Weltfamilientreffen: Die Predigt bei der Abschlussmesse
Den Predigtext mit den spontanen Einschüben des Papstes finden Sie in Kürze auf der
Für das Zehnte Weltfamilientreffen ist der Moment der Danksagung gekommen. Dankbar bringen wir heute – wie in einer großen Gabenprozession – alles vor Gott, was der Heilige Geist in euch, liebe Familien, eingesät hat. Einige von euch haben an den gemeinsamen Momenten der Reflexion und des Austauschs hier im Vatikan teilgenommen; andere haben sie in ihren jeweiligen Diözesen in einem größeren Rahmen miterlebt und gestaltet. Ich kann mir den Reichtum an Erfahrungen, Absichten und Träumen vorstellen, aber ebenso die Sorgen und Verunsicherungen, an denen es nicht mangelt. Nun übergeben wir alles dem Herrn und bitten ihn, euch mit seiner Kraft und Liebe zu unterstützen. Ihr seid Väter, Mütter, Kinder, Großeltern, Tanten und Onkel; ihr seid Erwachsene, Kinder, Jugendliche, alte Menschen; jeder mit einer anderen Erfahrung von Familie, aber alle mit der gleichen Hoffnung im Gebet: dass Gott eure Familien und alle Familien der Welt segnen und behüten möge.
Der heilige Paulus spricht in der zweiten Lesung über die Freiheit. Die Freiheit ist eines der am meisten geschätzten und begehrten Güter des modernen zeitgenössischen Menschen. Jeder Mensch wünscht sich, frei zu sein, unabhängig zu sein, nicht eingeschränkt zu sein, und so strebt er danach, sich von allen Arten von „Gefängnissen“ zu befreien: auf kultureller, sozialer, wirtschaftlicher Ebene. Und doch fehlt vielen Menschen die wichtigste Freiheit: die innere Freiheit! Der Apostel erinnert uns Christen daran, dass dies vor allem ein Geschenk ist, wenn er ausruft: »Zur Freiheit hat uns Christus befreit« (Gal 5,1). Die Freiheit wurde uns geschenkt. Wir alle werden mit zahlreichen inneren und äußeren Bedingtheiten geboren, vor allem aber mit der Neigung zum Egoismus, d. h. dazu, uns selbst in den Mittelpunkt zu stellen und unseren eigenen Interessen zu folgen. Aber von dieser Knechtschaft hat uns Christus befreit. Damit keine Missverständnisse entstehen, warnt uns Paulus, dass die Freiheit, die uns von Gott geschenkt wurde, nicht die falsche und leere Freiheit der Welt ist, die in Wirklichkeit ein »Vorwand für das Fleisch« ist (Gal 5,13). Nein, die Freiheit, die Christus für uns um den Preis seines Blutes erkauft hat, ist ganz auf die Liebe ausgerichtet, damit wir – wie der Apostel damals sagte und auch uns heute sagt – einander in Liebe dienen (vgl. ebd.).
Ihr Eheleute habt bei der Gründung eurer Familien alle mit der Gnade Christi diese mutige Entscheidung getroffen, eure Freiheit nicht für euch selbst zu nutzen, sondern die Menschen zu lieben, die Gott euch an die Seite gestellt hat. Anstatt als „Inseln“ zu leben, habt ihr euch „in einen gegenseitigen Dienst“ gestellt. So lebt man Freiheit in der Familie! Da gibt es keine „Planeten“ oder „Satelliten“, die jeweils auf ihrer eigenen Umlaufbahn unterwegs sind. Die Familie ist der Ort der Begegnung, wo man teilt und aus sich heraustritt, um den anderen anzunehmen und ihm/ihr nahe zu sein. Sie ist der erste Ort, an dem man lernt zu lieben.
Brüder und Schwestern, auch wenn wir dies mit großer Überzeugung sagen, so sind wir uns doch bewusst, dass dies in der Realität nicht immer der Fall ist, und zwar aus vielen Gründen und aufgrund vieler unterschiedlicher Situationen. Und daher haben wir, gerade wenn wir die Schönheit der Familie betonen, mehr denn je das Gefühl, dass wir sie verteidigen müssen. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie durch die Gifte des Egoismus, des Individualismus, der Kultur der Gleichgültigkeit sowie der Wegwerfmentalität verunreinigt wird und so ihre „DNS“, nämlich die Bereitschaft einander anzunehmen und den Geist des Dienens, verliert.
