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Prälat Markus Graulich, Untersekretär im Päpstlichen Rat für Gesetzestexte Prälat Markus Graulich, Untersekretär im Päpstlichen Rat für Gesetzestexte 

Kinderschutzgipfel: „Auch über Kirchenrecht reden“

Im Programm des bevorstehenden Kinderschutzgipfels kommt das Thema Kirchenrecht nur am Rande vor. Diesen Eindruck hat der Untersekretär des päpstlichen Rates für die Gesetzestexte, der deutsche Kirchenrechtler P. Markus Graulich. Stefan von Kempis sprach mit ihm.

Pater Graulich, wie blickt der Kirchenrechtler auf die Kinderschutzkonferenz?

Graulich: „Mit großer Spannung. Denn die Lösung dieser Probleme ist im Kirchenrecht grundgelegt. Es steht aber in der bisherigen Einlassung nicht sehr im Vordergrund, so ist mein Eindruck. Es sind viele spirituelle Erwägungen, soziologische und psychologische Erwägungen, aber die eigentlichen Fragen, wie gehen wir damit um auf einer rechtlichen Ebene, wie wird die Verantwortung eines Bischofs klar geregelt, wie können wir diesen Ruf nach Verantwortung des Bischofs auch im Behandeln dieser Fälle rechtlich nachvollziehen, wie kann man ihn dafür zur Rechenschaft ziehen, das braucht ja auch eine rechtliche Basis - diese Fragen habe ich jetzt noch nicht so häufig gehört. Deshalb bin ich gespannt, ob und wie sie dann angesprochen werden.“

„Die Normen sind klar genug, sie müssten nur angewandt werden“

Pope: Hat das Kirchenrecht hinreichende Instrumente, um mit dem Problem Missbrauch fertig zu werden?

Graulich: „Das Kirchenrecht im weitesten Sinn schon. Im Kodex ist die Frage sehr allgemein dargestellt, es wird erklärt, dass der Missbrauch von Minderjährigen einen Straftatbestand darstellt. Aber zum Kirchenrecht gehören noch weitere universale und teilkirchliche Normen, und da gibt es eigentlich ein ausreichendes Instrumentarium, seit spätestens 2001, seit „Sacramentum sanctitatis tutela“. Das sind die Normen der Glaubenskongregation, die dann 2010 nochmal erneuert wurden. Eigentlich müsste jeder, der die Normen anzuwenden versteht, damit zurechtkommen. Dieses Instrumentarium ist ausreichend, es umreißt die Tatbestände und die Vorgehensweise klar genug, in Verbindung mit dem allgemeinen Kodex – es müsste nur angewandt werden.“

Hier zum Hören:

Pope: Nun hat der Kodex des Kirchenrechts nicht nur Freunde. Einige werfen ihm vor, er habe eine zu starre Zweiteilung zwischen Laien und Klerikern, was Missbrauchsstrukturen begünstigen könnte.

Graulich: „Die Zweiteilung ist im Kodex vorhanden, weil es sie in der Kirche gibt. Und der Kodex sagt genauso wie die Konzilien der Kirche, dass die Aufteilung in Kleriker und Laien, also in Amtsträger und Nicht-Amtsträger geistlicher Art, mit der Institution der Kirche zusammenhängt, so dass wir das nicht ändern können. Der Kodex hat aber - genauso wie das Konzil das in Lumen Gentium getan hat, bevor es eingeht auf die Frage von Hierarchie, Klerus, Laien - die allgemeinen Rechte und Pflichten der Gläubigen umschrieben. Er geht auch aus von der gemeinsamen Teilnahme an der Sendung, die sich ergänzt zwischen allgemeinem Priestertum und dem geweihten Priestertum, und kennt da sehr viele der Beispruchsrechte, Gremien, Räte, die müssten nur halt auch richtig genutzt werden. Natürlich gibt es die Zweiteilung, aber die ist nicht an sich schon schlecht, sondern sie wird vielleicht schlecht umgesetzt.“

„Ich habe den Eindruck, viele Bischöfe haben nicht genügend Kenntnis des Kirchenrechts“

Pope: Wenn Sie als Kirchenrechtler das Wort ergreifen könnten, was würden Sie den Vorsitzenden der Bischofskonferenzen dort sagen, was die nicht womöglich schon wissen?

Graulich: „Die sollten eigentlich alles wissen, was man ihnen sagen könnte! Zunächst einmal würde ich sagen, dass der Bischof der Priester seiner Priester ist. Es müsste jeder Bischof der Seelsorger der Menschen sein, die er in seinem Bistum mit der Seelsorge beauftragt. Er muss ihnen nahe sein, er muss sie begleiten, muss auch ein offenes Ohr für sie haben. Es kann nicht sein, dass Priester oder pastorale Mitarbeiter monatelang warten müssen, bis sie einmal eine Chance haben, mit dem Bischof zu reden. Das ist kein Aspekt des Missbrauchs, aber wenn ich mich nicht wohlfühle, ob auf dem Arbeitsplatz oder in der Ehe, und keine Möglichkeit habe, mich auszutauschen mit demjenigen, der etwas ändern kann, dann kann das auch dazu führen, dass ich mir andere Lösungen suche... Dann: das Kirchenrecht lesen und anwenden. Ich habe den Eindruck, viele Bischöfe haben nicht genügend Kenntnis des Kirchenrechts. Oder sie haben einfach andere Erfahrungen gemacht und denken dann, nun, das haben wir doch immer schon so gemacht, im Kirchenrecht steht das anders? Ja gut, wir machen das jetzt weiter so…“

„Strafen sind Teil des Heilungsprozesses“

Pope: Was steht im Kirchenrecht zur Anzeigenpflicht bei Missbrauchsfällen? Muss ein Bischof damit gleich zur Justiz oder kann er sich daran vorbei mogeln?

