Papst Franziskus nach Bahrain-Reise: „Deutsche, sucht eure Quelle!“
Mario Galgano und Andrea Tornielli - Vatikanstadt
Es war die letzte Frage der fliegenden Pressekonferenz, die Deutschland betraf. Unser Kollege Ludwig Ring-Eifel vom „Centrum informationis Catholicum“ (KNA, Kathpress, kath.ch) sagte, er sei sehr bewegt, weil er nach acht Jahren Pause wieder bei einem Papstflug mit dabei sein dürfe. Während es in Bahrain eine kleine, arme Kirche mit vielen Einschränkungen gebe, die aber sehr lebendig und voller Hoffnung auftrete, sei die katholische Kirche in Deutschland zwar groß und reich an Geld, Theologie und Tradition, verliere aber jedes Jahr dreihunderttausend Gläubige und stecke in einer Krise. „Kann man von dieser kleinen Herde, die wir in Bahrain gesehen haben, etwas für das große Deutschland lernen?“, wollte Ring-Eifel wissen. Dazu der Papst:
„Deutschland hat eine alte religiöse Geschichte... Seine religiöse Geschichte ist groß und kompliziert, mit vielen Kämpfen verbunden. Ich sage den deutschen Katholiken: Deutschland hat eine große und schöne evangelische Kirche; ich will keine andere, die nicht so gut wäre wie diese; sondern ich will eine katholische Kirche sehen, in Geschwisterlichkeit mit der evangelischen Kirche . Manchmal verlieren wir den religiösen Sinn des Volkes, des heiligen, treuen Gottesvolkes, und wir verfallen in ethische Diskussionen - Diskussionen über Entwicklungen, Diskussionen, die theologische Konsequenzen haben, aber nicht den Kern der Theologie darstellen. Was denkt das heilige, treue Volk Gottes? Wie fühlt sich das heilige Volk Gottes? Gehen Sie dorthin und spüren Sie, wie sie sich anfühlt, diese einfache Religiosität, die Sie bei Großeltern finden.
Ich will damit nicht sagen, dass wir zurückgehen sollen, nein, sondern zur Quelle der Inspiration, zu den Wurzeln. Wir alle haben eine Geschichte von Glaubenswurzeln; auch die Völker haben sie: findet sie! ... Die Wurzel der Religion ist die Ohrfeige, die einem das Evangelium verpasst, die Begegnung mit dem lebendigen Jesus Christus; und von da aus die Konsequenzen, alle; von da aus der apostolische Mut, an die Peripherien zu gehen, sogar an die moralischen Peripherien der Menschen, um zu helfen... Wenn es keine Begegnung mit Jesus Christus gibt, wird es einen Ethizismus geben, der sich als Christentum tarnt. Das wollte ich sagen - es kommt von Herzen.“
Reise der Begegnung
Es sei eine Reise der Begegnung gewesen: Mit dieser Bemerkung hatte der Papst die Gesprächsrunde mit den mitfliegenden Journalisten eröffnet. Zwei Ziele habe die Bahrain-Reise gehabt: einerseits sei es um den interreligiösen Dialog mit dem Islam gegangen und anderseits um den ökumenischen Dialog mit dem Primas der Orthodoxie, Patriarch Bartholomaios.
„Die Ideen des Großimams von al-Azhar gingen genau in diese Richtung, nämlich die Einheit zu suchen, die Einheit innerhalb des Islams - unter Beachtung der Unterschiede, aber mit Einheit. Die Einheit mit den Christen und mit anderen Religionen. Um in den interreligiösen oder ökumenischen Dialog einzutreten, braucht man seine eigene Identität. Man kann nicht von einer diffusen Identität ausgehen. Ich bin islamisch, ich bin christlich, aber ich habe diese Identität, und so kann ich mit Identität sprechen. Wenn man keine eigene Identität hat, ist es ein bisschen schwierig für den Dialog, weil es kein Kommen und Gehen gibt, und deshalb ist es wichtig. Diese beiden, die (nach Bahrain) gekommen sind, sowohl der Großimam von al-Azhar als auch Patriarch Bartholomaios, haben eine starke Identität, und das ist gut so.“
Es habe ihn beeindruckt, wie sehr al-Tayyeb den innerislamischen Dialog betont habe, nicht um Unterschiede auszulöschen, sondern um einander zu verstehen und zusammenzuarbeiten. „Wir Christen haben eine etwas hässliche Geschichte von Differenzen, die uns zu Religionskriegen geführt haben: Katholiken gegen Orthodoxe oder gegen Lutheraner. Jetzt, nach dem Konzil, gibt es Gott sei Dank eine Annäherung, und wir können miteinander reden und zusammenarbeiten. Das ist wichtig: ein Zeugnis dafür, dass man anderen Gutes tut. Dann werden die Spezialisten, die Theologen, über theologische Dinge diskutieren, aber wir müssen als Gläubige, als Freunde, als Brüder, die Gutes tun, zusammen gehen.“
Idee zum Brüderlichkeits-Dokument kam beim Brotbrechen
Papst Franziskus enthüllte dann, wie es zu dem „“ kam: er habe nach einem Besuch des Kairoer Großimams Ahmed al-Tayyeb im Vatikan diesen spontan zum Mittagessen eingeladen. Beim Brotbrechen am Tisch sei dann die Idee entstanden, ein Grundsatzdokument über die geschwisterlichen Beziehungen zwischen Muslimen und Christen zu verfassen. Nach ersten Entwürfen und mehreren Bearbeitungsschritten sei dieses dann 2019 in Abu Dhabi von beiden gemeinsam unterschrieben und veröffentlicht worden.
