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30. Juni 1963, bei der Krönung des neuen Papstes Paul VI., war das Hofzeremoniell noch intakt. Fünf Jahre später indes... 30. Juni 1963, bei der Krönung des neuen Papstes Paul VI., war das Hofzeremoniell noch intakt. Fünf Jahre später indes... 

Kurienreform 1968: Paul VI. schaffte vor 50 Jahren den Hofstaat ab

Schluss mit Straußenfedern: Vor 50 Jahren schaffte Papst Paul VI. den päpstlichen Hofstaat ab. Am 28. März 1968 erschien der Erlass „Pontificalis domus“, mit dem der Montini-Papst den Päpstlichen Hof zum Päpstlichen Haus umwandelte.

Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Was das hieß, warum Paul VI. das tat und wer sich von seiner Kurienreform bedrängt fühlte, darüber sprachen wir mit dem Montini-Biografen Jörg Ernesti, der in Augsburg Mittlere und Neuere Kirchengeschichte lehrt.

Pope: Herr Professor Ernesti, was konkret war abgeschafft und was wurde neu geschaffen, als Papst Paul VI. den Päpstlichen Hofstaat beendete?

Jörg Ernesti: „Im Grund ist das Dokument ,Pontificalis domus' Teil eines größeren Projektes, nämlich der Kurienreform, die Paul VI. nach seiner Wahl zum Papst 1963 begonnen hat und die sich tatsächlich über zwölf Jahre bis 1975 hinzieht. Konkret wurde das Konzept abgeschafft, dass der Papst von einem Hofstaat umgeben ist; man spricht seitdem von einem Haus, dem päpstlichen Haus, und diesem gehören nur noch Personen an, die auch wirklich eine Aufgabe im Vatikan und in der Leitung der Kirche haben.“

 

Unter Interview zum Hören:

Pope: Welche Ämter und Titel fielen damit beispielsweise weg?

Jörg Ernesti: „Das waren im Grunde genommen alte Zöpfe, und ich vermute, dass selbst Experten und langjährige Mitarbeiter des Vatikans das nicht mehr wussten, wofür diese Ämter noch nütze waren. Wenn man etwa an den päpstlichen geheimen Mundschenk, den Speisenobervorkoster denkt – das passt wohl eher in die Zeit der Renaissance, als es tatsächlich Versuche gegeben hat, Päpste zu vergiften. Oder wenn man an den Hüter der goldenen Rose denkt – die goldene Rose ist eine Auszeichnung, die traditionell an Staatsoberhäupter und besonders an weibliche Fürstinnen verliehen wurde – oder an den Türsteher mit der roten Rute, da habe ich selbst lange suchen müssen, um den Sinn dieses Amtes zu finden“.

Pope: Und was war der Sinn dieses Amtes?

Jörg Ernesti: „Das weiß ich selber nicht…!“

Pope: Die abgeschafften Ämter hatten natürlich auch alle Träger gehabt: römische Adelige. Man spricht von der „nobiltà nera“, dem schwarzen Adel, gemeint war der papsttreue Adel. Wie reagierten diese Kreise auf die Abschaffung des päpstlichen Hofzeremoniells?

Jörg Ernesti: „Das sind altadelige Familien gewesen, deren Ursprünge zum Teil in das erste Jahrtausend zurückreichen, wie bei den Colonna, Familien, die traditionell die Kardinäle gestellt haben und auch Päpste in ihren Reihen zählen konnten. Diese ,nobiltà nera' hat eben verschiedene zeremonielle Funktionen inne gehabt. Diese Funktionen hatten einen Sinn, als es noch einen echten Kirchenstaat gab – also bis 1870. Die Staatlichkeit des Vatikans ist dann 1929 mit den Lateranverträgen erneuert und wiederhergestellt worden, aber der Vatikan ist dann im Grunde kein Staat mehr, der mit Territorialstaaten in der Welt vergleichbar wäre. Da waren also viele gerade zeremonielle Ämter überzählig geworden. Das vornehmste Amt, das Mitglieder dieser Familie ausgeübt haben, war das des Thronassistenten. Wenn man sich ältere Bilder etwa von einem Einzug Pius XII. aus den 40er / 50er Jahren anschaut, dann sieht man neben dem päpstlichen Tragesessel, der sedia gestatoria, schwarz gewandete Herren im Stil der spanischen Hoftracht, mit Orden, Federhut, Speer und Degen. Man würde ein solches Gewand, glaube ich, eher im 16. Jahrhundert am spanischen Hof ansiedeln als im 20. Jahrhundert.“

