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An ihn war der Brief von Kardinal Ouellet gerichtet: Der ehemalige Nuntius in Washington, Erzbischof Carlo Maria Vigano, auf einem Archivbild An ihn war der Brief von Kardinal Ouellet gerichtet: Der ehemalige Nuntius in Washington, Erzbischof Carlo Maria Vigano, auf einem Archivbild 

„Aber kommen wir zu den Fakten“: Der Brief von Kardinal Ouellet in voller Länge

Es hat keine Sanktionen gegen Kardinal McCarrick gegeben, weder habe Benedikt XVI. sie ausgesprochen, noch Papst Franziskus sie zurückgenommen: Ein offenere Brief des zuständigen Kurienkardinals Marc Ouellet an ex-Nuntius Viganò von diesem Sonntag stellt das klar. Hier der vollständige Brief.

An diesem Sonntag veröffentlichte der Vatikanische Pressesaal einen offenen Brief von Kurienkardinal Marc Ouellet, Präfekt der Kongregation für die Bischöfe, an Carlo Maria Viganò, der in einem ebenfalls offenen Brief Anklagen gegen Papst Franziskus und hohe Kurienmitarbeiter erhoben hatte. Lesen Sie hier eine Arbeitsübersetzung des Briefs.

 

Lieber Bruder im Bischofsamt Carlo Maria Viganò,

In deinem letzten Brief an die Medien, in dem du Vorwürfe gegen Papst Franziskus und die Römische Kurie erhebst, bittest du mich, die Wahrheit über Tatsachen zu sagen, welche du als Zeichen einer endemischen Korruption interpretierst, die in die Kirchenhierarchie vorgedrungen sei – ja sogar bis in die höchsten Ebenen. Mit päpstlicher Erlaubnis und in meiner Eigenschaft als Präfekt der Kongregation für die Bischöfe möchte ich hier mein persönliches Zeugnis zu den Ereignissen anbieten, die den emeritierten Erzbischof von Washington, Theodore McCarrick, und seine angeblichen Verbindungen zu Papst Franziskus betreffen.

Es sind Ereignisse, die Gegenstand deiner öffentlichen Anklage und deiner Forderung nach dem Rücktritt des Heiligen Vaters sind. Ich schreibe dieses Zeugnis auf der Grundlage meiner persönlichen Kontakte und meiner Kenntnis der Archivdokumente der oben genannten Kongregation, die derzeit Gegenstand einer Untersuchung sind, mit der dieser traurige Fall geklärt werden soll.

 

„Unverständlich und zutiefst verwerflich"

Ich erinnere mich an eine Zeit, in der ich deine Wertschätzung und dein Vertrauen genossen habe. Nun aber muss ich feststellen, dass ich in deinen Augen die Würde verloren habe, die du mir zugestanden hast – und das nur, weil ich den Richtlinien des Heiligen Vaters treu geblieben bin in dem Dienst, den er mir in der Kirche anvertraut hat. Ist die Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri etwa nicht Ausdruck unseres Gehorsams Christus gegenüber, der ihn erwählt hat und ihn mit seiner Gnade unterstützt? Meine von Amoris Laetitia, welche du kritisierst, basiert auf der Treue zur lebendigen Tradition, die Franziskus erst unlängst wieder mit der Änderung des Katechismus der Katholischen Kirche in Sachen Todesstrafe unter Beweis gestellt hat.


„Ich bezweifle stark ..."