Die Beziehung zwischen den Propheten Elija und Elischa, die in der ersten Lesung geschildert wird, lässt uns an die Beziehung zwischen den Generationen denken, an die „Weitergabe des Stabes“ von den Eltern an die Kinder. Diese Beziehung ist in der Welt von heute nicht einfach und gibt oft Anlass zur Sorge. Die Eltern befürchten, dass ihre Kinder sich in der Komplexität und Unübersichtlichkeit unserer Gesellschaften, in denen alles chaotisch und unsicher erscheint, nicht zurechtfinden und schließlich die Orientierung verlieren werden. Diese Angst macht manche Eltern unruhig, andere überfürsorglich, und manchmal blockiert sie sogar den Wunsch, neues Leben in die Welt zu setzen.
Es lohnt sich, über die Beziehung zwischen Elija und Elischa nachzudenken. Elija erhält in einer Zeit der Krise und der Zukunftsängste den Auftrag von Gott, Elischa zu seinem Nachfolger zu salben. Gott macht Elija klar, dass die Welt nicht mit ihm endet, und befiehlt ihm, seine Sendung an einen anderen weiterzugeben. Das ist die Bedeutung der im Text beschriebenen Geste: Elija wirft seinen Mantel Elischa über, und von da an wird der Schüler den Platz des Meisters einnehmen, um dessen prophetischen Dienst in Israel fortzusetzen. Gott zeigt damit, dass er Vertrauen in den jungen Elischa hat.
Wie wichtig ist es, dass die Eltern die Art und Weise des Handelns Gottes bedenken. Gott liebt die jungen Menschen, aber das bedeutet nicht, dass er sie vor jedem Risiko, jeder Herausforderung und jedem Leid bewahrt. Er ist nicht ängstlich und überfürsorglich; im Gegenteil, er vertraut ihnen und beruft einen jeden zu einem anspruchsvollen Leben und zu einem großen Dienst. Denken wir an den kleinen Samuel, den heranwachsenden David, den jungen Jeremia; denken wir vor allem an die Jungfrau Maria. Liebe Eltern, das Wort Gottes weist uns den Weg: Ihr sollt eure Kinder nicht vor jeder Art von Schwierigkeiten und Leiden bewahren, sondern versuchen, ihnen die Leidenschaft für das Leben zu vermitteln, in ihnen den Wunsch zu wecken, ihre Berufung zu finden und den großen Auftrag anzunehmen, den Gott für sie vorgesehen hat.
Es ist genau diese Entdeckung, die Elischa mutig, entschlossen und erwachsen werden lässt. Der Abschied von den Eltern und das Schlachten der Rinder sind ein Zeichen dafür, dass Elischa verstanden hat, dass er nun „an der Reihe“ ist, dass es an der Zeit ist, den Ruf Gottes anzunehmen und das weiterzuführen, was er seinen Meister hatte tun sehen. Und er wird dies bis an sein Lebensende mutig tun. Liebe Eltern, wenn ihr euren Kindern helft, ihre Berufung zu entdecken und anzunehmen, werdet ihr sehen, dass sie von dieser Sendung „ergriffen“ werden und die Kraft haben werden, die Schwierigkeiten des Lebens zu meistern.
Ich möchte noch hinzufügen, dass ein Erzieher einem anderen am besten helfen kann, seiner Berufung zu folgen, wenn er seine eigene mit treuer Liebe annimmt. Das ist es, was die Jünger Jesus tun sahen, und das heutige Evangelium stellt uns den bedeutsamen Moment vor Augen, da »Jesus den festen Entschluss« fasst, »nach Jerusalem zu gehen« (Lk 9,51), wohl wissend, dass er dort verurteilt und getötet werden wird. Auf dem Weg nach Jerusalem bekommt Jesus die Ablehnung der Einwohner von Samaria zu spüren, eine Ablehnung, die bei Jakobus und Johannes Empörung hervorruft, die er jedoch akzeptiert, weil sie zu seiner Berufung gehört: Zuerst erlebte er diese Ablehnung in Nazaret, jetzt in Samaria und am Ende wird er in Jerusalem abgelehnt werden. Jesus nimmt all dies auf sich, weil er gekommen ist, um unsere Sünden auf sich zu nehmen. Ebenso gibt es auch für Kinder nichts Ermutigenderes, als zu sehen, wie ihre Eltern ihre Ehe und Familie in Treue und Geduld als eine Berufung leben, trotz mancher Schwierigkeiten, Kummer und Prüfungen. Und was Jesus in Samaria widerfuhr, geschieht in jeder christlichen Berufung, auch in der Berufung zum Familienleben. Es gibt Momente, in denen man Widerstände, Verschlossenheit und Unverständnis, die aus dem menschlichen Herzen kommen, auf sich nehmen muss, um sie mit der Gnade Christi in Annahme des anderen, in ungeschuldete Liebe zu verwandeln.