Pope: Wichtig ist auch, dass Paul VI. nicht nur zeremonielle Ämter abschaffte, sondern auch die Erblichkeit dieser zeremoniellen Ämter, die vor 1968 vom adligen Vater auf den adligen Sohn übergegangen waren. Fiel es den Adelsfamilien leicht, darauf zu verzichten?

Jörg Ernesti: „Die Familien hatten diese Ämter jahrhundertelang inne, und sie haben opponiert, im Stillen, aber manchmal auch zur Zeit Pauls VI. mit hörbarem Protest. Aber man muss sich ja auch vergegenwärtigen, dass dieser schwarze Adel nach 1870 eine wichtige Funktion hatte, zu einer Zeit also, als die Päpste als Gefangene im Vatikan gelebt und den Vatikan nach ihrer Wahl nicht mehr verlassen haben. Diese altadeligen römischen Familien, die zum Papst hielten, waren eine wichtige moralische Stütze des Papstes in der italienischen, eher liberal-antiklerikal gefärbten Gesellschaft. Und die haben sich dann 1968 verraten gesehen und haben das als Undankbarkeit und Untreue angesehen.“

Pope: Papst Paul VI. hat also eindeutig riskiert, in Rom eine wichtige Unterstützung zu verlieren, die des Adels, er hat dieses Risiko aber auf sich genommen. Was genau war sein Anliegen mit dieser Reform?

Jörg Ernesti: „Für Papst Paul VI., denke ich, ist das undenkbar gewesen und passte nicht mehr zum modernen Erscheinungsbild des Papsttums – dass er umgeben ist von Straußenwedeln, von Männern in spanischer Hoftracht, von einem Tragesessel. Paul VI. war ein modern denkender Mensch. Die Bejahung der Modernität, auch moderner Kunst, moderner Umgangsformen, einer Schlichtheit im Umgang, war für ihn sehr wichtig. Er hat auch etwas eingeführt, was die Päpste seither beibehalten haben: Päpste, die auf dem Tragesessel getragen wurden, hatten ja keinen Bischofsstab nötig. Paul VI. führt den Kreuzstab ein, der heute noch getragen wird von Papst Franziskus, ein modernes Kunstwerk von einem zeitgenössischen Künstler, Lello Scorzelli. Wenn der Papst in der Öffentlichkeit auftaucht, dann sieht man sein Gesicht zusammen mit einem modernen Kunstwerk, diesem Kreuzstab. Paul VI. war auch im persönlichen Bereich ein Mann, der Pomp und Pracht und Prunk abgelehnt hat. Er hat zum Beispiel im Vatikan die dunklen brokatenen, seidenen und damastenen Tapeten und Gardinen abhängen und die Wände weiß streichen lassen. Auch die päpstliche Hauskapelle ist seitdem sehr schlicht gehalten mit weißen Wänden.“

Pope: Wie leicht oder schwer fiel es dem Papst, diese Reformen durchzusetzen?