Aber kommen wir zu den Fakten. Du sagst, du hättest Papst Franziskus am 23. Juni 2013 über den Fall McCarrick informiert, und zwar im Rahmen einer Audienz, die er dir und vielen anderen päpstlichen Botschaftern, die er an diesem Tag zum ersten Mal traf, gewährt habe. Ich kann mir gut vorstellen, mit welcher Menge mündlicher und schriftlicher Informationen über so viele Menschen und Situationen der Heilige Vater bei dieser Gelegenheit konfrontiert wurde. Ich bezweifle stark, dass McCarrick ihn so sehr interessiert hat, wie du uns glauben machen willst: ein 82-jähriger Erzbischof im Ruhestand, der seit sieben Jahre keinen Posten mehr bekleidet hat. Deshalb stand in den schriftlichen Instruktionen, die dir die Kongregation für die Bischöfe zu Beginn deines Dienstes 2011 überreicht hat, auch nichts über McCarrick – ich habe dich lediglich mündlich über seine Situation als emeritierter Bischof informiert, der wegen Gerüchten über sein Verhalten in der Vergangenheit bestimmte Bedingungen und Einschränkungen beachten müsse.

Seit ich am 30. Juni 2010 Präfekt dieser Kongregation wurde, habe ich den Fall McCarrick nie bei einer Audienz mit Papst Benedikt XVI. oder Papst Franziskus zur Sprache gebracht. Das ist erst geschehen, nachdem er vom Kardinalskollegium ausgeschlossen wurde.

 

Beschränkungen, keine Sanktionen

Um weiteren Gerüchten über ihn keine Nahrung zu geben, hatte man den ehemaligen Kardinal, der im Mai 2006 in den Ruhestand gegangen war, nachdrücklich aufgefordert, nicht zu reisen und auch nicht in der Öffentlichkeit aufzutreten. Es ist falsch, diese gegen ihn ergriffenen Maßnahmen als „Sanktionen“ darzustellen, die von Papst Benedikt XVI. erlassen und von Papst Franziskus aufgehoben worden seien. Nach Durchsicht der Archive halte ich fest, dass von keinem der beiden Päpste diesbezüglich unterzeichnete Dokumente vorliegen, und auch keine Audienz-Note meines Vorgängers, Kardinal Giovanni-Battista Re, mit der der emeritierte Erzbischof McCarrick unter Androhung kanonischer Strafen zum Schweigen und zum Rückzug ins Privatleben verpflichtet wird.

„Es ist falsch, diese gegen ihn ergriffenen Maßnahmen als „Sanktionen“ darzustellen, die von Papst Benedikt XVI. erlassen und von Papst Franziskus aufgehoben worden seien.“

Der Grund dafür ist, dass im Gegensatz zu heute damals nicht genügend Beweise für seine angebliche Schuld vorlagen. Daher die von Umsicht geleitete Position der Kongregation und die Briefe, in denen mein Vorgänger und ich McCarrick – erst durch den Apostolischen Nuntius Pietro Sambi und dann durch dich – zu einem Leben des Gebets und der Buße ermahnten, zu seinem eigenen Wohl und dem der Kirche.

Wenn uns die Nuntiatur in Washington oder eine andere Quelle aktuelle und entscheidende Informationen über sein Verhalten gegeben hätten, wäre sein Fall Gegenstand neuer Disziplinarmaßnahmen geworden. Ich hoffe, wie so viele andere auch, dass uns die in den Vereinigten Staaten und der Römischen Kurie laufenden Ermittlungen aus Respekt vor den Opfern und im Namen der Gerechtigkeit bald einen kritischen Gesamtüberblick über die Abläufe und Umstände dieses schmerzlichen Falles geben werden, damit sich solche Ereignisse in Zukunft nicht wiederholen.

 

Wie konnte es zu den Beförderungen von McCarrick kommen?

Wie kann es sein, dass dieser Mann der Kirche, dessen Widersprüchlichkeit heute bekannt ist, mehrmals befördert wurde, ja sogar so hohe Positionen wie die des Erzbischofs von Washington und des Kardinals erreicht hat? Ich bin selbst überrascht darüber und muss feststellen, dass in seinem Fall im Auswahlverfahren Fehler unterlaufen sind. Ohne hier ins Detail zu gehen, muss man aber auch verstehen, dass die Entscheidungen des Papstes auf in einem präzisen Moment verfügbaren Informationen beruhen und Gegenstand eines vorsichtigen Urteils sind, das nicht unfehlbar ist.

