Wortlaut: Ansprache von Papst Franziskus bei der Generalaudienz
Die offizielle deutsche Fassung wird in Kürze auf der veröffentlicht.
Liebe Brüder und Schwestern, guten Morgen!
Heute wollen wir über Judith sprechen, eine biblische Heldin. Der Schluss des Buches, das ihren Namen trägt - wir haben einen Abschnitt daraus gehört -, fasst den letzten Teil des Lebens dieser Frau zusammen, die Israel gegen seine Feinde verteidigte. Judith ist eine junge und tugendhafte jüdische Witwe, die dank ihres Glaubens, ihrer Schönheit und ihrer Klugheit die Stadt Bethulia und das jüdische Volk vor der Belagerung durch Holofernes rettet. Er war Feldherr des Nebukadnezar, des Königs von Assyrien, eines übermächtigen und gottesverachtenden Feindes. So ist das, mit ihrer schlauen Art zu handeln ist sie in der Lage, den Diktator zu töten, der gegen ihr Land angeht. Sie war mutig, diese Frau, aber sie hatte einen Glauben....
Nach ihrem großen Abenteuer kehrt Judith in ihre Stadt Bethulia zurück, wo sie bis ins hohe Alter lebt, wie es für viele Menschen der Fall ist: manchmal nach einem intensiven Arbeitsleben, manchmal nach einem abenteuerlichen Leben oder einem Leben voller Hingabe. Heldentum findet sich nicht nur bei großen Ereignissen, die im Rampenlicht stehen, wie zum Beispiel der Judtihs, die dem Diktator die Kehle durchgeschnitten hat: Das Heldentum findet sich oft in der Beharrlichkeit der Liebe, die einer schwierigen Familie und einer bedrohten Gemeinschaft entgegengebracht wird.
Judith wurde über 100 Jahre alt, was ein besonderer Segen ist. Aber es ist heute nicht ungewöhnlich, dass man nach dem Eintritt in den Ruhestand noch so viele Jahre zu leben hat. Wie sollen wir die Zeit, die uns zur Verfügung steht, einordnen, wie können wir sie am besten nutzen? (...)
Für viele ist der Eintritt in den Ruhestand mit einer wohlverdienten und lang ersehnten Pause von anstrengenden und ermüdenden Tätigkeiten verbunden. Aber es kommt auch vor, dass das Ende der Arbeit eine Quelle der Besorgnis ist und mit einer gewissen Beklemmung erwartet wird: ?Was werde ich jetzt tun, da mein Leben von allem, was es so lange ausgefüllt hat, entleert wird?‘ Das ist die Frage. Tägliche Arbeit bedeutet auch eine Reihe von Beziehungen; die Befriedigung, seinen Lebensunterhalt zu verdienen; die Erfahrung, eine Rolle zu spielen; eine wohlverdiente Anerkennung; eine Vollzeitbeschäftigung, die über die reine Arbeitszeit hinausgeht.
Sicher, da ist der Einsatz, freudig und anstrengend, die Enkel zu betreuen, und heute haben die Großeltern eine wichtige Rolle in der Familie dabei, die Enkel großzuziehen. Aber wir wissen, dass heute immer weniger Kinder geboren werden und dass die Eltern oft weiter entfernt sind, mehr reisen müssen und ungünstige Arbeits- und Lebensbedingungen haben. Manchmal sind sie auch zurückhaltender, wenn es darum geht, Großeltern mit der Erziehung ihrer Kinder zu betrauen, und geben ihnen nur so viel Zeit, wie das für die Betreuung der Kinder nötig ist. Aber jemand sagte mir, mit einem ironischen Lächeln: ,Heute, in dieser sozio-ökonomischen Situation, sind die Großeltern wichtiger geworden, weil sie die Rente haben... ' (...) Es gibt neue Anforderungen, auch im Bereich der Beziehung zu Lehrenden und zu den Eltern, die es erforderlich machen, das traditionelle Bündnis zwischen den Generationen neu zu gestalten.