Jörg Ernesti: „Die Kurienreform ist für ihn auch ein schmerzhafter Prozess, ein Lernprozess gewesen. Zum einen war niemand so sehr geeignet, diese umfassende Kurienreform umzusetzen als gerade er, Paul VI., weil er über 30 Jahre an der Kurie tätig gewesen war, zuletzt bis 1954 als rechte Hand von Pius XII. in der Außenpolitik; er kannte die Kurie sehr gut. Sein Vorgänger Johannes XXIII. hatte viel mehr Schwierigkeiten angesichts der Kurie gehabt, weil er an der Kurie nie länger gewesen war. Johannes hat auch gern das Wort zitiert, es stirbt ein Papst, aber die Kurie bleibt. Paul VI. hat die Kurie nicht mehr als Kabinett des Papstes gesehen, als Dienstfunktion auf einen jeweiligen Träger hingeordnet, sondern als Werkzeug in der Leitung der Universalen Kirche. Von daher ist es schlüssig, dass er Ortsbischöfe in die einzelnen Kurienbehörden einbindet. Paul VI. schafft eine Altersgrenze für die Kurienmitarbeiter und eine Pensionsgrenze, wo jedes Mandat automatisch erlischt. Im Grund muss man dieses Dokument, mit dem er den päpstlichen Hofstaat abschafft, zusammensehen mit einer Auftaktveranstaltung, der Ablegung der Tiara, der päpstlichen Dreifachkrone. im November 1964. Das ist im Grund schon so ein Signal gewesen, dass sich im Vatikan auch  äußerlich sichtbar etwas ändern muss.“

Pope: Wir haben heute, 50 Jahre später, erneut eine Kurienreform. Welche Parallele lässt sich zwischen den Reformen von Paul VI. und denen von Franziskus ziehen?

Jörg Ernesti: „Unter Paul VI. ist die Kurienreform, die er ins Werk setzt, eine Umsetzung der Vorgaben des II. Vatikanums. In der Lehre von der Kirche, der Ekklesiologie, also Kirche in der Communio, in der Gemeinschaft. Das Papsttum als Dienstamt für die ganze Kirche, eine Aufwertung der Ortskirchen, durch das Konzil, die Kollegialität der Bischöfe, die durch die Kurie zum Ausdruck kommen soll. Das waren im Grund Vorgaben des Konzils. In dieser Tradition steht meines Erachtens auch Papst Franziskus. Ich sehe bei ihm einen starken Rückbezug auf Paul VI. Ob das nochmal wirklich ein so großer Wurf wird wie bei Paul VI., eine so umfassende Neugestaltung, sei es des Aufbaus der Kurie, sei es des Zeremoniells, das sei dann dahingestellt. Vielleicht braucht es da auch den Hintergrund, den Paul VI. hatte, nämlich 30 Jahre an der Kurie selbst tätig gewesen zu sein.“

Pope: Die Kurienreform von Franziskus löst einigen Unmut aus, so wie seinerzeit auch nicht alle mit der Kurienreform von Paul VI. glücklich waren. Die teils geharnischten Äußerungen heute lassen sich sicherlich auch auf die Verstärker-Funktion der sozialen Medien zurückführen, oder ist Ihrer Einschätzung nach heute wirklich noch mehr Unzufriedenheit mit Reform vorhanden als vor 50 Jahren?

Jörg Ernesti: „Vielleicht ist man vor 50 Jahren noch zurückhaltender gewesen. Man schreibt dem Schwarzen Adel in den 60er, 70er Jahren zu – ich weiß nicht ob zu Recht oder zu Unrecht - , dass er persönliche, private, intime Details übe Paul VI. verbreitet habe, unter denen er, glaube ich, auch sehr gelitten hat. In den 70er Jahren bittet er dann auch einmal die italienische Bischofskonferenz um das Gebet der italienischen Katholiken, um solche unangenehmen Gerüchte überwinden zu können. Heute ist es natürlich auch so, dass Papst Franziskus mit seinen Ansprachen an die Kurie vielleicht auch manchem Mitarbeiter provoziert hat oder sich mancher provoziert gefühlt hat. Franziskus ist ein Mann der direkten Ansprache, vielleicht verträgt das nicht jeder in Rom.“ 

Buchtipp: Paul VI. Die Biographie. Von Jörg Ernesti. Herder 2015.

(vatican news – gs)

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27. März 2018, 14:19