zu Weihnachten 2018/2019 war ich auf der Insel Sankt Helena.
Pope: Und dieses Jahr?
Michael Weninger: Heuer habe ich mir den Südatlantik vorgenommen, schon lange vorher, da es ja keine Möglichkeit gibt, mit Flugzeugen dorthin zu gelangen, nur mit besonderen Schiffen. Im Südatlantik gibt es gerade einmal drei Priester für den riesigen Raum zwischen Kapstadt, Kap der guten Hoffnung und Feuerland, Kap Horn. Drei Priester! Ein Priester auf St. Helena und zwei auf den Falkland-Inseln. Diese drei Priester können im Normalfall die anderen Inseln nicht bereisen. Die Schiffmöglichkeiten sind äußerst kompliziert, entweder man muss nach Südafrika oder nach Argentinien reisen, von dort weiter mit Schiffen.
Pope: Und das haben Sie getan.
Michael Weninger: Das habe ich jetzt getan, bin nach Kapstadt gereist, habe die erste Station in Tristan da Cunha genommen, eine Insel mit wenigen Bewohnern, alles Fischer und Langustenzüchter. Und diese kleine Gemeinschaft hat, was mich sehr geschmerzt hat, zwei Kirchen: eine protestantische und eine katholische. Nur wenige Leute, dennoch sind die ökumenisch getrennt. Ich habe dort einen ökumenischen Gottesdienst angeboten, und siehe da, es sind doch nicht wenige gekommen, die um einen Segen gebeten haben. Der Aufenthalt war nur kurz, wegen der Witterungsbedingungen, aber es war sehr schön zu sehen wie dankbar die Menschen waren, dass wieder einmal ein Priester da war. Nur einmal im Jahr kommt einer.
Pope: Was wünschen sich die Leute von einem Priester, wenn er mal kommt?
Michael Weninger: Das erste war immer die Bitte: padre, por favor, una bendición. Die Menschen wollen gesegnet werden. Schwierige Lebensumstände, raue See - die Menschen wissen nie, wenn sie zur See fahren, ob sie lebend zurückkommen. Wenn eine Frau gebiert, weiß man nicht, ob die Frau oder das Kind vielleicht stirbt. Was sie dringend wollen und erbitten, ist Segen. Und dann auch sakramentale Betreuung, sei es das Sakrament der Versöhnung oder die Heilige Messe. Wenn ein Priester einmal im Jahr kommt, hat er so viele Hostien dabei, dass es für das ganze Jahr reicht, die Kommunion wird dann von den ausgewählten Laien gespendet, meistens sind es Frauen, die dann Wortgottesdienste halten mit Kommunionfeiern, mit den Hostien, die der Priester einmal im Jahr vorbeibringt. Segen, Trost, Zuspruch. Versöhnung mit sich und mit unserem Erlöser.
Pope: Wie war eigentlich die lange Anreise auf dem Schiff?
Michael Weninger: Mit dem Schiff allein von Kapstadt nach Tristan da Cunha waren wir fünf Tage auf See, ich gebe zu, raue Tage mitunter, die halben Mitreisenden, so viele waren wir ja nicht, sind krank in ihren Kajüten gelegen. Es ist nicht einfach zu reisen mit der rauen See des Südatlantik.
Pope: Die nächste Station war die Insel Süd-Georgien…
Michael Weninger: In der Hauptstadt wohnen gerade zehn Menschen. Dort gibt es eine kleine Kirche. Wahrscheinlich die südlichste Kirche, die öffentlich zugänglich ist. Eine norwegische Walfängerkapelle im Grunde. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es dort große Walfangunternehmungen, und die norwegischen Gläubigen wollten eine Kapelle haben. Die gibt es heute noch, schön restauriert. Ich habe dort in dieser lutherischen Walfängerkapelle einen ökumenischen Neujahrsgottesdienst gefeiert, und ich muss sagen, die Kirche war bummvoll! Mit den Bediensteten und Mitreisenden des Schiffes. Wir waren der Kälte wegen in den Anoraks und Stiefeln und Überhosen, ich die Stola über dem Anorak. Authentisch! Es gab auch zwei Künstler auf dem Schiff, Südafrikaner, die musiziert haben, es steht ein kleines Harmonium in diesem Kirchlein, und der zweite Künstler hat gesungen, und wir drei haben diesen Neujahrsgottesdienst gestaltet, das Ergebnis war schön und berührend und die Menschen waren glücklich, dass sie so etwas erleben haben dürfen so weit im Nichts eigentlich, und noch dazu am Anfang des neuen Jahres.
Pope: Und mutmaßlich wenige Katholiken dabei?
