Der Synodenblog - Tag 6
Liebe Leserinnen und Leser,
heute Mittag haben wir die erste Phase der Synode abgeschlossen. Bischof Oster hat als Protokollant des circulus germanicus die Änderungswünsche unterschrieben, abgegeben und in der Aula einen Bericht aus unserer Gruppe vorgetragen. Ähnlich taten es auch die Vertreter der 13 anderen Sprachgruppen. Zur Feier des Tages wurde außerdem das 15-Uhr-Treffen aus unserem täglichen Programm gestrichen. Es fühlt sich ein bisschen wie Unterrichtsausfall in der Schule an. Entspannung macht sich breit. Das tut nach der ganzen Arbeit auch mal ganz gut. Schon gestern Abend genoss ich es, nicht bis spät abends an einer Sache arbeiten zu müssen, sondern Zeit für einen Spaziergang um den Vatikan zu haben – und natürlich für ein Gelato aus der Kulteisdiele ?Old Bridge“.
Ich muss ehrlich sein: Von den 10-Minuten-Berichten war ich heute etwas enttäuscht. Zwar wurden alle wichtigen Themen behandelt und es scheint große Einigkeit zu herrschen: Jugendlichen sagt die Sexualmoral der Kirche nichts, es gibt eine riesige Kluft zwischen den Jugendlichen und der Kirche, im Arbeitsdokument wird zu negativ von der Jugend gesprochen, die Digitale Welt birgt Chancen und Risiken, die Glaubensvermittlung funktioniert nicht mehr. Diese Punkte nur, um die wichtigsten zu nennen. Jedoch waren die Berichte voll von Apellen, Lösungsvorschlägen und Interpretationen. Dabei hatte der Papst die Synode doch mehrmals explizit auf einen anderen Weg eingeladen: Die erste Phase sollte nur dem Wahrnehmen dienen. Erst im nächsten Schritt sollte das Interpretieren kommen und darauf aufbauend mögliche Änderungen.
Wenn zwei Seiten nur Forderungen und Apelle aufstellen, stehen sich am Ende zwei stumme Wände gegenüber. Und genau das verändert gar nichts, sondern setzt beide Seiten gefangen.
Deshalb fand ich auch die Begegnung am Samstag so bezeichnend. Die ganze Synode wurde zu einem Jugendfest eingeladen. Die Jugend Roms gestaltete ein Fest aus Tanz, Musik und persönlichen Zeugnissen. Zuerst beeindruckten mich Zeugnisse von jungen Menschen in ihrer persönlichen Not: Der eine sprach von seiner Sucht nach Pornographie und der daraus entstandenen Unfähigkeit zu echter und wahrer Liebe sowie Treue in einer Beziehung. Eine junge Frau erzählte, wie sie begann, sich in den sozialen Medien zu inszenieren, aber dabei eigentlich nur Anerkennung suchte, weil sie von ihrer Mutter nicht geliebt wurde. Ein weiterer erzählte von seiner Flucht von zu Hause und wie er in der Einsamkeit Europas landete. Alle drei hatten an einer Stelle ihres Lebens eine Begegnung mit Gott, das zog eine radikale Bekehrung nach sich und bewirkte, dass sie sich seither für das Gute einsetzen. Berührend war auch die Geschichte einer Sozialarbeiterin, die erzählte, wie sie am Sterbebett eines jungen Mannes Zeugnis für den Glauben abgelegt hatte und er sich daraufhin in der letzten Phase seines Lebens bekehrt hat und in Hoffnung sterben konnte.
Je länger aber dieser Programmpunkt andauerte, je mehr Zeugnisse abgelegt wurden, desto bizarrer kam es mir vor. Alle Themen, die wir in der Versammlung besprechen, wurden hier von jungen Leuten idealtypisch erzählt, gespickt mit einer beeindruckenden Bekehrungsgeschichte. Alles zu schön, um wahr zu sein. Nicht, dass ich nicht daran glauben würde, dass Gott heilt und hilft. Das erlebe ich sogar sehr oft in der Begleitung. Aber ich erlebe es eher so, dass Menschen tief berührt werden, von manchem sogar frei werden. Dies ist jedoch erst der Beginn eines langen und mühsamen Glaubensweges mit Vor- und Rückwärtsschritten, bei der die anfängliche Begeisterung oftmals wieder abkühlt und/oder neu vertieft wird.