Unmittelbar nach dieser Begebenheit, die in einem gewissen Sinne die „Berufung Jesu“ beschreibt, stellt uns das Evangelium drei weitere Berufungen vor, drei Berufungen von ebenso vielen potenziellen Jüngern Jesu. Der erste wird aufgefordert, nicht nach einem festen Wohnsitz, einer sicheren Bleibe zu suchen, wenn er dem Meister folgen möchte. Denn er »hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann« (Lk 9,58). Jesus nachzufolgen bedeutet, in Bewegung zu sein und immer in Bewegung zu bleiben, mit ihm durch die Höhen und Tiefen des Lebens zu „reisen“. Wie sehr trifft das auf euch Verheiratete zu! Auch ihr habt mit der Entscheidung für Ehe und Familie euer „Nest“ verlassen und euch auf eine Reise begeben, von der ihr im Voraus nicht alle Teilstrecken kennen konntet und die euch ständig in Bewegung hält, mit immer neuen Situationen, unerwarteten Ereignissen und Überraschungen. So ist es auf der Reise mit dem Herrn. Sie ist dynamisch, sie ist unvorhersehbar und sie ist immer eine wunderbare Entdeckung. Denken wir daran, dass ein Jünger Jesu gerade dann Frieden findet, wenn er Tag für Tag den Willen Gottes tut, worin auch immer er besteht.
Der zweite Jünger wird aufgefordert, nicht erst wegzugehen, um die Toten zu begraben (vgl. V. 59-60). Es geht nicht darum, das vierte Gebot zu missachten, das immer gültig bleibt, sondern es ist eine Aufforderung, vor allem das erste Gebot zu befolgen: Gott über alles zu lieben. Dies gilt auch für den dritten Jünger, der aufgerufen wird, Christus entschlossen und mit ganzem Herzen nachzufolgen, ohne „zurückzublicken“, nicht einmal, um sich von seiner Familie zu verabschieden (vgl. V. 61-62).
Liebe Familien, auch ihr seid eingeladen, keine anderen Prioritäten zu setzen, nicht „zurückzublicken“, d.h. dem früheren Leben, der früheren Freiheit und den diesbezüglichen Illusionen nicht nachzutrauern: das Leben verkrustet, wenn es sich nicht auf das Neue des Rufes Gottes einlässt und dem Vergangenen hinterhertrauert. Wenn Jesus ruft, auch zu Ehe und Familie, fordert er uns auf, nach vorne zu schauen, und er kommt uns in der Liebe und im Dienen immer zuvor. Diejenigen, die ihm folgen, werden nicht enttäuscht werden!
Liebe Brüder und Schwestern, die Lesungen, die die Liturgie uns heute vorlegt, sprechen geradezu providentiell von der Berufung, die das Thema dieses Zehnten Weltfamilientreffens ist: „Familienliebe: Berufung und Weg zur Heiligkeit“. Mit der Kraft dieses Wortes des Lebens ermutige ich euch, entschlossen den Weg der Familienliebe einzuschlagen und mit allen Familienmitgliedern die Freude über diese Berufung zu teilen. Möge die Liebe, die ihr untereinander lebt, stets offen und nach außen gerichtet sein, fähig, die Schwachen und die Verwundeten zu „berühren“, denen ihr auf eurem Weg begegnet: allen, die unter körperlichen und seelischen Gebrechen leiden. Die Liebe, auch die Liebe in der Familie, wird geläutert und gestärkt, wenn sie weitergegeben wird.
Die Kirche ist mit euch, ja, die Kirche ist in euch! Die Kirche ist in der Tat aus einer Familie, nämlich aus der Familie von Nazaret, hervorgegangen und sie setzt sich hauptsächlich aus Familien zusammen. Möge der Herr euch jeden Tag helfen, in Einheit, Frieden und Freude zu leben und allen zu zeigen, dass Gott Liebe und Lebensgemeinschaft ist.
(vaticannews - skr)
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