Wortlaut: Papstrede an jüdische Gemeinde in Bratislava
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Liebe Brüder und Schwestern, guten Abend!
Ich danke euch für eure Begrüßungsworte und für die Zeugnisse, mit denen ihr uns beschenkt habt. Ich bin als Pilger hier, um diesen Ort zu berühren und berührt zu werden. Der Platz, auf dem wir uns befinden, ist für eure Gemeinschaft sehr bedeutungsvoll. Er hält die Erinnerung an eine reiche Vergangenheit wach: Er ist über Jahrhunderte Teil des jüdischen Viertels gewesen; hier hat der berühmte Rabbiner Chatam Sofer gearbeitet. Hier gab es eine Synagoge, genau neben der Kathedrale. Die Architektur brachte, wie bereits gesagt, das friedliche Zusammenleben der zwei Gemeinschaften zum Ausdruck, als seltenes Zeichen von großer aussagekräftiger Tragweite, als wunderbares Zeichen der Einheit im Namen des Gottes unserer Väter. Wie viele von ihnen verspüre auch ich hier das Bedürfnis, „die Schuhe abzulegen“, weil ich mich an einem Ort befinde, der durch die Geschwisterlichkeit der Menschen im Namen des Höchsten gesegnet ist.
Später aber ist der Name Gottes verunehrt worden: im hasserfüllten Wahn wurden während des Zweiten Weltkriegs mehr als hunderttausend slowakische Juden ermordet. Und als man dann die Spuren der Gemeinschaft auslöschen wollte, wurde hier die Synagoge zerstört. Es steht geschrieben: » Du sollst den Namen des Herrn nicht missbrauchen« (Ex 20,7). Der göttliche Name, also seine personale Wirklichkeit selbst, wird missbraucht, wenn man die einzigartige und unwiederholbare Würde des Menschen verletzt, der nach seinem Bild geschaffen wurde. Hier wurde der Name Gottes verunehrt, weil die schlimmste Gotteslästerung, die man ihm zufügen kann, darin besteht, ihn für seine eigenen Zwecke zu benutzen, anstatt für die Achtung und die Liebe zu den anderen. Hier, angesichts der Geschichte des jüdischen Volkes, die von dieser tragischen und unsagbaren Schmähung gezeichnet wurde, schämen wir uns zuzugeben: Wie oft ist der unaussprechliche Name des Höchsten für unbeschreibliche Akte der Unmenschlichkeit benutzt worden! Wie viele Unterdrücker haben erklärt: „Gott ist mit uns“; aber sie waren es, die nicht mit Gott waren.
Liebe Brüder und Schwestern, eure Geschichte ist unsere Geschichte, eure Schmerzen sind unsere Schmerzen. Für einige von euch ist dieses Mahnmal der Shoah der einzige Ort, wo ihr das Gedächtnis eurer Lieben ehren könnt. Auch ich verbinde mich mit euch. Auf dem Mahnmal steht auf Hebräisch „Zachor“: „Erinnere dich!” Das Gedächtnis kann und darf dem Vergessen nicht Platz machen, weil es keine dauerhafte Morgenröte der Geschwisterlichkeit geben kann, ohne vorher die Dunkelheit der Nacht geteilt und zerstreut zu haben. Auch für uns ertönt die Frage des Propheten: »Wächter, wie lang ist noch die Nacht?« (Jes 21,11). Dies ist für uns die Zeit, in der das Bild Gottes, das im Menschen erstrahlt, nicht verdunkelt werden kann. Helfen wir uns gegenseitig dabei. Denn auch heute fehlt es nicht an leeren und falschen Götzen, die den Namen des Höchsten verunehren. Es sind die der Macht und des Geldes, die sich gegen die Würde des Menschen durchsetzen, die der Gleichgültigkeit, die wegschaut, der Manipulationen, die die Religion instrumentalisieren, indem sie sie zu einer Frage der Vorherrschaft machen oder sie in die Bedeutungslosigkeit versinken lassen. Und weiter sind diese Götzen das Vergessen der Vergangenheit, die Unkenntnis, die alles rechtfertigt, die Wut und der Hass. Wir sind – ich betone es – vereint in der Verurteilung jeglicher Gewalt, jeder Form des Antisemitismus und im Einsatz dafür, dass das Bild Gottes im menschlichen Geschöpf nicht geschändet wird.
Aber dieser Platz, liebe Brüder und Schwestern, ist auch ein Ort, wo das Licht der Hoffnung erstrahlt. Hier kommt ihr jedes Jahr her, um das erste Licht auf dem Kerzenleuchter Chanukkah anzuzünden. So erscheint in der Dunkelheit die Botschaft, dass nicht die Zerstörung und der Tod das letzte Wort haben, sondern die Erneuerung und das Leben. Und wenn auch die Synagoge an dieser Stelle niedergerissen wurde, so ist die Gemeinschaft immer noch da. Sie ist lebendig und offen für den Dialog. Hier treffen unsere Geschichten wieder aufeinander. Hier bekräftigen wir gemeinsam vor Gott unseren Willen, auf dem Weg der Annährung und der Freundschaft fortzufahren.
In diesem Zusammenhang bewahre ich die Begegnung mit Vertretern eurer jüdischen und christlichen Gemeinschaften in Rom im Jahr 2017 in lebendiger Erinnerung. Ich freue mich, dass im Anschluss eine Kommission für den Dialog mit der katholischen Kirche eingesetzt wurde und dass ihr gemeinsam wichtige Dokumente veröffentlicht habt. Es ist gut, das, was uns verbindet, zu teilen und mitzuteilen. Und es ist gut, in der Wahrheit und in Ehrlichkeit auf dem brüderlichen Weg der Reinigung des Gedächtnisses voranzuschreiten, um die Wunden aus der Vergangenheit zu heilen, wie auch voranzuschreiten in der Erinnerung an das Gute, das man empfangen hat und das gegeben wurde. Gemäß dem Talmud zerstört jemand, der einen einzigen Menschen zerstört, die ganze Welt, und der, der einen einzigen Menschen rettet, rettet die ganze Welt. Jeder einzelne zählt und das, was ihr durch euer wertvolles Miteinander tut, zählt sehr viel. Ich danke euch für die Türen, die ihr auf beiden Seiten geöffnet habt.
Die Welt bedarf offener Türen. Sie sind Zeichen des Segens für die Menschheit. Gott sprach zum Vater Abram: »Durch dich sollen alle Sippen der Erde Segen erlangen« (Gen 12,3). Das ist wie ein Refrain, der dem Leben der Väter den Takt angibt (vgl. Gen 18,18; 22,18; 26,4). Zu Jakob, also zu Israel, sprach Gott: »Deine Nachkommen werden zahlreich sein wie der Staub auf der Erde. Du wirst dich nach Westen und Osten, nach Norden und Süden ausbreiten und durch dich und deine Nachkommen werden alle Sippen der Erde Segen erlangen« (Gen 28,14). Hier, auf slowakischem Boden, der Boden der Begegnung zwischen Osten und Westen, zwischen Nord und Süd ist, möge die Familie der Söhne Israels weiterhin diese Berufung pflegen, den Ruf dazu, Zeichen des Segens für alle Familien der Erde zu sein. Der Segen des Allerhöchsten ergießt sich über uns, wenn er eine Familie von Geschwistern sieht, die sich achten, sich lieben und zusammenarbeiten. Es segne euch der Allmächtige, auf dass ihr inmitten all der Zwietracht, die unsere Welt verschmutzt, gemeinsam immer Zeugen des Friedens sein könnt. Shalom!
(vatican news – sk)
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