Franziskus erklärte, die jüngsten Erklärungen von al-Tayyeb in Bahrain über eine mögliche Aussöhnung zwischen Sunniten und Schiiten hätten ihn sehr beeindruckt. Er erinnerte in diesem Kontext an die „hässliche Geschichte“ der konfessionellen Konflikte und Kriege im Christentum. „Das haben wir zum Glück überwunden“, erklärte der Papst. Zugleich verriet er, dass Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin und al-Tayyeb nach den vier Tagen des Papstbesuchs in Bahrain, wo sie dabei waren, nun gemeinsam nach Kairo geflogen seien. Über den Anlass dieser Reise schwieg sich der Papst allerdings aus. In Ägypten findet derzeit das große Klimagipfel COP27 statt. Das Brüderlichkeits-Dokument hat seit der Unterzeichnung in Abu Dhabi den Weg für eine Annäherung von Christen und Muslime geebnet hat.
Das Leid der Libanesen
Die Rechte der Frau
Während des Aufenthaltes des Papstes in Bahrain gingen gar nicht weit davon die Proteste von Frauen im Iran weiter. Dazu sagte Franziskus, dass der Kampf um die Rechte von Frauen „ein ständiger Kampf“ sei. Denn an manchen Orten seien Frauen den Männern gleichgestellt, aber an anderen Stellen sei dies nicht der Fall. Er erinnere sich daran, wie in den 1950er Jahren in seinem Heimatland Argentinien der Kampf um das Frauenwahlrecht geführt wurde. „Denn bis 1950 konnten das mehr oder weniger nur Männer. Und ich denke an den gleichen Kampf in den USA, der berühmt ist, um die weibliche Stimme. Aber warum - so frage ich mich - muss eine Frau so hart kämpfen, um ihre Rechte zu erhalten?“, fragte sich der Papst. Er stamme aus einem Macho-Volk. Argentinier seien Machos, immer, wiederholte der Papst. „Und das ist schlecht... Dieser Machismo tötet die Menschlichkeit. Ich danke Ihnen, dass Sie mir die Gelegenheit geben, dies zu sagen, was mir sehr am Herzen liegt. Wir kämpfen nicht nur für unsere Rechte, sondern auch, weil wir Frauen in der Gesellschaft brauchen, um uns zu verändern.“
Das Verhältnis zur Ukraine und zu Russland
Wenn er von der „gemarterten“ Ukraine spreche, so ein weiteres Thema der Pressekonferenz auf dem Flugzeug, dann denke er an die Grausamkeit, „die vielleicht nicht vom russischen Volk ausgeht“, so das katholische Kirchenoberhaupt. Er würdigte das russische Volk als „ein großartiges Volk“, prangerte aber gleichzeitig die Söldner und Soldaten an, „die als Abenteurer in den Krieg ziehen“:
„Ich ziehe es vor, so zu denken, weil ich das russische Volk und den russischen Humanismus sehr schätze. Denken Sie nur an Dostojewski, der uns bis heute inspiriert, der Christen inspiriert, christlich zu denken. Ich empfinde große Zuneigung für das russische Volk und ich empfinde auch große Zuneigung für das ukrainische Volk. Als ich elf Jahre alt war, gab es in meiner Nähe einen Priester, der auf Ukrainisch zelebrierte und keine Ministranten hatte, und er brachte mir bei, die Liturgie auf Ukrainisch zu halten. All diese ukrainischen Lieder kenne ich in ihrer Sprache, weil ich sie als Kind gelernt habe, daher habe ich eine sehr große Zuneigung zur ukrainischen Liturgie. Ich befinde mich inmitten von zwei Völkern, die ich liebe.“
Der Heilige Stuhl habe seit Kriegsausbruch viele vertrauliche Gespräche geführt und dabei auch teilweise gute Ergebnisse erzielt, fügte der Papst an. Allerdings: „Wir können nicht leugnen, dass ein Krieg uns am Anfang vielleicht mutig macht, aber dann ermüdet er und tut weh und wir sehen das Böse, das ein Krieg anrichtet“. Die größte Katastrophe in der Welt heute sei die Waffenindustrie, und deshalb sage er zum Krieg in der Ukraine, dass es eine Tragödie sei: „Deshalb seid ihr, die ihr Journalisten seid, bitte Pazifisten; sprecht euch gegen den Krieg aus, kämpft gegen den Krieg! Ich bitte dich wie einen Bruder.“
Missbrauchsfälle unterschiedlich behandelt
