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Vatikan: Offener Brief von Kardinal Ouellet zu den jüngsten Anschuldigungen gegen den Heiligen Stuhl

Erzbischof Carlo Maria Viganò, der den Papst im Zug der Affäre um den US-amerikanischen Ex-Kardinal McCarrick zum Rücktritt aufforderte, hat Post aus dem Vatikan bekommen.

Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Kurienkardinal Marc Ouellet, der Präfekt der vatikanischen Bischofskongregation, erklärte in einem persönlichen Brief an den früheren Nuntius in den USA, weder Papst Benedikt noch Papst Franziskus hätten vor diesem Sommer Sanktionen gegen McCarrick ausgesprochen, weil „im Gegensatz zu heute keine hinreichenden Beweise über seine mutmaßliche Schuld“ vorgelegen hätten.

Papst Franziskus hatte McCarrick Ende Juli 2018 aus dem Kardinalstand entlassen, nachdem Anschuldigungen bekannt wurden, der Amerikaner habe als Priester Anfang der 1970er Jahre einen Messdiener belästigt. Bereits lange vorher zirkulierten allerdings Gerüchte, der Kardinal habe sich erwachsenen Seminaristen wiederholt unsittlich genähert.

Der Kanadier Ouellet ist seit Juni 2010 Präfekt der Bischofskongregation, sein Vorgänger war der italienische Kardinal Giovanni Battista Re. Wie Ouellet in dem am Sonntag vom Vatikan verbreiteten Brief bestätigte, habe die Bischofskongregation unter ihm selbst sowie bereits unter seinem Vorgänger den US-amerikanischen Kardinal McCarrick „zu einem zurückgezogenen Lebensstil, Gebet und Buße zu seinem eigenen Wohl und dem der Kirche“ aufgefordert. Diese Ermahnung sei über den Weg der Nuntiatur in Washington gelaufen und somit über Nuntius Erzbischof Viganò wie bereits über dessen Vorgänger Erzbischof Pietro Sambi.

„Es ist falsch, diese Maßnahmen als Sanktionen darzustellen, die von Papst Benedikt XVI. dekretiert und von Papst Franziskus aufgehoben wurden“

„Es ist falsch, diese Maßnahmen als Sanktionen darzustellen, die von Papst Benedikt XVI. dekretiert und von Papst Franziskus aufgehoben wurden“, schreibt Ouellet wörtlich. „Nach Prüfung der Archive halte ich fest, dass es weder Dokumente zu diesem Thema gibt, die die Unterschrift des einen oder des anderen Papstes tragen, noch eine Audienznote meines Vorgängers, die das Mandat erteilen würde, den emeritierten Erzbischof McCarrick mit dem Nachdruck kanonischer Strafen zur Stille und zum Rückzug ins Privatleben zu zwingen.“

McCarricks Fall wäre aber sehr wohl „Gegenstand neuer Disziplinarmaßnahmen gewesen, wenn die Nuntiatur in Washington oder irgendeine andere Quelle uns aktuelle und entscheidende Informationen über sein Verhalten geliefert hätten“, fährt Ouellet fort. Er sei selbst erstaunt darüber, dass ein Kirchenmann, dessen „Inkohärenz“ heute klar zutage trete, zum Erzbischof und Kardinal befördert worden sei; Ouellet räumt an dieser Stelle „Fehler im Auswahlprozess“ für McCarrick ein. Allerdings könnten Entscheidungen durch den Papst immer nur auf den jeweils zur Verfügung stehenden Informationen beruhen, die daher ein „nicht unfehlbares“ Urteil begründeten. Bestimmten Aussagen hätte man im Fall McCarricks entschlossener nachgehen müssen, doch der Prälat habe sich gegen die Zweifel an seinem Lebenswandel sehr glaubwürdig zu verteidigen gewusst.

