Vor 10 Jahren: Papst Benedikt kündigt seinen üٰٳ an
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Es war der 11. Februar 2013, doppelter Feiertag: Muttergottes von Lourdes und zugleich Staatsfeiertag im Vatikan. Trotzdem hatte Papst Benedikt XVI. die römischen Kardinäle zu einer Versammlung eingeladen. Das Konsistorium versprach wenig Aufregung, es ging um Heiligsprechungen, und gerade eine Handvoll Medienleute verfolgten den feierlichen Termin mit den rot gekleideten Würdenträgern im Vatikan-Fernsehen live. Auch bei Radio Vatikan war alles andere als Hochbetrieb.
Am Ende der Versammlung, die Kardinäle sind schon im Begriff sich zu erheben, steckt Zeremonienmeister Guido Marini dem Heiligen Vater einen Zettel zu – Benedikt hat eine Ankündigung zu machen. Überraschung, denn bei Konsistorien geht es sonst immer nach bewährtem Schema zu. Die Kardinäle bleiben also sitzen. Und dann verliest Benedikt XVI. vor den Mitbrüdern . Auf Latein. „Quapropter bene conscius ponderis…”, „Im Bewusstsein des Ernstes dieses Aktes erkläre ich daher mit voller Freiheit, auf das Amt des Bischofs von Rom, des Nachfolgers Petri … zu verzichten.” Zum 28. Februar, 20 Uhr, werde der Stuhl Petri vakant sein, und dann werde ein Konklave einberufen und ein Nachfolger gewählt.
Eine Frau meldet: „habemus papam emeritum“
Nicht alle Kardinäle verstehen genug Latein, um dem Papst zu folgen. Wer aber Latein sehr gut versteht, ist die Journalistin Giovanna Chirri, Vatikan-Berichterstatterin der italienischen Presseagentur ANSA. Sie hat als eine von nur drei Journalisten das Konsistorium im vatikanischen Pressesaal mitverfolgt. Und sie gibt die Eilmeldung heraus. Es ist eine Frau, eine Journalistin, die der Welt verkündet: „habemus papam emeritum“. Wir haben einen emeritierten Papst.
Einen Papst-Rücktritt, eine Abdankung des Oberhauptes der katholischen Kirche, hatte es in der Neuzeit noch nie gegeben. In die 2000 Jahre alte Kirche mit ihren Ritualen und Glaubenswahrheiten schlug dieser Amtsverzicht ein wie der sprichwörtliche Blitz aus heiterem Himmel. So gut wie niemanden hatte der deutsche Papst in seinen Plan eingeweiht, sogar sein engster Mitarbeiter Georg Gänswein, den Benedikt einen Monat zuvor zum Präfekten des Päpstlichen Hauses ernannt und zum Erzbischof geweiht hat, war nicht von Anfang an im Bilde.
Ein Rücktritt mit Vorankündigung?
Der bayerische Papst selbst indes hatte seine Entscheidung lange reifen lassen. „Wenn ein Papst zur klaren Erkenntnis kommt, dass er physisch, psychisch und geistig den Auftrag seines Amtes nicht mehr bewältigen kann, dann hat er ein Recht und unter Umständen auch eine Pflicht, zurückzutreten“, sagte er Peter Seewald für das Interviewbuch „Licht der Welt“ von 2010. Ungefähr zur gleichen Zeit, als er diese überraschende Aussage traf, setzte Benedikt eine Geste, mit der er seinen Amtsverzicht vier Jahre später gleichsam andeutete, was damals freilich nur die spitzfindigsten Beobachter verstanden: Er besuchte in der Abruzzenstadt L'Aquila das Grab seines Vorgängers Papst Coelestin V., der 1294 freiwillig zurückgetreten war, als letzter Papst vor Benedikt.
Der Besucher aus Rom hielt zu einem kurzen Gebet an Coelestins Glassarg inne und legte sein altes Pallium darauf ab, jene Wollstola, die er zu seiner Amtseinführung und in den ersten Jahren seines Pontifikats getragen hatte. Benedikts Pallium liegt bis heute um die Schultern Coelestins drapiert. Deshalb ließ ein Besuch von Papst Franziskus bei Coelestin im August 2022 Spekulationen aufkommen, auch der argentinische Papst plane auf sein Amt zu verzichten.
Im August 2012 stand für Benedikt endgültig fest, dass er abdanken würde. Das vertraute er später, schon als Emeritus, abermals Seewald an. Doch hatte der Papst die Sache noch viel länger vorher meditiert und im Gebet vor Gott getragen. Vielleicht sogar schon, als er noch nicht Benedikt XVI. war, sondern Kardinal Ratzinger an der Seite von Johannes Paul II. Dessen 27 Jahre dauerndes Pontifikat war am Ende von schwerer Krankheit gezeichnet. Benedikt wollte das für sich offenkundig nicht. Aus seiner Sicht brauchte die Kirche einen belastbaren Papst.
Viele Spekulationen
Mutmaßungen, warum Benedikt XVI. genau zu jenem Zeitpunkt im Februar 2013 zurücktrat, gab es viele. In der Tat lagen einige Kirchenkrisen auf dem Tisch, allen voran die Missbrauchskrise, die 2010 mit Macht auch Deutschland zu überrollen begonnen hatte. Die Krise war global, aber im Großteil der Weltkirche noch unter dem Teppich - wobei Benedikt die Absicht hatte, reinen Tisch zu machen. Im Vatikan haperte es zugleich an finanzieller Transparenz, es gab Korruption und gewisse Seilschaften der Macht. Und es gab „Vatileaks“. Der Kammerdiener des Papstes, Paolo Gabriele, hatte massenhaft vertrauliche Dokumente vom Schreibtisch seines Dienstherren gestohlen und einem italienischen Enthüllungs-Journalisten übergeben, der sie veröffentlichte. Als der Vertrauensbruch 2012 aufflog, verurteilte das Vatikan-Tribunal Gabriele zu eineinhalb Jahren Haft, doch Benedikt begnadigte ihn noch vor Weihnachten. Der Druck auf den Papst war 2012 teils enorm. Rücktrittsforderungen kamen auf. Doch sie waren wieder verstummt, als der Papst am 11. Februar 2013 seinen Amtsverzicht ankündigte.
Alles in allem sehen Beobachter wenig Anlass, an dem Grund zu zweifeln, den Benedikt selbst für seinen Rücktritt vorgetragen hat. Zur Ausübung des Papstamtes „ist sowohl die Kraft des Köpers als auch die Kraft des Geistes notwendig, eine Kraft, die in den vergangenen Monaten in mir derart abgenommen hat, dass ich mein Unvermögen erkennen muss, den mir anvertrauten Dienst weiter gut auszuführen“, so sagte er es vor den Kardinälen auf Latein. Benedikt war 86 – so alt wie sein Nachfolger Franziskus heute. Der deutsche Papst handelte aus Verantwortung für die Kirche, wohl wissend, dass es einen energischen Nachfolger brauchte, der gewisse Reformen durchsetzt.
Mit einem komplett unerwarteten Akt, einem Amtsverzicht, hat Papst Benedikt XVI. Geschichte geschrieben. Wie viele machtverliebte Päpste kennt die Kirchenchronik früherer Jahrhunderte: Kriegsherren, Politiker, Paktierer – gelegentlich sind Päpste ermordet worden, damit ein anderer seine Macht ausspielen konnte. Bei Benedikt war es genau andersherum. Er verzichtete. Und so machte er den Weg frei für eine weitere Etappe der katholischen Kirche mit einem Papst, Franziskus, der auf neue Weise Weltkirche verkörpert.
(vatican news - gs)
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