Papst an Richter: 6 Punkte für soziale Gerechtigkeit
Stefanie Stahlhofen - Vatikanstadt
Franziskus beteiligte sich mit seiner Videobotschaft an einer Videokonferenz von Fachmännern und -Frauen des Sozialrechts und wies auf sechs Grundpfeiler hin, die für ihn die Basis sozialer Gerechtigkeit sind. Im Kampf darum, wie auch für die damit zusammenhängende Menschenwürde, ruft der Papst dazu auf, grundlegende strukturelle Probleme zu lösen und sich solidarisch mit anderen zu zeigen. Es müsse gegen die Ursachen von Armut und Ungleichheit, Mangel an Arbeitsplätzen, an Land und Unterkünften vorgegangen werden.
Die drei B: Bleibe, Boden, Berufstätigkeit
Kurz bringt der Papst das mit den drei B auf den Punkt: Bleibe, Boden, Berufstätigkeit.
„Geht so also gegen all jene vor, die soziale Rechte und Arbeitsrechte verneinen. Im Kampf gegen eine Kultur, die zur Ausbeutung anderer führt, zur Versklavung anderer, und die damit endet, den anderen die Würde zu nehmen. Vergesst nicht, dass Solidarität, in ihrem tiefsten Sinn verstanden, ein Mittel ist, Geschichte zu schreiben“,
lautet der eindringliche Appell des Papstes an die Richterinnen und Richter. Sie sollten sich immer bewusst sein, dass Gerechtigkeit letztlich bedeute, den Armen das zurückzugeben, was ihnen zustehe:
Gerechtigkeit basiert nie auf Ungleichheit
„Diesen Gedanken haben wir oft vergessen: Ihnen zurückzugeben, was ihnen gebührt. Errichten wir eine neue soziale Gerechtigkeit, bedenkend, dass die christliche Tradition nie von einem absoluten und unantastbaren Recht auf Privateigentum in jeder seiner Formen ausgegangen ist und immer dessen gesellschaftliche Funktion betont hat. Das Recht auf Eigentum ist ein zweitrangiges natürliches Recht, das sich vom Recht aller ableitet, welches in der universellen Bestimmung der Vermögenswerte gründet. Es gibt keine soziale Gerechtigkeit, die auf Ungleichheit beruht, die das Anhäufen von Reichtum voraussetzt.“
Die Realität nicht ausblenden
Die Schere zwischen Arm und Reich geht nämlich immer weiter auseinander, wie der Papst feststellt. Eine Realität, die nie vergessen werden dürfe:
„Die Ideen, die ihr sicher austauschen werdet, sollten eines nicht aus dem Blick verlieren: Das beängstigende Bild, in dem ein kleiner Teil der Menschheit in Saus und Braus lebt, wohingegen Würde einer immer größeren Zahl der Menschen unbekannt ist, deren Menschenrechte ignoriert und verletzt werden. Wir können nicht losgelöst von dieser Realität denken“,
gab Franziskus den Richterinnen und Richtern weiter mit auf den Weg. Um soziale Gerechtigkeit zu erreichen, brauche es zudem täglichen und gemeinsamen Einsatz aller, erklärte der Papst weiter. Er rief dazu auf, wie der barmherzige Samariter dort hinzuschauen, wo Probleme sind - und zu helfen.
Gerechtigkeit statt Gleichgültigkeit
Gleichgültigkeit erteilte er hingegen erneut eine deutliche Absage:
„Wir müssen eingestehen, dass wir es gewohnt sind, an der Seite vorbeizugehen und Situationen so lange zu ignorieren, bis sie uns persönlich betreffen. Bedingungsloser Einsatz bedeutet jedoch, den Schmerz des anderen auf sich zu nehmen, statt in eine Kultur der Gleichgültigkeit abzudriften.“
Aus der Geschichte lernen
Als weitere wichtige Basis sozialer Gerechtigkeit nannte Franziskus zudem die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit: Aus Fehlern lernen, statt sie weiterzupflegen, alte Wunden heilen, statt sie aufzureißen. Ebenso verwies der Papst auf die Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft:
„In der Vergangenheit sind sämtliche Erfahrungen verwurzelt, auch die der sozialen Gerechtigkeit, die wir heute neu denken, wachsen lassen und noch stärker machen möchten.”
Nichts geht ohne das Volk
Soziale Gerechtigkeit lässt sich aus Sicht von Papst Franziskus allerdings auch nicht einfach so von oben diktieren. Es geht für ihn viel mehr darum, im Volk den Wunsch nach Nächstenliebe wachzuhalten.
„Das Volk ist der fünfte Pfeiler, um soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Und, ausgehend vom Evangelium, ruft Gott uns dazu auf, Volk Gottes zu sein, nicht ,Elite Gottes‘. Denn all jene, die dem Weg der ,Elite Gottes‘ folgen, enden in einem der viel bekannten elitären Klerikalismen, sie arbeiten vielleicht für das Volk, aber sie machen nichts mit dem Volk, sie fühlen sich nicht als Teil des Volks.“
Rechtssprechung ist die Poesie einer besseren Welt
In einer ebenfalls am späten Montagabend (europäische Zeit) veröffentlichten Grußbotschaft hatte der Papst an vorige Treffen von Richterinnen und Richtern am Sitz der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften im Vatikan erinnert. So hatte 2017 etwa ein stattgefunden, und 2019 hatte Franziskus panamerikanische Justizbeamte im Vatikan empfangen. Nun würdigte der Papst die Arbeit der Richterinnen und Richter mit argentinisch blumigen Worten:
„Bei jeder eurer Entscheidungen, eurer Richtersprüche, habt ihr die Möglichkeit, ein Gedicht zu schreiben, ein Gedicht, das die Wunden der Armen heilt, und auch den Planeten umfasst, Mutter Erde schützt und all ihre Nachkommen. Ein Gedicht, das heilt, erlöst und nährt.“
Die richtigen Entscheidungen zu treffen sei freilich nicht immer leicht - es brauche Mut und Entschiedenheit sowie Ehrenhaftigkeit, erklärte der Papst. Richterinnen und Richter hätten einen sehr bedeutenden Auftrag, den sie nie vergessen dürften:
„Bitte, denkt immer daran: Wenn Gerechtigkeit wahrhaft gerecht ist, macht sie die Länder glücklich und ihre Bewohner würdig. Kein Rechtsspruch kann gerecht sein, kein Gesetz legitim, wenn sie zu mehr Ungleichheit führen, wenn das, was sie schaffen, einen weiteren Verlust der Rechte, Würdelosigkeit oder Gewalt bedeutet“,
mahnte Franziskus die Richterinnen und Richter in seinem Grußwort.
(vatican news – sst)
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