Michael Weninger: Ob alle katholisch waren, da habe ich nie gefragt. Jeder ist willkommen, und der Herr freut sich über jeden, der kommt. Ich habe immer alle eingeladen zum Gebet, zur Schriftlesung, dazu, an die zu Hause Gebliebenen und an die Verstorbenen zu denken, und ich habe schon auch, bescheiden, die katholische Messe gefeiert. Das wurde immer akzeptiert und interessanterweise von den protestantischen Mitreisenden mehr angenommen als von den katholischen.
Pope: Woran liegt das?
Michael Weninger: Ich habe zwei Damen gefragt, die sagten, ja unser Pastor kann das nicht so emotional sagen. Offenbar gibt es ein emotionales Manko, das wir ausfüllen konnten mit der stimmigen Umgebung. Die herrliche Natur, vor der Kapelle heulen die Robben, die Pinguine schauen beim Fenster rein, das ist natürlich etwas Besonderes. Das erlebt man nur einmal. Die protestantischen Mitchristen haben das mit Begeisterung angenommen.
Pope: Robben und Pinguine, was für einen Eindruck hat Ihnen diese Begegnung mit einer rauen Natur, mit wenigen, isoliert lebenden Menschen, mit Tieren gemacht?
Michael Weninger: Große Demut. Wie klein der Mensch ist vor der Gewalt dieser Natur. Und wie überheblich der Mensch dieser übergroßen Natur gegenübertritt. Da habe ich an die Enzyklika gedacht und das, was Papst Franziskus uns immer einschärft: Bewahrung der Schöpfung – und Lobpreis Gottes durch die Schöpfung. Wenn ich an den Stränden entlanggegangen bin, musste ich aufpassen, dass ich nicht über Robben stolpere, und wie ich einmal über eine stolpere, da schaut sie mich an mit ihren Kulleraugen und denkt sich, was für ein blödes Vieh ist da unterwegs…! Es ist ein Schöpfungserlebnis. Die wenigen Blumen, die im Sommer dort kurze Zeit blühen, wo nie Menschen hinkommen – die blühen nicht für die Menschen. Das ist Lobpreis des Schöpfers. Auch die Tiere dort, Seelöwen, Seeelefanten, unterschiedliche Arten von Pinguinen, Robben, das ist Lobpreis Gottes. Und wir Menschen zerstören mutwillig auch durch Dummheit diese Schöpfung. Wir Menschen zerstören unser eigenes Paradies.
Pope: Was war Ihre letzte Station im Südatlantik?
Michael Weninger: Auf dieser Reise habe ich auch Basecamps besucht. Wissenschaftliche Stationen im Ewigen Eis, wo noch weniger Priester hinkommen. Die erste Polarstation war Orcadas, eine argentinische Polarstation, wo es in einem der wissenschaftlichen Container sogar eine kleine Kapelle gibt, mit der Muttergottes von Lujan. Natürlich waren die Männer und Frauen dort voller Begeisterung, sie haben schon gewusst, gleich kommt ein Priester auf die Station, weil das Schiff das schon mit Funk vorausgemeldet hat…
Pope: Und haben sich gefreut…
Michael Weninger: Und wie! Sofort habe ich segnen müssen, Padre, una bendicion, por favor. Ich habe eine kleine Andacht gehalten in der Kapelle. Die nächste Polarstation war Camara auf Half Moon Islands, am Scheitel des Halbmonds gibt’s eine Polarstation. Die ist aber nur vier Monate im Jahr besetzt.
Pope: Was lernen Sie als Priester, gerade als Kurienpriester, von solchen außergewöhnlichen Einsätzen, was nehmen Sie mit zurück in den Vatikan, was Sie da für Ihre Arbeit brauchen?
Michael Weninger: Dass wir Papst Franziskus in seiner Mission mehr und stärker unterstützen müssen, dass wir mehr auf den Heiligen Vater hören sollen in dieser Hinsicht: Bewahrung der Schöpfung, Zugehen auf die Menschen. Wir sind ja Diener. Diener! Mitarbeiter im Weinberg des Herren. Ich habe meinen persönlichen Schluss daraus gezogen, dass ich in Zukunft mehr solcher Reisen tun werde. Ich erfreue mich bester Gesundheit, sodass ich neue Pläne habe, in noch entlegenere Weltgegenden zu reisen, um den Menschen, die dort leben, Hoffnung zu vermitteln und ihnen zu zeigen, du Bruder, du Schwester – du bist nicht allein. Es gibt Leute, die an dich denken. Und eine Zeitlang, zumindest, bilden wir eine Gemeinschaft, wir draußen und ihr hier. Ich habe jetzt schon eine Reise vorbereitet von Nordalaska die Aleuten entlang zum russischen Eismeer – im heurigen Sommer.
(vatican news)
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