„...in jeder Hinsicht unglaublich und unfassbar“

Dass es im Übrigen im Vatikan homosexuelle Priester geben könnte, „berechtigt uns nicht dazu, zu verallgemeinern“ und sogar den Heiligen Vater als unehrenhaft und als Komplizen darzustellen, schreibt Ouellet. Es scheine ihm „in jeder Hinsicht unglaublich und unfassbar“, dass Viganò Papst Franziskus beschuldige, „im vollen Bewusstsein der Sache diesen mutmaßlichen sexuellen Missbrauchstäter gedeckt zu haben, und somit Komplize der die Kirche schädigenden Verdorbenheit zu sein, bis zu dem Punkt, er sei unwürdig geworden, seine Reform als Oberhirte der Kirche fortzusetzen. Ich verstehe nicht, wie Du Dich von dieser monströsen Anschuldigung überzeugen lassen konntest, die nicht auf den Beinen steht.“ Franziskus habe nichts zu tun mit McCarricks damaligem Aufstieg in New York, Metuchen, Newark und Washington. Im Gegenteil habe der Papst den Kardinal aus dem Kardinalstand entlassen, „sowie eine glaubwürdige Anschuldigung des Missbrauchs eines Minderjährigen auftauchte“.

„Ich finde es abwegig, dass Du den ungeheuren Skandal rund um sexuellen Missbrauch in den Vereinigten Staaten dazu benutzt, der moralischen Autorität Deines Vorgesetzten, des Papstes, einen unerhörten und unverdienten Schlag zu versetzen!“

Er selbst, so Ouellet, treffe den Papst jede Woche und habe von ihm noch nie ein Wort über McCarrick als vorgeblichen Berater für Bischofsernennungen in den USA gehört, während Franziskus das Vertrauen, das er in andere Prälaten habe, nicht verstecke. „Ich leite daraus ab, dass diese nicht Deine Billigung und die Deiner Freunde genießen, die Deine Interpretation der Fakten unterstützen“, schreibt Ouellet. „Aber ich finde es abwegig, dass Du den ungeheuren Skandal rund um sexuellen Missbrauch in den Vereinigten Staaten dazu benutzt, der moralischen Autorität Deines Vorgesetzten, des Papstes, einen unerhörten und unverdienten Schlag zu versetzen!“

„Du kannst doch nicht Dein Priesterleben in einer offenen und skandalösen Rebellion beenden“

Noch persönlicher, aber auch versöhnlicher sind die letzten Absätze des drei Seiten langen Briefes des kanadischen Kurienkardinals an den Ex-Nuntius, der sich seit Veröffentlichung seines Brandbriefs an einem unbekannten Ort aufhält. „Lieber Bruder, ich möchte Dir helfen, die Einheit mit dem sichtbaren Garanten der Einheit der katholischen Kirche wiederzufinden“, schreibt Ouellet. Er verstehe die Mühen und manch Enttäuschungen im Dienst des Heiligen Stuhles, „aber Du kannst doch nicht Dein Priesterleben in einer offenen und skandalösen Rebellion beenden, die der Braut Christi [der Kirche] eine schmerzhafte Wunde zufügt … und die Spaltung und Verwirrung im Volk Gottes verschlimmert.“ Der Kurienkardinal fordert Viganò dazu auf, aus seinem Versteck hervorzukommen, seine Revolte zu bereuen und zu besseren Empfindungen über den Papst zu gelangen, „statt Feindseligkeit gegen ihn zu nähren“.

Die persönliche Integrität des Papstes und seine Hingabe an seine Sendung stehe für ihn, schreibt Ouellet, ebenso außer Frage wie das Charisma und der Friede, die Franziskus beseelten. „Als Antwort auf Deine ungerechte und in den Fakten nicht zu rechtfertigende Attacke, lieber Viganò“, so heißt es weiter, „schließe ich also, dass es sich um eine politisch motivierte Anschuldigung handelt, die ohne wirkliches Fundament ist, das den Papst belangt, und die die Einheit der Kirche tief verletzt.“

Ouellets Brief ist auf den 7. Oktober datiert, an dem die Kirche der Rosenkranzmadonna gedenkt. Papst Franziskus rief am selben Tag beim Angelus zum täglichen Rosenkranzgebet auf, „um die Attacken des Teufels abzuwehren, der die Kirche spalten will“. Bereits am Samstagnachmittag hatte das vatikanische Presseamt eine eigene Erklärung zum Fall McCarrick veröffentlicht und vollständige Aufklärung versprochen.

(Pope – gs)

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07. Oktober 2018, 12:05