Aber, so fragen wir uns, unternehmen wir diese Anstrengungen zur ?Umgestaltung‘? Oder leiden wir einfach unter der Trägheit der materiellen und wirtschaftlichen Bedingungen? Die Koexistenz der Generationen verlängert sich tatsächlich. Versuchen wir gemeinsam, sie unter den neuen Bedingungen der modernen Gesellschaften menschlicher, liebevoller und gerechter zu machen? Für Großeltern ist es ein wichtiger Teil ihrer Berufung, ihre Kinder bei der Erziehung zu unterstützen. Die Kleinen lernen die Kraft der Zärtlichkeit und den Respekt vor der Zerbrechlichkeit: unersetzliche Lektionen, die von Großeltern leichter zu vermitteln und zu erhalten sind. Die Großeltern ihrerseits lernen, dass Zartheit und Zerbrechlichkeit nicht nur Zeichen des Verfalls sind: Für junge Menschen sind sie Schritte, die die Zukunft menschlich machen.
Judith war früh verwitwet und hatte keine Kinder, aber als ältere Frau konnte sie eine Zeit der Fülle und Gelassenheit erleben – in dem Wissen, dass sie den Auftrag, den der Herr ihr anvertraut hatte, voll und ganz erfüllt hatte. Für sie ist es an der Zeit, das gute Erbe der Weisheit, der Zärtlichkeit, der Gaben für die Familie und die Gemeinschaft zu hinterlassen: ein Vermächtnis des Guten und nicht nur der Güter. (...)
Gerade in ihrem hohen Alter gewährt Judith ihrer Lieblingsmagd die Freiheit. Dies ist ein Zeichen für einen aufmerksamen und humanen Blick auf diejenigen, die ihr nahestanden. (...) Als alter Mensch verliert man ein wenig an Sehkraft, aber der innere Blick wird durchdringender. Man sieht mit dem Herzen. Man wird fähig, Dinge zu sehen, die einem vorher entgangen sind. (...) Es ist wahr: Der Herr vertraut seine Talente nicht nur den Jungen und Starken an: Er hat Talente für alle, die für jeden maßgeschneidert sind, auch für die Älteren. Das Leben unserer Gemeinschaften muss die Talente und das Charisma so vieler älterer Menschen nutzen können, die bereits im Ruhestand sind, aber einen Reichtum darstellen, den es zu nutzen gilt. Dies erfordert von den älteren Menschen selbst eine kreative und neue Aufmerksamkeit, eine großzügige Verfügbarkeit. Die früheren Fähigkeiten des aktiven Lebens verlieren ihre Rolle als Zwang und werden zu Ressourcen der Weitergabe: lehren, beraten, aufbauen, pflegen, zuhören... Vorzugsweise zum Nutzen der am meisten Benachteiligten, die sich kein Lernen leisten können oder die ihrer Einsamkeit überlassen sind.
Judith befreite ihre Dienerin und schenkte allen ihre Aufmerksamkeit. Als junges Mädchen hatte sie durch ihren Mut die Wertschätzung der Gemeinschaft gewonnen. In ihrem Alter verdiente sie sie für die Zärtlichkeit, um die sie ihre Freiheit und Zuneigung erweiterte. Judith ist keine Rentnerin, die ihre Leere melancholisch auslebt: Sie ist eine leidenschaftliche ältere Frau, die die Zeit, die Gott ihr schenkt, mit Gaben füllt. Ich bitte euch: nehmt an einem dieser Tage die Bibel und das Buch Judith zur Hand: Es ist klein, liest sich... Es sind zehn Seiten, nicht mehr. Lest diese Geschichte einer mutigen Frau, die so endet, mit Zärtlichkeit, mit Großzügigkeit, eine Frau auf der Höhe (der Anforderungen, Anm.). Und ich möchte, dass alle unsere Großmütter so sind: mutig, weise, und dass sie uns als Erbe nicht Geld hinterlassen, sondern das Erbe der Weisheit, das in ihren Enkeln gesät ist. Danke.
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