Graulich: „Mogeln würde ich nicht sagen. Er muss zunächst eine Voruntersuchung machen, das heißt er muss klären, ist an dem Vorwurf was dran, kann das sein. Oft gibt es auch Vorwürfe, die keine Basis haben. Und man stellt fest, der Priester war zu dem Tag gar nicht an dem Ort, wo es passiert wäre, oder es waren da immer Leute dabei, die ganz andere Aussagen machen. Es gibt also die Voruntersuchung, die investigatio praevia, und anschließend muss er dann einen kanonischen Prozess führen. Das heißt im Fall des Missbrauchs: die Dinge sammeln, an die Glaubenskongregation schicken und abwarten, wie er weiter vorgehen muss. An die weltliche Justiz gibt es eine Meldepflicht bei den schweren Fällen, sofern das staatliche Recht das vorsieht; das steht auch in Sacramentum sanctitatis tutela. Natürlich gehört es dazu, dass jemand seiner gerechten Strafe entgegengeht und sie annimmt, das ist für mich immer Teil des Heilungsprozesses, Strafen sind ja nicht nur zum Strafen da, sondern auch zum Heilen. Ich kann, wenn ich etwas getan habe und die entsprechende Strafe verbüße, von vorn anfangen, und wenn ich sie nicht verbüße, ist mir der Neuanfang verwehrt. Strafe hat auch etwas Heilsames.“

„Für eine Kultur des offenen Austausches über Sexualität“

Pope: Das Thema Missbrauch hat in der Kirche viel aufgewühlt. In Deutschland heißt es oft, jetzt müsse über alles ohne Tabu gesprochen werden, z.B. Homosexualität, Zölibat. Gehören diese Themen auf den Prüfstand?

Graulich: „Ich meine, dass es da keinen unmittelbaren Zusammenhang gibt. Ich komme ja auch von der Pädagogik her – wenn man aus der pädagogischen Erfahrung mit Missbrauch zu tun hat, dann ist es in der Regel Missbrauch in der Familie. Alle Statistiken sagen uns, die Mehrzahl der Missbräuche geschehen innerfamiliär, Tanten, Onkel, Brüder, Väter, Cousins, Cosinen, undsoweiter. Von daher ist die Forderung, den Zölibat zu streichen, nicht der richtige Weg. Natürlich hat es alles mit der Ausbildung zu tun. Letztes Jahr habe ich in Italien einen Vortrag zum Thema gehalten über diese Fragen von Missbrauch und die Priester dazu aufgefordert, ein Ambiente zu schaffen, in dem Opfer von Missbrauch in der Familie oder im anderen Umfeld Gehör finden und ihnen Glauben geschenkt wird. Und einer sagte, er sei jetzt seit 60 Jahren Priester, und es wurde noch nie so offen über Sexualität gesprochen. Vielleicht so eine Kultur des offenen Austausches über Sexualität, auch der zölibatären Sexualität. Die wäre erforderlich. Deswegen muss man nicht den Zölibat abschaffen. Die evangelische Kirche hat genauso ein Problem mit Missbrauch wie wir, und die leben nicht zölibatär; die Sportvereine haben die Probleme, die Lehrer in den Schulen, und der größte Teil geschieht in den Familien. Da muss man den Blick weiten, das hat auch Franziskus angedeutet in einem seiner Interviews auf dem Rückflug von Panama, wo er sagte, als Kirche gehen wir da voraus, um auch Familie und Gesellschaft Beispiel zu geben in der Aufarbeitung.“

„Ehrlichkeit! Wir dürfen nicht sagen: Das kann doch gar nicht sein“

Pope: Angenommen, gleich ruft Franziskus bei Ihnen an und fragt, Pater Graulich, worauf muss ich achten bei der Kinderschutzkonferenz, was sagen Sie ihm da?

Graulich: „Ehrlichkeit! Dass wir wirklich annehmen, was uns gesagt wird, auch über Bischöfe, auch über Kardinäle, und nicht zunächst sagen, das kann doch gar nicht sein. Papst Benedikt hat das in seinem Brief an die irischen Katholiken seinerzeit geschrieben, ihr habt oft darunter gelitten, dass euch keiner zugehört und keiner geglaubt hat. Das ist der erste Schritt. Und dann Netzwerke aufzudecken und mit aller Ehrlichkeit schauen , wo stehen wir, und was können wir dagegen tun.“

(vatican news)

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20. Februar 2019, 14:28