Es erscheint mir ungerecht, den für den vorherigen Entscheidungsprozess Verantwortlichen Korruptheit vorzuwerfen, obwohl es in diesem konkreten Fall ratsam gewesen wäre, einige von Zeugen gelieferte Indizien genauer zu untersuchen. Außerdem hat es der Erzbischof auch verstanden, sich mit großem Geschick gegen die Vorwürfe zu verteidigen, die man gegen ihn erhoben hat.

Andererseits berechtigt uns die Tatsache, dass es im Vatikan Menschen geben mag, die in Fragen der Sexualität ein Verhalten an den Tag legen oder unterstützen, das den Werten des Evangeliums widerspricht, nicht, daraus verallgemeinernde Schlüsse zu ziehen oder den ein oder anderen – ja sogar den Heiligen Vater selbst – als unwürdig zu bezeichnen oder der Komplizenschaft zu beschuldigen. Sollten sich etwa nicht gerade die Diener der Wahrheit vor Verleumdung und Diffamierung hüten?

„Es scheint mir aus jeglicher Sicht unglaublich und unvorstellbar, Papst Franziskus zu beschuldigen, bewusst einen vermeintlichen Missbrauchstäter gedeckt zu haben.“

Lieber päpstlicher Botschafter emeritus, ich sage dir ganz offen: Es scheint mir aus jeglicher Sicht unglaublich und unvorstellbar, Papst Franziskus zu beschuldigen, bewusst einen vermeintlichen Missbrauchstäter gedeckt zu haben, sich so zum Komplizen der in der Kirche immer weitere Kreise ziehenden Korruption gemacht zu haben und damit unwürdig zu sein, seine Reform als oberster Hirte der Kirche fortzusetzen.

Ich kann nicht verstehen, wie du zu einer solch monströsen, jeder Grundlage entbehrenden Anschuldigung kommen konntest. Franziskus hatte nichts mit McCarricks Beförderungen in New York, Metuchen, Newark und Washington zu tun [die Orte, wo McCarrick als Bischof war, Anm. d. Red.]. Er hat ihm seine Kardinalswürde entzogen, als eine glaubwürdige Anschuldigung des Missbrauchs eines Minderjährigen vorlag.

 

Selbsternannter Papstberater McCarrick

Ich habe auch noch nie gehört, dass Papst Franziskus diesen selbsternannten Papstberater in Sachen amerikanischer Bischofsernennungen irgendwann erwähnt hätte – obwohl er doch aus dem Vertrauen, das er einigen kirchlichen Würdenträgern entgegenbringt, sonst wirklich keinen Hehl macht! Ich vermute, dass einige dieser Würdenträger weder deine Sympathie noch die deiner Freunde genießen, die deine Interpretation der Fakten teilen. Ich finde es jedoch verabscheuungswürdig, dass du den Missbrauchsskandal in den Vereinigten Staaten dazu benützt, der moralischen Autorität deines Vorgesetzten, des Papstes von Rom, einen beispiellosen und unverdienten Schlag zu versetzen.

„Ich finde es jedoch verabscheuungswürdig, dass Du den Missbrauchsskandal in den Vereinigten Staaten dazu benützt, der moralischen Autorität des Papstes einen unverdienten Schlag zu versetzen.“

Ich habe das Privileg, Papst Franziskus jede Woche zu langen Gesprächen treffen zu dürfen, bei denen es um die Bischofsernennungen und die Probleme geht, welche die Ausübung ihrer Ämter betreffen. Ich weiß sehr wohl, wie er mit Menschen und Problemen umgeht: mit viel Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Aufmerksamkeit und Ernsthaftigkeit, wie du ja selbst erlebt hast. Zu lesen, wie du dich zum Abschluss deiner – angeblich spirituellen – letzten Botschaft über den Heiligen Vater lustig machst und seinen Glauben in Zweifel stellst, erscheint mir wirklich sarkastisch, um nicht zu sagen blasphemisch! Das kann nicht vom Geist Gottes kommen.