Am Ende all dieser Tanz-, Musik- und Glaubensvorführungen kam der Papst. Er hielt eine Rede und machte mal wieder den Franziskus: ?Also mich hat eigentlich vor allem Daniel beeindruckt. Er kam mir so ehrlich vor.“ Daniel hat erzählt, wie er mit 18 als Krimineller wegen eines Bankraubs ins Gefängnis kam. Im Gefängnis wurde er wegen seines gewalttätigen Verhaltens immer wieder diszipliniert. Nach einiger Zeit entwickelte er ein Vertrauensverhältnis zum Gefängniskaplan, der ihn in eine Gemeinschaft vermittelte, in der er seine Reststrafe durch ?Mitleben“ absitzen durfte. Das hat ihm richtig gut gefallen. Er fühlte sich angenommen, entdeckte den Glauben, wollte sich verbessern und war hochmotiviert, nachdem seine Strafe zu Ende war. Die Begeisterung und Motivation hielten aber nur sechs Monate an, danach geriet er wieder in der Spirale der Gewalt. Nach einiger Zeit begegnete er einem Sozialarbeiter, sprach regelmäßig mit ihm und bat um eine neue Zeit in dieser Gemeinschaft. Er lebte dort zwei Jahre mit. Daniel erzählte, dass er spüre wie anstrengend ein Bekehrungsweg ist, wie hart er an sich selbst arbeiten müsse, aber dass er jetzt hier stehe und hoffe, sein begonnenes Studium zu schaffen. Er würde auch nicht behaupten, dass er ein durch und durch Glaubender sei, aber er sehe, dass der christliche Glaube viele schöne und gute Seiten hat. Aber es ist eben ein mühsamer Weg. Er sei aber sehr dankbar für so viele stille und einfache Zeugen der Hoffnung, die an seiner Seite stehen.
Der Papst hat einen Riecher für das Echte! Der Gescheiterte, der es immer wieder neu versucht, der Mühe hat auf dem Weg, der kein Held des Glaubens ist, kein Botschafter der Hoffnung, sondern einer, der täglich und ehrlich um das Vertrauen in Gott ringt.
Das war es eben auch, was mich in den letzten Tagen am meisten überzeugt hat: Wenn die Bischöfe in unserer Gruppe von ihrer Ratlosigkeit, ihrem Ringen und Suchen nach dem richtigen Weg gesprochen haben. Das hat mich am meisten beeindruckt und ermutigt: Es ist gut, wenn Kirche von suchenden Menschen geleitet wird.
Was wäre wohl in den Gemeinden möglich, wenn es Abende gäbe, an denen man gemeinsam singt und gemeinsam betet und sich von seinem Glaubensweg erzählt. Von der Gewöhnlichkeit, den Herausforderungen, vom Schönen und Bestärkenden und von der eigenen Ratlosigkeit und vom Trotzdem des Vertrauens in Gott.
In meiner Kommunität in Frankfurt haben einige jüngere Jesuiten sich vor kurzem genau dazu getroffen – gemeinsam schweigend vor Gott sitzen, sein Wort betrachten. Anschließend sprach jeder fünf Minuten über das, was ihn in der Stille bewegt hat. Das liegt jetzt zwar schon einige Wochen zurück, trotzdem strahlt es immer noch in meinem Herz und gibt mir Kraft, meinen Weg als Jesuit zu gehen. Ich weiß, dass ich Brüder habe, die an vielen Orten und in anderen Situationen als meiner auch versuchen, ein Gefährte Jesu zu sein.
Dieses echte Erzählen und offene Zuhören haben das Potential, das Antlitz der Erde zu erneuern. Das weiß der Papst und nimmt deshalb die Versammlung der Bischöfe in die Schule des Zuhörens. Heute beim Vorlesen der Berichte aus den circuli minori konnte man feststellen, dass dies noch Zeit braucht. Vielleicht liegt der Fokus der Synode ja auch nur indirekt auf der Jugend. Vielleicht soll auch nur anhand ihr und ihrer Themen die Leitung der Kirche etwas lernen: das Zuhören.
In die Kraft Gottes vertrauen, Hoffnung haben, wahrzunehmen, hören, schauen und versuchen, den anderen erst einmal zu verstehen, ist ein mühsamer Weg. Man muss von sich selbst absehen, man muss warten können. Wir sind alle sehr schnell – oft zu schnell – darin, zu interpretieren, zu analysieren und für den anderen das Richtige zu kennen. Aber wenn es gelingt, den anderen zu verstehen und ihn ganz anzunehmen, schmelzen Barrieren, wird ein Monolog zu einem Dialog, entstehen echte, tiefe Beziehungen. Ja, dann wird sogar die Wandlung, das Aufleben von Menschen möglich.
Bis Morgen,
Clemens Blattert SJ
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