Synode: „Gut gelungen ist die Passage über Machtmissbrauch“
Alain de Raemy: „Die ganze Frage der Übergriffe, des Machtmissbrauchs [ist im Dokument gut gelöst] – dass es nicht auf die sexuellen Übergriffe konzentriert ist, sondern generell auf diese Machtübergriffe. Wir haben viel davon geredet, dass die Begleitung eines Jugendlichen zur größten Freiheit des Jugendlichen führen sollte. Und oft ist bei manchen charismatischen Persönlichkeiten die Gefahr da, dass sie anstelle des Jugendlichen alles selber besser wissen möchten. Die Freiheit: Gott spielt mit unserer Freiheit mit. Gut gelungen im Dokument ist auch die Beschreibung der Berufung. Berufung heißt nicht, einem Plan Gottes zu entsprechen, sondern Gott gibt sich zu verstehen und will, dass unsere Freiheit darauf antwortet. Es ist nicht schon vorbestimmt. Aber man kann den Weg mit Gott machen, und so kommt man zu dem, was für die anderen durch uns gut ist.“
Pope: Alle Absätze des Dokuments wurden bei der Abstimmung am Schluss mit mindestens Zweidrittelmehrheit gebilligt. Der Absatz mit den meisten Nein-Stimmen war der Punkt über Homosexualität. Warum?
Alain de Raemy: „Ich glaube, für einige Bischöfe in manchen Kulturen ist Homosexualität immer noch ganz unverständlich. Man sollte eher die Jugendlichen davor schützen, nicht zu viel darüber reden, es ja nicht als „Beispiel“ vorkommen lassen, eines möglichen Daseins als Homosexueller. Es wird befürchtet, dass man irgendwie eine Normalität der Homosexualität predigen würde, wenn man sie als Homosexuelle respektiert und begleitet.“
Pope: Eine Sicht, die in Europa keine Mehrheit mehr findet…
Alain de Raemy: „Nein, in Europa ist es ganz klar. Der Homosexuelle leidet schon darunter, dass er anders fühlt, als es von ihm als Mann oder Frau erwartet wird. Und das ist oft ein Leiden. Es ist nicht so einfach, das zu erleben – es ist ja nicht gewollt. Und da muss man dabei sein.“
Pope: Interessant ist auch, dass es in einem Punkt des Dokuments, wie Sie hervorgehoben haben, um den Begriff Gender geht, ohne dass das Wort Gender fällt.
Alain de Raemy: „Es heißt in dem Satz: Das Mann- und Frausein gehört zur menschlichen Natur. Man ist Frau oder Mann. Und gleichzeitig darf man nicht daraus Stereotypen machen. Frau sein oder Mann sein heißt nicht, dass man einem Stereotyp entsprechen muss, dass eine Kultur oder Tradition oder Gewohnheiten gebracht haben, dass ein Mann sich so verhalten muss und eine Frau so sein muss – das gehört nicht unbedingt zum Mann- oder Frausein.“
Pope: Ein Anknüpfungspunkt für weiterführendes Denken?
Alain de Raemy: „Genau, das wird an einer anderen Stelle des Dokuments auch gesagt, wo es um sexuelle Orientierung und Mann- und Frausein geht. Da wird angeregt, dass man dieses Thema anthropologisch, philosophisch und theologisch noch weiter untersucht. Sodass man auch dort besser versteht, was heute passiert und was dem Menschsein entspricht oder nicht, und wie man darüber heute überhaupt kommunizieren kann.“
Pope: Was erwarten Sie sich vom postsynodalen Dokument, das der Papst mutmaßlich schreiben wird?
Alain de Raemy: „Es muss unbedingt kürzer sein! Aber wenn man Amoris laetitia sieht, habe ich meine Furcht…! Ich würde mir wünschen, dass er ein Dokument schreibt, damit die Grundgedanken, das Neue und Gute an diesem Dokument noch besser zum Vorschein kommt.“
Pope: In der Synode selbst haben Sie angeregt, der Vatikan möge für sich eine Art unabhängigen Jugendrat ins Leben rufen. Wie könnte das aussehen?
Alain de Raemy: „Wichtig ist, dass da Jugendliche ins Spiel kommen, dass es nicht Erwachsene sind, die für Jugendliche Programmieren oder sich für sie aussprechen. Und warum im Vatikan? Weil oft die Kirche von hier aus kommuniziert, und es ist wichtig, dass da auch für die Jugendlichen kommuniziert wird. Also dass da von Jugendlichen, in einer Sprache, das kann auch ein Video sein, gut verstanden wird, was die Kirche damit meint. Diese Jugendlichen könnten auch Themen einbringen. Was ist für die Jugendlichen heute wichtig? Das ist verschieden je nach Kontinent, deshalb sollten es auch Jugendliche aus verschiedenen Kontinenten sein, die beraten, worüber die Kirche sich vom Zentrum aus aussprechen sollte - und in einer verständlichen Art.“
Das Schlussdokument der Jugend-Bischofssynode liegt vorerst in italienischer Sprache vor, soll aber binnen weniger Wochen ins Deutsche übersetzt werden.
(vatican news – gs)
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