„... erscheint mir wirklich sarkastisch, um nicht zu sagen blasphemisch!“

Lieber Bruder, ich möchte dir wirklich helfen, die Gemeinschaft mit dem wiederzuentdecken, der der sichtbare Garant der Gemeinschaft der katholischen Kirche ist. Ich verstehe, dass dein Weg im Dienst am Heiligen Stuhl von Bitterkeit und Enttäuschung begleitet war. Aber du solltest dein Priesterleben nicht mit einer offenen und skandalösen Rebellion ausklingen lassen, die der Braut Christi eine schmerzhafte Wunde zufügt, der besser zu dienen du vorgibst, während du doch in Wahrheit Spaltung und Verwirrung im Volk Gottes nur verschlimmerst!

 

„Bereue deine Revolte“

Was kann ich dir anderes antworten, als das: versteck dich nicht mehr, bereue deine Revolte und besinne dich darauf, dem Heiligen Vater statt Feindseligkeit wieder positive Gefühle entgegen zu bringen. Wie kannst du die heilige Messe feiern und im Eucharistischen Hochgebet Seinen Namen nennen? Wie kannst du den Rosenkranz beten, wie kannst du zum Erzengel Michael und zur Mutter Gottes beten, und den verurteilen, den sie jeden Tag beschützen und begleiten bei seinem schweren und mutigen Dienst?

Wenn der Papst nicht ein Mann des Gebets wäre; wenn er am Geld hängen würde; die Reichen bevorzugen würde statt der Armen; wenn er nicht eine unermüdliche Energie dabei an den Tag legen würde, allen Leidenden den großzügigen Trost seines Wortes und seiner Gesten zu schenken; wenn er nicht jede nur mögliche Anstrengung unternehmen würde, um in der Kirche und über ihre sichtbaren Grenzen hinaus allen die Freude des Evangelium zu verkünden und zu vermitteln; wenn er nicht den Familien, den verlassenen alten Menschen, den an Körper und Seele Kranken, und vor allem den jungen Menschen, die auf der Suche sind nach dem Glück seine Hand reichen würde, dann könnte man ihm vielleicht jemand anderen vorziehen, jemanden - in deinen Worten - mit einem anderen diplomatischen oder politischen Ansatz. Ich aber kann seine persönliche Integrität nicht in Zweifel ziehen, seine Hingabe an die Aufgabe und vor allem das Charisma und den Frieden, die ihm durch die Gnade Gottes und die Kraft des Auferstandenen gegeben sind.

„Eine aus politischem Kalkül inszenierte Geschichte, die jeder wirklichen Grundlage entbehrt, die den Papst belasten könnte; die aber der Gemeinschaft der Kirche schweren Schaden zufügt.“

Lieber Viganò, als Antwort auf deinen ungerechten und ungerechtfertigten Angriff komme ich daher zu dem Schluss, dass deine Anklage eine aus politischem Kalkül inszenierte Geschichte ist, die jeder wirklichen Grundlage entbehrt, die den Papst belasten könnte; die aber – ich wiederhole – der Gemeinschaft der Kirche schweren Schaden zufügt.

Möge Gott eine schnelle Wiedergutmachung dieser Ungerechtigkeit ermöglichen und Papst Franziskus weiter als der anerkannt werden, der er ist: ein hervorragender Seelsorger, ein resoluter und barmherzige Vater, eine prophetische Gnade für die Kirche und für die Welt. Möge er mit Freude und Vertrauen die missionarische Reform fortsetzen, die er begonnen hat – getröstet durch das Gebet des Volkes Gottes und die erneuerte Solidarität der ganzen Kirche, vereint mit Maria, der Königin des heiligen Rosenkranzes.

Marc Kardinal Ouellet

Präfekt der Kongregation für die Bischöfe
am Rosenkranzfest, 7. Oktober 2018

(vatican news)

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08. Oktober 2018, 15:16