Ein französischer Journalist ging auf den jüngsten Fall eines wegen Missbrauch angeklagten ehemaligen Bischofs ein. Das nutze der Papst, um sich allgemein zum Thema Missbrauchsbekämpfung in der Kirche zu äußern:
„Wir arbeiten mit allem, was wir können, aber wir wissen, dass es in der Kirche Menschen gibt, die noch nicht klar sehen... es ist ein Prozess, und wir führen ihn mit Mut durch, doch nicht jeder hat Mut; manchmal gibt es die Versuchung, Kompromisse zu machen, und wir sind auch alle Sklaven unserer Sünden. Aber der Wille der Kirche ist, alles zu klären. Ich habe zum Beispiel in den letzten Monaten zwei Beschwerden über Missbrauchsfälle erhalten, die vertuscht und von der Kirche nicht richtig beurteilt worden waren: Ich habe sofort eine neue Untersuchung der beiden Fälle gefordert, und jetzt wird ein neues Urteil gefällt; dann gibt es auch noch die Revision alter Urteile, die nicht richtig gefällt wurden oder nicht ordnungsgemäß ergangen sind. Wir tun, was wir können, wir sind alle Sünder, verstehen Sie? Und das Erste, was wir fühlen müssen, ist Scham, tiefe Scham.“ Er könne aber sagen, dass die gesamte Kirche „den guten Willen“ habe, weiterzumachen, auch dank der Hilfe der Journalisten.
Flüchtlingsfrage in Italien und Europa
Die Frage einer italienischen Korrespondentin bezog sich auf die derzeitige Debatte in Italien bezüglich der Aufnahme von Mittelmeer-Flüchtlingen. Die neue Rechts-Regierung von Giorgia Meloni verfolgt eine – zumindest in der öffentlichen Debatte – restriktive Linie. Der Papst erinnerte daran, dass es eine europäische Verantwortung für Afrika gebe und dass „eine große Staatsfrau“ - gemeint war die frühere deutsche Kanzlerin Angela Merkel - gesagt habe, wie das Problem der Migranten in Afrika gelöst werden müsse - nämlich mit einem Wechsel der Perspektive. Afrika solle nicht mehr als Kontinent zum Ausbeuten betrachtet werden, sondern als ebenbürtig. „Die neue italienische Regierung beginnt jetzt... ich wünsche ihr das Beste“, so der Papst.
Der Papst machte sich deshalb für eine europaweite Einigung bei der Aufnahme von Bootsflüchtlingen stark. Vor Journalisten sagte das Kirchenoberhaupt am Sonntagnachmittag bei der Pressekonferenz auf dem Rückflug von seiner viertägigen Reise nach Bahrain, Migranten müssten aufgenommen, begleitet, gefördert und integriert werden. Ziel müsse die Integration sein. Weiter sagte der Papst, jede Regierung in der EU müsse sich darüber klar werden, wie viele Migranten sie aufnehmen könne. Die Migrationspolitik müsse zwischen den Staaten abgestimmt werden, Ziel müsse eine Politik der Zusammenarbeit und der Hilfe sein. „Man kann nicht die Mittelmeerstaaten wie Griechenland, Italien oder Spanien alleine lassen mit der Verantwortung für alle Migranten, die an ihren Küsten landen“, so Papst Franziskus.
Zum restriktiveren Kurs der neuen italienischen Regierung an den Häfen des Landes bemerkte Franziskus, bislang hätten alle Regierungen nach der Maxime gehandelt, dass Menschenleben gerettet werden müssen. Er glaube nicht, dass die jetzige Regierung Italiens diese Linie verlassen wolle. Auch bei den jüngsten Anlandungen in Sizilien wolle die Regierung Müttern, Kindern und Kranken erlauben, an Land zu gehen.
Keine italienische Regierung solle in der Migrationsfrage ohne Abstimmung mit den anderen Ländern Europas handeln. Letztlich könne aber das Problem der Einwanderung aus Afrika nur in Afrika gelöst werden. „Wenn eine der Ursachen der Einwanderung aus Afrika ist, dass die Menschen dort in Armut leben und ausgebeutet werden, müssen wir dafür sorgen, dass Afrika sich wirtschaftlich entwickelt.“ Noch heute gebe es auf die Kolonialzeit zurückgehende Strukturen der Ausbeutung in Afrika, so Franziskus.
(vatican news)
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